Sehr geehrte Frau Staatssekretärin Hagedorn,
sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Ebling,
sehr geehrter Herr Bischof Kohlgraf
meine sehr geehrten Damen und Herren,
im rechten, dem südöstlichen Chorfenster unserer Kirche ist –unschwer an seinem roten Ornat, der Krone und der unvermeidlichen Harfe zu erkennen – König David zu sehen. Und unmittelbar darüber die Darstellung eines Gekreuzigten: der leidende Gottesknecht, in dem Israel seine Geschichte gespiegelt sieht. Ist er auch der verheißene Spross aus Davids Stamm, den in ihm die Christen erkennen?
Unter der Kreuzigungsszene entdeckt man in diesem Fenster dann auch das Motiv der diesjährigen Wohlfahrtsmarke:
Die Frau und das Kind und zart angedeutet, wie zurückgenommen in das Geheimnis Gottes, aus dem er stammt, den Engel. Und man kann dann gar nicht umhin, in dieser Frau Maria zu sehen und in dem Kind, das sie im Arm hält, Jesus, dessen wunderbare Geburt ihr der Engel verkündet hatte.
Schaut man dann weiter, hinüber zum linken Chorfenster, begegnet der Engel noch einmal. Die Frau aber, der er sich zuwendet, ist nicht Maria, sondern Sara, die Frau des Abraham, die vom Herrn ein Kind erbittet: Chagall nimmt uns mit an den Uranfang biblischer Überlieferung, in die Geschichte vom Vater des Glaubens, von Abraham und seinen Nachkommen, mit der er im mittleren Fenster sein Panorama der Heilsgeschichte begonnen hatte.
Die Bilder in dieser Kirche sind durchlässig.
Nicht nur für das Licht, mit dem sie gemalt sind.
Die Motive biblischer Botschaft, wie Marc Chagall sie für St. Stephan gestaltet und einander zugeordnet hat, verweisen aufeinander und weisen über sich hinaus in ein Ganzes hinein.
Die Grenzen der Unterscheidung, wie wir sie in unserer Dogmatik gerne ziehen, sind in ihnen durchlässig geworden:
Der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, der Gott des Mose ist auch der Gott Jesu Christi. Und er ist zugleich das Geheimnis am Grund aller Geschichte und allen Lebens, das unser Begreifen übersteigt und sich in kein Bild bannen lässt, und auf das die blaue Farbe verweist, die durch jedes Motiv dieser Fenster hindurchscheint und von der sie alle getragen sind.
„In ihm", dem „unbekannten Gott", sagt der Apostel Paulus, „leben wir, bewegen wir uns und sind wir".
Als diese Fenster vor 40 Jahren nach St. Stephan kamen, wurden sie nicht nur als ein beeindruckendes Kunstwerk wahrgenommen und bewundert. Sie wurden auch als Symbol der Versöhnung begrüßt.
Marc Chagall, der Jude und Künstler, hatte aus seiner Vision der Biblischen Botschaft, ein Werk geschaffen, das zum Frieden ruft und auch für sich selbst die Grenzen, die der Hass der Nazis und die Zerstörung des Krieges aufgerissen hatten, überwunden und hinter sich gelassen.
Die Fenster von St. Stephan erzählen von einem Gott, der so viel größer ist. Und von dem uns eine Ahnung berührt, wenn wir uns öffnen und weit werden.
Seit Jahrzehnten steht Monsignore Klaus Mayer, Initiator des Projekts und Freund des Künstlers ganz im Dienst dieses Werkes. Unzähligen Menschen hat er die Friedensbotschaft der Chagallfenster seither in seinen Meditationen erschlossen.
Aber auch die Gemeinde St. Stephan weiß sich dem Schatz, den sie hütet verpflichtet und von ihm in Anspruch genommen: Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am Schriftenstand in der Kirche, die Ehrenamtlichen der Gemeinde, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, die zahlreichen Besucher aus aller Welt gastfreundlich zu begrüßen und ihnen die Bildwelt Chagalls nahezubringen, - wir alle freuen uns und sind dankbar, dass der Kunstbeirat des Bundesfinanzministeriums ein Motiv aus St. Stephan für die diesjährige Wohlfahrtsmarke ausgewählt hat.
Der Engel, die Frau und das Kind, das sie im Arm hält.
Wenn wir dieses Bild als Christen betrachten, werden wir es schnell als Weihnachtsbild deuten.
Auch –oder gerade – so weist auch dieses Motiv über sich selbst hinaus und in das Ganze der Biblischen Botschaft hinein:
Mit Maria sind alle gemeint!
Allen schenkt Gott seine Zuwendung und sendet ihnen den Engel, der sie stärken soll, als Menschen des Friedens und der Versöhnung, des Vertrauens in die Güte als tragenden Grund zum Segen für den Anderen zu werden und etwas von Gottes Menschenfreundlichkeit „zur Welt zu bringen".
Es ist schön, dass diese Botschaft der Kirchenfenster von St. Stephan nun mit der Weihnachtspost in die ganze Welt getragen wird!