13. Sonntag im Jahreskreis - Pfr. Schäfer
Liebe Schwestern und Brüder,
„Der Aufbruch" - so heißt eine Parabel aus dem Nachlass Franz Kafkas:
„Ich befahl, mein Pferd aus dem Stall zu holen. Der Diener verstand mich nicht. Ich ging selbst in den Stall, sattelte mein Pferd und bestieg es.
In der Ferne hörte ich eine Trompete blasen, ich fragte ihn, was das bedeute.
Er wusste nichts und hatte nichts gehört.
Beim Tore hielt er mich auf und fragte: „ Wohin reitest du, Herr?"
„Ich weiß es nicht", sagte ich, „nur weg von hier, nur weg von hier. Immerfort weg von hier, nur so kann ich mein Ziel erreichen."
„Du kennst also dein Ziel?" fragte er.
„Ja", antwortete ich, „Ich sagte es doch: „Weg von hier", das ist mein Ziel."
„Du hast keinen Essvorrat mit", sagte er. „Ich brauche keinen", sagte ich, „die Reise ist so lang, dass ich verhungern muss, wenn ich auf dem Weg nichts bekomme. Kein Essvorrat kann mich retten.
Es ist ja zum Glück eine wahrhaft ungeheure Reise.""
Ein rätselhafter, irritierender Text. Und andererseits ist er doch ganz klar und präzise: Wir verstehen unmittelbar - jene „zum Glück wahrhaft ungeheure Reise" ist die Reise unseres Lebens. Und jenes Trompetensignal, das aus der Ferne erklingt, ruft uns zum Aufbruch zu uns selbst, mit einem Ruf der nur uns gilt, jedem und jeder unverwechselbar eigen und für den anderen unvernehmbar und unverständlich.
Wer aber könnte wirklich das Ziel benennen, zu dem er mit seinem ganzen Leben hin unterwegs ist,
so dass man, wenn es erreicht wäre, sich wirklich beruhigen könnte in der Gewissheit nun endgültig angekommen zu sein?
Die vielen kleinen Ziele, die wir uns stecken, können es ja noch nicht sein: der nächste Schritt auf der Karriereleiter, die nächste Gehaltserhöhung, der nächste Urlaub.
Und die großen Ziele, die wir mal erreichen, mal verfehlen? Die Befriedigung, die unsere Arbeit uns geben kann, die Nähe vertrauter Menschen, Freundschaft, die uns geschenkt wird?
Für eine Zeit mag unser Herz sich darin beruhigen. Und doch: in allem ist etwas zu wenig, um die Unruhe, die uns weiterfragen und suchen lässt, wirklich zu stillen:
„Immerfort weg von hier . . ."
Es scheint zum Menschsein zu gehören, dass uns der Aufbruch im Blut liegt, in allem, was wir erreicht haben mögen, doch noch nicht wirklich und ganz angekommen zu sein, noch nicht das gefunden zu haben, was wir als Ziel unserer Lebensreise eigentlich suchen.
Warum ist das so?
Vielleicht ahnen es die Liebenden. Sie spüren, dass sie sich auf einer „ zum Glück wahrhaft ungeheuren Reise" befinden: auf der Reise vom Ich zum Du, von mir selbst weg zum andern.
Sie ahnen auch, dass sie sich auf dieser Reise nicht vom eigenen, aus der eisernen Ration, die sie selbst mitbringen, werden ernähren können.
Was sie nährt, das ist das, was ihnen vom andern, vom geliebten Du, geschenkt wird. Sie leben auf ihrer Reise vom Wort der Annahme, dem Wort der Liebe, das sich keiner selbst zusprechen kann. Das uns gesagt werden muss. Und ohne das wir verhungern müssten.
Sie wissen schließlich auch, dass deshalb der ständige Aufbruch notwendig ist: sich loszulassen, zu vertrauen, sich hinzugeben, um sich vom andern her neu zu empfangen.
Martin Buber hat dafür eine schöne Formulierung gefunden. Er sagt: „Einander reichen wir das Himmelsbrot des Selbstseins".
In dem, worum es uns zutiefst im Leben geht, dem Glück, dem Sinn, in dem wir uns aufgehoben fühlen, bleiben wir uns selbst entzogen, leben wir nicht aus dem eigenen Vorrat, sondern sind wir Empfangende.
Weil wir auf den Anderen, auf das Du hin angelegt sind, bleiben wir Wesen der Sehnsucht und des Aufbruchs.
Und nun dürfen wir auch einen Schritt weitergehen und denken:
Weil wir auf den Ganz Anderen, auf das Du Gottes hin angelegt sind, sind wir dieses rätselhafte Wesen einer unendlichen Sehnsucht und eines ständigen Aufbruchs.
„Du hast uns auf dich hin geschaffen", sagt der heilige Augustinus im Rückblick auf sein eigenes unstetes Leben, „und unruhig ist unser Herz bis es Ruhe findet in dir."
Vielleicht ist es ja so, wie es der Glaube uns sagt: in allen Lebenszielen, die wir erreichen nur um sie gleich wieder zu überschreiten, selbst noch in unserem Aufbruch zum geliebten Andern, sind wir immer schon auf dem Weg zu Gott, auf der wahrhaft ungeheuren Reise unseres Lebens, um bei ihm endgültig Heimat und Wohnung zu finden, das Leben, das bleibt, das Ziel bei dem wir zur Ruhe kommen.
Wir mögen erschrecken vor der Kompromisslosigkeit der Texte des heutigen Sonntags. Wenn aber er es ist, der uns zum Aufbruch ruft, dann muss uns nicht Angst sein, wir könnten auf dem Weg verhungern.
Mögen Menschen uns am langen Arm verhungern lassen, wenn wir bedürftig nach Liebe vor ihnen stehen - ihm dürfen wir vertrauen, dass seine Liebe verlässlich ist. Mit ihr reicht er uns wahrhaft jenes „Himmelsbrot des Selbstseins": das Brot, das uns, wie es Elia erfahren hat, immer wieder neu aufbrechen lässt, um in allem, was uns auf unserer Lebensreise begegnet, ihm entgegen zu gehen.
„Nimm und iss, sonst ist der Weg zu weit für dich", so sagt er auch uns: Nimm und empfange im Zeichen des gebrochenen Brotes jene Liebe, der du für dein Leben vertrauen kannst, die mit dir geht durch alle Auf-und Abbrüche und in der Deine Sehnsucht ans Ziel kommen wird.
Amen