Karfreitag - Pfr. Stefan Schäfer

Datum:
Fr. 3. Apr. 2015
Von:
Pfr. Stefan Schäfer

Karfreitag - Pfr. Stefan Schäfer
 
Liebe Schwestern und Brüder,

„Und er neigte das Haupt und gab den Geist auf."
Die Liturgie des Karfreitags sieht, nachdem dieser Satz gelesen worden ist, eine Gebetsstille vor: Jesus ist tot. Und in denen, die im Hören und innerlichen Mitgehen der Passion ihn auf seinem Leidensweg begleitet haben, soll in dieser Stille die Erschütterung angesichts des Geschehenen nachklingen.
Was geht uns dann durch den Kopf oder das Herz?
Wir waren Zeugen im Drama menschlicher Schuld: In einen Abgrund der Gewalttätigkeit haben wir geschaut, die immer wieder neu unschuldige Opfer fordert. Der Mitleidslosigkeit, der kalten Neugier, der Schadenfreude, der Schaulust, die sich weidet am Leid des andern, sind wir begegnet. Auch der Feigheit und dem Verrat, die sich lieber auf die Seite der vermeintlichen Sieger schlagen, als es beim Opfer auszuhalten. Und in alledem sind wir irgendwie auch uns selbst begegnet, haben einen Blick in die eigenen Abgründe getan:
„Was du, Herr, hast erduldet, ist alles meine Last. Ich, ich hab es verschuldet, was du getragen hast."

Wir sind der ganzen Hinfälligkeit und Zerbrechlichkeit unseres Lebens begegnet. Wir haben ein Sterben begleitet. Waren Zeugen der Schmerzen, mit denen das verbunden sein kann. Und haben dabei vielleicht an Menschen gedacht, die wir kennen und lieben, die ihren eigenen Kreuzweg gegangen sind oder ihn gerade gehen. An Ängste und Verzweiflung und bittere Klagen. Oder an Menschen, denen, wie Maria, der Tod das Liebste raubt und denen der Boden unter den Füssen weggezogen wird. Deren Hoffnungen und Lebensperspektive zerstört sind, weil die blinde Macht des Todes in ihr Leben eingebrochen ist und nichts als Schmerz und Trauer hinterlassen hat.
Und vielleicht haben wir uns auch gefragt, was uns selbst noch bevorsteht und wie wir es wohl bestehen werden.
Jesus ist tot. Und in der Stille, die eintritt begegnen wir uns selbst: „Ecce homo"-seht den Menschen!

Vor einer Woche haben wir unter dem Kreuz am Heiligen Grab im Westchor unserer Kirche einen eigenen Ort des Gebets eingerichtet: „Wir beten für die Opfer des Flugzeugabsturzes in den Alpen.", heißt es da. „Wir beten auch für die Familien, Angehörigen, Schulkameraden und für alle Opfer von Unglücken und Katastrophen."
Die Überschrift über dieser Gebetseinladung lautet: „Mitten im Leben sind wir vom Tod umfangen".
Das sind wir: in unserem Leben, in unseren Freuden und Hoffnungen immer auch ausgesetzt, verletzlich und bedroht und letztlich vom Tod umfangen.
„Ecce homo"- seht den Menschen

