Liebe Schwestern und Brüder,
aus den 90er Jahren, als noch amerikanische Soldaten und ihre Familien in Deutschland stationiert waren, wird die folgende kleine Begebenheit erzählt:
Auch in einer amerikanischen Gemeinde soll ein Krippenspiel aufgeführt werden. Es ist wie immer und überall:
Alle kleinen Mädchen wollen Maria sein. Der brave Josef ist bei den Jungs weniger beliebt. Lieber spielt man einen Hirten, draußen am Lagerfeuer auf den Feldern von Betlehem.
Den bösen Wirt aber, der das hochheilige Paar auf seiner Herbergssuche abweist, will keiner gern geben.
Vor die Wahl gestellt, entweder diese ungeliebte Rolle zu übernehmen, oder eben gar nicht mitspielen zu dürfen, beugt sich schließlich einer der Jungs seinem Schicksal. Einer muss es ja machen!
Bei den Proben erweist sich der kleine Schauspieler dann aber als schwierig und bockig. Er hadert mit seiner Rolle und bringt es immer wieder nicht über das Herz und über die Lippen, zu tun und zu sagen, was das Drehbuch des Krippenspiels nun einmal vorschreibt und Maria und Josef wegzuschicken.
Erst unter Druck und viel gutem Zureden fügt er sich schließlich und ringt sich bis zur Generalprobe durch, die Rolle des Wirts wie gewünscht und vorgesehen zu spielen.
Es kommt der Heilige Abend und die eigentliche Aufführung.
Die Eltern, die um die Vorgeschichte und die Dramen, die sich bei den Proben abgespielt haben, wissen, sind nicht wirklich entspannt.
Auftritt Maria und Josef. Sie klopfen an. Der Junge öffnet und sieht sie, ganz rollenkonform, mit finsterer Miene an:
„Go away! Here is no place for you!" – „Fort! Hier ist kein Platz für euch!"
Dann aber überkommt ihn etwas. Ihm ist etwas eingefallen. Der Blick hellt sich auf:
„But just come in for a moment and have a cup of tea!"
Eine Einladung auf eine Tasse Tee zum Ausruhen und Aufwärmen!
Bevor der Junge dann doch sagt, was eben gesagt werden muss:
„Dann muss ich euch wegschicken. Because the game must go on."
Die kleine Krippenspiel Anekdote bringt, wie ich meine, Weihnachten doch ganz gut auf den Punkt:
Für einen Moment hatte die Güte des Herzens in diesem Jungen lauter gesprochen als der vorgeschriebene Text. Er ist aus der Rolle gefallen. Für einen kurzen Augenblick konnte er nicht mehr einfach so mitmachen. In dem Spiel, das natürlich weitergehen muss.
Das durch diese Unterbrechung aber ein anderes Spiel geworden ist.
Genau so wünschen wir uns Weihnachten und so sollten wir es feiern:
Als eine Unterbrechung und als Chance, aus all den Rollenzwängen, in die das Spiel des Lebens uns das Jahr über zwingt, wenigsten vorübergehend auszubrechen!
An Weihnachten kommen die Menschen am Rand, an denen wir sonst oft vorbeigehen, in den Blick: Der Zeitungsausträger erhält einen Gruß und ein Trinkgeld. Das Spendenaufkommen der großen Hilfswerke schnellt, Gott sei Dank, in diesen Tagen alle Jahre wieder in die Höhe.
Wir möchten uns von unserer freundlichen und gütigen Seite zeigen: Eigentlich sind wir ganz anders ! Für ein paar Stunden wenigstens am Heiligen Abend kommen wir endlich dazu.
Wir wünschen uns Frieden wenigstens in unserer eigenen kleinen Lebenswelt und hoffen, dass das Geschenk, das wir schließlich doch noch gefunden haben, dem anderen sagt, wie viel er uns bedeutet.
Und wenn wir dann die familiäre Feier noch einmal verlassen und uns aufmachen zur Christmette in der Heiligen Nacht, dann wünschen sich viele eben auch das:
Von einem Geheimnis berührt und ergriffen zu werden, das den manchmal so banalen Gang des Alltäglichen unterbricht, weil es uns eine andere Wirklichkeit aufleuchten lässt,
und dass das Spiel unserer Ängste und Sorgen zum Stillstand kommt, wenigstens für den Moment in dem wir „Stille Nacht" singen, weil wir uns in einem Sinn geborgen fühlen, der uns überschreitet.
Nicht immer erfüllt sich, was wir uns von Weihnachten erhoffen.
„The game must go on."
