2. Fastensonntag - Pfr. Stefan Schäfer

Datum:
So. 12. März 2017
Von:
Pfr. Schäfer

2. Fastensonntag  - Pfr. Stefan Schäfer


Liebe Schwestern und Brüder,
ja, es gibt sie wirklich, Erfahrungen im Leben, in denen uns das Glück fast vollkommen scheint: Wenn Liebende zueinander finden und Romeo seine Julia zum ersten Mal umarmt, wenn ein Kind gesund zur Welt kommt, wenn ein Ziel, das wir mit Energie und Ehrgeiz verfolgt haben, tatsächlich erreicht ist, und wir wie Bergsteiger auf dem Gipfel stehen oder auch, wenn dunkle Wolken über uns auf einmal aufreißen, weil der Arzt die schlimmen Befürchtungen zerstreut.
Es gibt diese besonderen und außerordentlichen Erfahrungen des Glücks. Dann weitet sich der Horizont, Verzagtheit und Kleinmut entfliehen und wir spüren, dass ein größerer Atem durch unser Leben geht.
Es gehört zu diesen Erfahrungen freilich auch immer, dass wir sie nicht festhalten und wir uns selbst auf solchen Gipfeln nicht halten können. Wir müssen wieder absteigen und die Mühen der Ebene auf uns nehmen: den Alltag mit seinen Sorgen und Ängsten, den kleinen Freuden, die er auch für uns bereithält, aber auch der Überforderung und manchen Banalitäten, in die er uns verstrickt. Ein wenig ähneln wir darin dem Sisyphos des griechischen Mythos, der seinen Stein immer wieder den Berg hinaufwälzt, nur um zu erleben, wie er wieder ins Tal rollt, und dass er seine Last auf´s Neue auf sich nehmen muss. Dürfen wir uns diesen Sisyphos, der wir selber sind, wie Albert Camus, der große Philosoph der Existenz, es vorschlägt, trotzdem „als glücklich vorstellen"?
Lässt sich das Glück nicht nur in jenen seltenen und flüchtigen Gipfelerfahrungen finden, sondern auch in der Ebene, in der sich unser Leben doch vor allem vollzieht?
In einer der schönsten Szenen der Evangelien erfahren Petrus, Jakobus und Johannes oben, „auf einem hohen Berg", die Verklärung ihres Meisters. Einige unfassbare Augenblicke lang scheinen sich Himmel und Erde zu berühren. Blendend weiß leuchten Jesu Kleider und das Erscheinen von Mose und Elija zeigt an, dass die uralte Verheißung sich in ihm erfüllt. Es ist sympathisch und verständlich, dass Petrus diese Erfahrung festhalten will. Wer wollte nicht auf dem Gipfel des Glücks eine Hütte bauen? Doch auch er muss erfahren, dass sich kein „schöner Augenblick" festhalten lässt, und dass man in ihm nicht „verweilen" kann.
Auch für Jesus und seine Jünger folgt auf die Gipfelerfahrung der Abstieg hin zu den Mühen der Ebene. Und tiefer noch: sein Weg wird ihren Meister in die Niederungen einer Welt führen, die sich nicht verklären lässt. Hinter dem Berg der Verklärung zeichnet sich längst schon der Umriss von Golgotha ab. Bald schon wird den Jüngern zugemutet werden, jenes Licht der Herrlichkeit Gottes, in dem ihnen Jesus für einen kurzen Moment aufgeleuchtet ist, in seiner Hingabe am Kreuz leuchten zu sehen. Genauer: Es wird ihnen zugemutet, daran zu glauben, dass sich in solcher Erniedrigung, die wie ein Scheitern aussieht, Gott in seiner Herrlichkeit offenbart. „Glücklich", „selig" werden dann jene gepriesen, die glauben, obwohl sie nicht sehen.
Noch auf dem Weg hinab gebietet Jesus den Jüngern, sich nicht bei dem aufzuhalten, was sie gerade erfahren haben: „ Erzählt niemandem von dem, was ihr gesehen habt, bis der Menschensohn von den Toten auferstanden ist." Die Gipfelerfahrung auf dem Berg der Verklärung war das kurze Aufleuchten des verborgenen Grundes, des Sinns und des Ziels eines Weges, der noch zu gehen ist: einmal (und ein für alle Mal) durch den Herrn auf seinem Gang nach Jerusalem hinein in seine Passion. Und immer wieder durch seine Jünger auf den Wegen der Nachfolge und des Glaubens.
Es gibt diese Gipfelerfahrungen. Erfahrungen des fast vollkommenen Glücks. Der Übereinstimmung mit uns selbst und unserer tiefsten Sehnsucht. Sie sind selten und flüchtig. Und sind doch ein Teil unseres Lebens. Auch des Lebens im Glauben. Sie weiten den Blick, vertreiben die Verzagtheit und erinnern uns daran, dass ein größerer Atem durch unser Leben geht. Sie erneuern in uns die Kraft, den Alltag zu bestehen.
Wer einmal von der Ausstrahlung Jesu und der Schönheit seiner Botschaft angerührt war, der wird diese Spur im Leben nie mehr ganz verlieren.
Wer einmal in die Umkehrung aller Werte, wie sie in der Bergpredigt begegnet, hineingezogen und von ihrer Wahrheit berührt worden ist, der wird daraus einen bleibenden Maßstab für das gewinnen, was „Glück" bedeutet.
Wem einmal die Lebenslogik des Evangeliums auf- und eingeleuchtet ist, wonach der das Leben findet, der sich selbst in der Hingabe an den andern und aus Liebe verliert, der wird verwandelt in den Alltag und den Aufreibungsprozess, den er oft bedeutet, zurückkehren.
Im Tagesgebet dieses 2. Fastensonntags haben wir gebetet, Gott möge unsere Augen reinigen, damit wir fähig werden, seine Herrlichkeit zu erkennen. Sie liegt in allem, unseren Aufgaben und Sorgen, den Freuden und Mühen unseres Alltags tief verborgen und leuchtet manchmal auf, wo wir uns – „auf ihn sollt ihr hören"- auf sein Wort hin darauf einlassen, in alldem sein Reich zu suchen und seiner Gerechtigkeit zu dienen.
Und manchmal, für Augenblicke, mag es uns zur strahlenden Gewissheit werden, dass wir im Nachgehen seines Weges auf dem Weg der Wahrheit sind, auf dem wir das Glück und das Leben finden.

Amen