Liebe Schwestern und Brüder,
als sich der Weg des Menschensohns vollendet, der Weg der Selbstentäußerung und der Hingabe „um zu dienen", draußen, vor den Toren Jerusalems, sind die Ehrenplätze zu seiner Rechten und zur Linken schon vergeben:
Die nehmen die beiden Schächer ein, die mit ihm gekreuzigt werden. Zwei Elendsgestalten. Gescheiterte und tief in Schuld verstrickte Menschen.
Von Glanz und Macht und Herrlichkeit ist da rein gar nichts zu sehen.
Und doch leuchtet in dieser Szene durch alle Zeiten und ein für alle Mal auf, worin das Reich besteht, dessen Anbruch der Menschensohn verkündet:
Darin, dass Gott sich dieser Welt ausgeliefert hat und sich ihr aussetzt, um in Liebe und bis ins Letzte durchgehaltener Solidarität in ihr für den Menschen gegenwärtig zu sein.
Zeugen und, als Gemeinschaft von Glaubenden, „Zeichen und Werkzeug" dieses Reiches zu sein, fordert die heraus, die sich in der Nachfolge Jesu sehen. Das kann neue Perspektiven erschließen. Das hat in der Geschichte der Kirche zu beeindruckenden Aufbrüchen in die Selbstlosigkeit, die Demut und die Bereitschaft, Gott im Nächsten zu dienen, inspiriert.
Es bringt aber immer wieder auch klägliches Versagen an den Tag:
Immer wieder seit den Tagen des Johannes und des Jakobus sind die Jünger Jesu der Verblendung erlegen, aus der Nähe zu ihrem Herrn für sich eine besondere Würde und besonderes Ansehen ableiten zu wollen.
Immer wieder sind sie dem Irrtum verfallen, irgendwie berechtigt zu sein, eine erhabene Position einzunehmen und Ansprüche gegen die Anderen erheben zu dürfen, die sie von oben herab belehrt und gemaßregelt, in ihrem Lebenswandel beurteilt und oft genug abgewertet und verurteilt haben.
Dass wir in der gegenwärtigen Krise der Kirche in einen moralischen Abgrund blicken, hat seine Ursache ja nicht ausschließlich im abstoßenden Fehlverhalten einzelner.
Immer deutlicher tritt vielmehr hervor, wie hier ein System versagt hat, eine Institution, der es in erster Linie um sich selbst, um Selbsterhaltung und die Absicherung von Ansehen, Macht und Privilegien gegangen ist und die sich gegen alle Infragestellung von innen und außen abgeschottet hat.
Das ist der Grund, weshalb die Glaubwürdigkeit der Kirche in Trümmern liegt:
Der Missbrauchsskandal hat schonungslos aufgedeckt, wie weit sie sich in weiten Teilen davon entfernt hat, eine „dienende" Kirche zu sein.
Eine Kirche für die Menschen, wie sie es von ihrem Ursprung und Auftrag her zu sein hätte.
Und wie sehr sie, allen gegenteiligen Beteuerungen zu Trotz, daran klammert, die Kontrolle zu behalten und zu herrschen.
„Bei euch aber soll es nicht so sein!"
Jesu Wort im heutigen Evangelium trifft in eine Situation, in der es ein „Weiter so" für die Kirche nicht geben kann. Und in der sich nostalgische Träume von altem Glanz und früherer Bedeutsamkeit von selbst verbieten.
Es ruft zur Umkehr.
Es fordert die radikale, an die Wurzel gehende Neubekehrung zu Christus, der seine Botschaft vom Reich Gottes eben nicht mit Macht und von oben herab verkündet hat, sondern mit der Autorität des Dienens, beglaubigt durch die Bereitschaft zur Selbstentäußerung und Hingabe.
Im Namen eines Gottes, der keine Voraussetzungen macht und keine Bedingungen stellt, der das Heil aller Menschen will und niemanden ausschließt.
Der auch noch für die Schächer am Kreuz gegenwärtig ist.
Und der nicht in ehrfurchtgebietender und angsteinflößender Erhabenheit begegnet, sondern indem er sich der Welt aussetzt, solidarisch in „Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen, insbesondere der Armen", wie es das Zweite Vatikanische Konzil formuliert hat.
Dieser Botschaft muss die Kirche entsprechen, ihr muss sie sich angleichen, in Form und Inhalt, im Wort und in der Tat, soll sie von den Zeitgenossen (wieder) als zu Christus gehörend erfahren werden.
„Mir ist eine „verbeulte" Kirche, die verletzt und beschmutzt ist, weil sie auf die Straßen hinausgegangen ist, lieber, als eine Kirche, die darum besorgt ist, der Mittelpunkt zu sein und schließlich in eine Anhäufung von fixen Ideen und Streitigkeiten verstrickt ist."
Wahrscheinlich kennen Sie diesen Satz. Er stammt von Papst Franziskus.
Auch auf ihn ist in den letzten Wochen mancher Schatten gefallen.
Und doch weist dieser Papst und nicht nur mit diesem Satz, den Weg in die Zukunft der Kirche:
Einer Kirche, die nicht um sich selbst kreist, sondern sich vom anderen her versteht: im Gespräch, in den Herausforderungen durch die „Zeichen der Zeit";
Einer Kirche, die aufbricht und „an die Ränder geht", ohne Angst, sich so zu verlieren, sondern im Bewusstsein, gerade so bei sich selbst und ihrer Aufgabe zu sein;
Einer Kirche des Suchens, die sich den Fragen und Problemen von heute aussetzt auch auf die Gefahr hin, eigene Positionen hinterfragen zu müssen und nicht auf alles eine fertige Antwort und alles unter Kontrolle zu haben;
Einer Kirche, die schließlich auch uns, die wir in ihr und mit ihr und manchmal auch trotz ihrer und gegen sie, im Ringen und Widerspruch, glauben möchten, Mut macht, uns selbst immer wieder zu bekehren und uns, als Zeugen des Vertrauens in Gottes Gegenwart unter den Menschen, neu auf den Weg der Nachfolge rufen zu lassen.
Amen