Manchmal fallen wir schon am Abend in das alte Spiel und die alten Muster zurück.
Und doch, und auch da wo sie scheitert, führt uns die Sehnsucht nach Unterbrechung und Neubeginn, die mit diesem Fest sich verbindet, vor den Kern der Botschaft, wie sie uns heute verkündet wird:
Nicht nach Kaiser Octavianus Augustus, den eine Säuleninschrift, die in Rom sich erhalten hat, als den „Retter" preist, den die „Vorsehung allen kommenden Geschlechtern gesandt hat", datieren wir unsere Zeit.
Er treibt am Anfang der Weihnachtserzählung noch sein Spiel eines Mächtigen und bringt die Menschen in Bewegung. Doch er führt längst nicht mehr die Regie.
Am Rand seiner Herrschaft, draußen, bei den Armen und Kleinen und in einer unscheinbaren Geburt, hat jener Augenblick sich ereignet, der die Weltzeit seitdem in ein Vorher und Nachher unterteilt:
Der Augenblick der Unterbrechung im Welttheater.
Denn Gott, so wird den Hirten verkündet, ist selbst in diesem Kind ein für allemal eingetreten in das Spiel des Lebens.
Es wird weitergehen.
Aber es ist von jetzt an ein anderes Spiel und kann anders gespielt werden.
Um dieses Kind wird später, für den kurzen, hellen Moment seines öffentlichen Wirkens ein Aufleuchten der Menschenfreundlichkeit und Güte sein, das bis heute nicht vergessen ist.
Ein Aufbruch von etwas Neuem, der, trotz allem, was ihm entgegensteht – auch in der Kirche- noch immer die Kraft hat, die Welt zu verändern, weil er Menschen bewegt, das Spiel des Lebens mit anderen Regeln zu spielen und nach anderen Maßstäben zu beurteilen.
Vielleicht ja auch uns!
In dieses Licht sieht das Weihnachtsevangelium Jesu Geburt schon getaucht:
Es spricht vom Glanz aus der Höhe und vom Frieden, der den Menschen, die guten Willens sind, geschenkt und anvertraut ist.
Der Glanz fällt tröstend und freundlich und als Ermutigung auch dorthin, wo unser eigenes Leben sich abspielt:
Vielleicht geht es darin ja doch nicht immer nur darum, sich durchzusetzen um jeden Preis und für sich selbst den besten Deal rauszuschlagen! Vielleicht wird das Beste uns einfach geschenkt!
„Wer sich selbst vergisst, der findet", wird Jesus einmal sagen: zu sich selbst, zum andern zu Gott, der sich uns schenkt im Spiel unseres Lebens. In der Hingabe an etwas, das größer ist als wir selbst, ist seine Gegenwart manchmal zu ahnen.
Vielleicht dürfen wir auch dem Impuls, der uns an Weihnachten ergreift, für unser Leben viel mehr vertrauen und das „Go away" der Abwehr aus Überforderung und Angst in ein „Come in" der Mitmenschlichkeit verwandeln. Wo immer es Menschen fertigbringen, einander Raum zu gewähren, die Schwachen zu schützen und füreinander Lasten zu tragen, ist Gott gegenwärtig.
Und vielleicht wagen wir es dann auch, manchmal wenigsten, aus der Rolle zu fallen, die wir so perfekt zu spielen gelernt haben und die uns doch immer wieder einengt und überfordert:
Wir dürfen uns auch unser Scheitern eingestehen.
Die Enttäuschung an uns selbst und am andern.
Auch an Weihnachten, wenn das Fest vielleicht doch nicht hält, was wir uns von ihm erhofft und versprochen hatten:
Der Gott, der uns heute verkündet wird, teilt unser Leben in Größe und Elend. Er kennt auch unsere Angst.
In den Unterbrechungen, gerade da, wo wir stocken und nicht mehr weiterwissen im Text, zeigt er sich an unserer Seite. Er spricht mit der Stimme unseres Herzens, das weiter sieht als unsere Vernunft und das uns Wege weist, wo es von uns her nicht mehr weitergeht.
Heute, an Weihnachten, ist, wie damals den Hirten, allen Menschen mit hörendem Herzen ein Kind zum Zeichen gegeben:
In seiner Armut und Angewiesenheit sollen wir Gottes Liebe erkennen, die sich entäußert und hingibt, um in der Welt und bei den Menschen zu sein.
Wenn wir uns davon berühren lassen und uns öffnen: „come in", wird diese Kind, nicht nur an Weihnachten, fortan mitspielen im Spiel unseres Lebens,
das weitergeht und das doch nicht mehr ist wie zuvor.
Amen