14. Sonntag im Jahreskreis - Pft. Stefan Schäfer
Liebe Schwestern und Brüder,
die Bettler und Krüppel, die am Straßenrand, haben es als erste gespürt. Der blinde Bartimäus, der sich durch die Menschenmenge kämpft: „Sohn Davids, Jesus, erbarme dich meiner", die blutflüssige Frau, die wenigstens den Saum seines Gewandes berühren will, die Verachteten und Ausgegrenzten, Zachäus, der Zöllner und Sünder, der ihn von Ferne zu sehen versucht und wider alles Erwarten von ihm in eine neue Gemeinschaft hineingezogen wird:
Sie alle ahnen in der Begegnung mit dem Wanderprediger aus Nazareth das Geheimnis einer Gegenwart, die sie aufrichtet, sie heilt und befreit und die sie wachsen lässt in die Würde hinein, die ihnen Krankheit, Scheitern und Schuld, das Leben in seiner Härte und Ungerechtigkeit oder ihre Mitwelt genommen haben.
Denen, die sich selbst zu helfen wissen, den Selbstgewissen, die sich ihrer Antworten so sicher sind, bleibt es verborgen.
Den Armen und Kleinen, den „Unmündigen", aber offenbart sich, als Ahnung vielleicht nur, als Ergriffenheit, das Geheimnis Jesu:
Sie spüren, dass in ihm etwas Neues und Unerwartetes auf sie zukommt, schwer zu fassen und auf den Begriff zu bringen: Ein „Mensch ganz für Andere" und dass in seiner Zuwendung tatsächlich der „Ganz Andere" sie berührt und da ist, auf den staubigen Straßen und Plätzen Galiläas und dass er genau für sie da ist, für die am Rand und für sie gegenwärtig wird.
„Wer mich sieht, sieht den Vater", wird Jesus an anderer Stelle sagen. „Ich und der Vater sind eins."
Den Unmündigen und Kleinen will er in Worten und Taten und mit seinem Leben einen Gott offenbaren, der ihnen zugewandt ist, der sie wahrnimmt und hört, der „für sie" entschieden, entschlossen ist und den er ihnen erschließt, offenbart.
Martin Buber hat einmal den schönen Gedanken formuliert, das Wesen wahrer Begegnung im Dialog bestehe darin, „den andern im Zuhören so groß wie möglich zu machen."
Über das Geheimnis Jesu Christi, in dem sich Gott den Kleinen offenbart, die er heilt, aufrichtet und aus ihrem Joch erlöst, das Geheimnis, um das unser heutiges Evangelium zu kreisen scheint, wäre dann, von diesem Gedanken ausgehend, vielleicht so viel zu sagen:
Er, der von sich sagt, dass niemand den Vater kennt, nur der Sohn, ist ganz Ohr für ihn, ganz Leib und Leben, um Gott „im Zuhören so groß wie möglich zu machen". Und in diesem Hinhören, im Gehorsam gegen den Willen des Vaters wird er zum „Mensch ganz für Andere":
„Was willst du, dass ich dir tun soll?", fragt er immer wieder die Bedürftigen, die zu ihm kommen und Heilung erhoffen. Und indem er sie sich aussprechen lässt, sich ihrem Kummer und Schmerz ganz öffnet, macht er auch sie „im Zuhören so groß wie möglich" und gibt ihnen ihre Würde zurück, die sie trotz allem, was geworden ist und ihnen widerfahren sein mag, unverlierbar besitzen.
Er teilt die Freude und Hoffnung, die Trauer und Angst der Menschen, vor allem der Armen und Unmündigen,
ist Gast auf der Hochzeit zu Kana und weint am Grab seines Freundes Lazarus,
lässt sich betreffen von der Not seiner Zeit und trägt die Wunden, die Gewalt und Bosheit, Ungerechtigkeit und Sünde schlagen
und bleibt mit einem hörenden Herzen, „gütig" und „demütig", wie es heute im Evangelium heißt, gehorsam in einem zweifachen Sinn:
Im Hören auf Gott, seinen Vater, dessen Erbarmen er in seiner Zuwendung zu den Menschen, indem er „ganz Ohr" für sie wird, offenbart, damit sie „Ruhe finden für ihre Seele".
Ihn, Christus, durch die Zeiten füreinander zu leben, ist unsere Berufung.
Als einzelne und als die Gemeinde derer, die im Hören auf sein Wort zum Zeugnis herausgefordert sind.
Die Kirche versteht sich ja in diesem Sinn als „Sakrament", als „Zeichen und Werkzeug" seiner Gegenwart.
Sie müsste, um ihren Auftrag zu erfüllen, vielleicht weniger eine lehrende Kirche, eine Kirche der Antworten sein, sondern eine hörende Kirche werden, die im Dialog, in der ehrlichen Zuwendung und im Hinhören, vor allem auf die am Rand, die Unmündigen und um ihre Stimme Gebrachten, deren Fragen und Suchen aufnimmt und teilt und sich zu eigen macht.
Eine Kirche die den Menschen „im Zuhören so groß wie möglich" macht.
Und größer als je gedacht:
Indem sie ihn seine Würde ahnen lässt und daran erinnert, dass er zu nicht weniger gerufen ist als dazu, in der Gemeinschaft mit Gott zu leben und durch alle Mühsal und Last hindurch, ihm entgegen zu gehen.