Ist das alles? Wo ist Gott?
„Und er neigte sein Haupt und gab den Geist auf"."
In die Stille, in der die Erschütterung nachklingt und Gott zu schweigen scheint, dringt eine andere Stimme. Leise und überhörbar. Eine Stimme tastender Hoffnung:
„Wahrhaftig, dieser Mensch war Gottes Sohn!"
Die christliche Botschaft mutet uns zu, an einen Gott mitten in dieser Welt des Todes zu glauben. Das Zeichen dieses Glaubens ist der gekreuzigte Gott. Nicht der strahlende Held und triumphierende Sieger, sondern der gekreuzigte Gottessohn mit der Dornenkrone. Nicht ein Gott, der unberührbar und unverletzlich über dem Leiden der Menschheit steht, sondern ein Gott, der zum Mitleiden entschlossen ist und jeden Schmerz mit uns teilt. Er geht die dunklen Wege unserer Ohnmacht mit. Er verzichtet am Ölberg auf das Schwert und auf den Machterweis der Engel Legionen. Die Spötter und Gaffer unter dem Kreuz fordern ihn auf: „Wenn du der Sohn Gottes bist, dann zeig was du kannst und steig herab vom Kreuz. Einem Gottessohn kann doch nichts passieren!" Er aber hat sich festgelegt und festnageln lassen auf seine Solidarität mit den Menschen. Er hat sich ganz auf uns eingelassen. Auf die Größe und auf das Elend unseres Lebens. Diesem Gottessohn wird alles passieren, alles widerfahren, was einem Menschen nur widerfahren und begegnen kann und alles angetan werden, was die Mächte des Bösen und des Todes uns antun können.
Sie war von Anfang an und ist immer noch anstößig, ein „Ärgernis und eine Torheit": diese Botschaft vom gekreuzigten Gott.
Denen die ihr Leben im Glauben auf sie gründen werde sie, schreibt Paulus, zur Erfahrung von Gottes „Kraft" und seiner „Weisheit" (1 Kor 1,22-24): Gerettet und erlöst sind wir nicht durch die Macht der Mächtigen, sondern durch die Teilnahme Gottes an unserer Ohnmacht, durch sein Mitleiden und seine Treue bis in den Tod. Gerettet sind wir durch Gottes Liebe, die bis zum Letzten geht, sich ganz entäußert, um dem Geliebten nahe zu sein.
Im Blick auf den Gekreuzigten wird das Leiden nicht verklärt. Es wird noch nicht einmal erklärt. Es wird nicht behauptet, es habe einen Sinn und gar aus sich heraus eine erlösende Kraft.
Aber es ist auch nicht mehr schlechthin der Ausdruck der Gottesferne und -verlassenheit. Es ist in Gott selbst eingeschrieben. Als der Gekreuzigte leidet er unseren Schmerz und trägt er unsere Wunden. Und umgekehrt: In unserem Leid ist er uns nahe. Das Kreuz ist der letzte Ausdruck dafür, wie sehr Gott selbst sich in das Leid der Welt hineingibt und auf der Seite derer steht, die zu ohnmächtigen Opfern werden, derer die auch heute trauern und vom Schmerz überwältigt sind:
Wenn er in diesen Tagen irgendwo ganz gewiss anzutreffen war, dann bei den Angehörigen der Opfer des Flugzeugabsturzes in den Alpen und denen, die ihnen versucht haben beizustehen.
Die Botschaft vom Kreuz gibt keine Antwort auf die Fragen, die wir angesichts der Kreuze in unserem Leben und in dieser Welt haben. Sie wirft kein Licht auf das „Warum" des Leidens der Unschuldigen, von Katastrophen und all der Zerstörungsmacht der Mächte des Todes mitten im Leben.
Aber sie kann ein Trost sein mitten im Leid. Sie spricht uns von einem Gott der Liebe ist. Und das wäre keine Liebe, wenn sie nicht mitfühlen, mitleiden würde mit dem Leid des Geliebten. Sie spricht von einem Gott, der uns nicht nur dann nahe ist, wenn wir glücklich sind. Dem unser Schmerz selbst eingeprägt ist, dem unser Schmerz gegenwärtig und der in unserem Schmerz gegenwärtig ist. Das Kreuz spricht von seiner Nähe noch im Abgrund unserer letzten Einsamkeit: Selbst noch die Nacht der Gottverlassenheit hat er am Kreuz mit uns geteilt.
Nach dem Bericht von Jesu Tod sieht die Liturgie des Karfreitags eine Zeit der Stille vor: Wo ist Gott in diesem Sterben? Wo ist er in dieser Welt des Todes? Er schweigt.
Die Kreuzesbotschaft fordert uns heraus, dieses Schweigen Gottes nicht als Ausdruck seiner Abwesenheit zu deuten und darüber zu verzweifeln, sondern es als den Raum des Geheimnisses Gottes anzunehmen, in den hinein wir im Glauben uns loslassen und überschreiten sollen.
„Ecce homo"- seht den Menschen: In Größe und Elend, Freude und Leid, im Leben und im Tod getragen vom Geheimnis der Liebe, der wir vertrauen und von der wir hoffen, dass sie unsere Tränen kennt und sie einmal abwischen wird von jedem Gesicht, dass sie das Verlorene rettet, dass ihre Ohnmacht mächtig ist und stärker, so stark, dass sie den Tod besiegt.
Amen