Liebe Schwestern und Brüder,
vom Glauben und vom Zweifel handelt eine jüdische Weisheitsgeschichte, die Martin Buber aufgezeichnet hat.
Sie geht so:
„Ein Aufklärer, ein sehr gelehrter Mann, suchte den Rabbi auf, um auch mit ihm, wie er´s gewohnt war, zu disputieren und seine rückständigen Beweisgründe für die Wahrheit seines Glaubens zuschanden zu machen. Als er die Stube des Rabbi betrat, sah er ihn, ein Buch in der Hand, in begeistertem Nachdenken auf und ab gehen. Des Ankömmlings achtete er nicht.
Schließlich blieb er stehen, sah ihn flüchtig an und sagte: „Vielleicht ist es aber wahr."
Der Gelehrte nahm vergebens all sein Selbstgefühl zusammen; zu tief hatte ihn dies schlichte Wort erschüttert.
Der Rabbi aber wandte sich ihm nun völlig zu und sprach ihn an:
„Mein Sohn, die Großen der Thora, mit denen du gestritten hast, haben ihre Worte an dich verschwendet. Du hast, als du gingst, nur darüber gelacht. Sie haben dir Gott und sein Reich nicht auf den Tisch legen können. Und auch ich kann es nicht.
Aber, mein Sohn, bedenke, vielleicht ist es wahr."
Der Aufklärer bot seine innerste Kraft zur Entgegnung auf; aber dieses kleine Wort „vielleicht", das ihm da Mal um Mal entgegenscholl, brach seinen Widerstand."
„Vielleicht ist es aber wahr."
Es sind nur ein paar Verse in den Evangelien, die uns Grund geben, heute zusammenzukommen und Ostern zu feiern als Fest unserer Hoffnung.
Jahre, gar Jahrzehnte erst aufgezeichnet, nachdem sich im Kreis der Jüngerinnen und Jünger Jesu etwas ereignet hat, das sich nicht mehr recht fassen lässt.
Und um diese Erfahrung dann doch in Worte zu kleiden und von ihr zu erzählen.
Mögen seitdem die Theologen auch jeden Buchstaben der Ostergeschichten hin- und her gewendet haben und das System ihrer Glaubenssätze fein darum gesponnen:
Sie können uns doch Gott und sein Reich nicht auf den Tisch legen. Auch ich kann es nicht. Niemand kann das.
Harte Fakten sind es jedenfalls nicht, auf die wir setzen, wenn wir das Osterhalleluja anstimmen. Eher sind es Gründe des Herzens, das freilich oft weiter und tiefer sieht als unsere Vernunft, die uns darin einstimmen lassen.
„Vielleicht ist es aber wahr"
Weil es uns unbefriedigt lässt und die Sehnsucht am Grund unseres Herzens nicht stillt, uns mit den bloßen Fakten zu begnügen und mit dem, was der Fall ist,
mit dem Kreuz und dem Grab,
mit den Grenzen dieses kleinen Lebens und dem kleinen Glück, das darin angeblich dem Tüchtigen winkt,
- deshalb hat dieses Wörtchen „Vielleicht" eine so gewaltige Macht:
Es macht einen Riss in eine scheinbar für allemal in sich geschlossene Welt!
Wir hören von den Frauen am Grab. Von ihrer Trauer und Ratlosigkeit. Wir ahnen, wie ihnen zumute ist. Manche kennen es aus eigener schmerzlicher Erfahrung: Wie es ist, wenn ein Verlust einem den Boden unter den Füßen wegreißt, alle Hoffnung mit einem Mal zerbricht und sich die Frage stellt, welchen Sinn das Leben jetzt noch haben soll.
Es ist eine Realität unseres Lebens, dass es zerbrechlich ist und bedroht. Es ist ein Faktum, dass alles, auch die die wir lieben, ein Verfallsdatum trägt. Und dass unsere Wege einmal am Grab enden werden.
„Vielleicht ist es aber wahr", was uns da heute erzählt und verkündet wird. Über alle Realitäten des Lebens hinaus.
Vielleicht ist es wahr und wir werden, wenn wir selbst hilflos am Ende stehen – „wer wälzt uns den Stein vom Grabe fort?" – gerade dort noch einmal erwartet:
Nichts ist verloren, sagt der Engel den Frauen am Grab, eure Hoffnung, der Sinn, der an der Härte der Welt zerbrochen schien, der, den ihr sucht, alles ist geborgen und gerettet bei Gott.
„Vielleicht ist es aber wahr."
Und dann wäre der Mensch, dieses seltsame Wesen, das mit seinen besten Kräften, seiner Hoffnung und Liebe, seinem Fragen und Suchen immer schon über die Grenzen dieser endlichen Welt hinausgreift, doch nicht nur eine Laune der Evolution;
in diesem Leben gefangen wie in einer absurden Todesfalle, weil er darin und darüber hinaus immer wieder nach dem strebt, was ihm die Welt nicht geben kann.
Vielleicht ist es wahr, was der Glaube sagt und wir sind so und in dieser Welt nicht ganz zuhause, weil da doch ein Gott ist, der uns ruft und lockt und uns eine Sehnsucht in die Seele gelegt und in einen Dialog mit sich gestellt hat.
Der uns beim Namen kennt und nicht vergisst.
Und dass wir deshalb eine Würde haben,
nicht nur einen „Wert", wie er auf dem Markt errechnet werden kann, nach dem Maßstab der Leistungs- und Konsumfähigkeit,
sondern eine Würde, unverlierbar, auch noch in unserem Scheitern, auch dann noch, wenn uns alle Möglichkeiten genommen sind.
„Vielleicht ist es aber wahr."
Den Frauen am Grab, den Jüngern und uns wird heute verkündigt, dass der Gekreuzigte lebt. Gott hat seinen Boten und seine Botschaft ins Recht gesetzt und bestätigt.
Er offenbart sich als der Gott Jesu Christi:
Als der Gott einer rückhaltlosen Entschiedenheit für den Menschen,
der Zuwendung zu den Kleinen und Schwachen, den Sündern und sonst wie an den Rand Geratenen,
als der Gott, der den Armen aus dem Schmutz zieht und ihn rettet.
Und der einmal die Tränen abwischen wird von jedem Gesicht.
„Vielleicht ist es wahr"
Dann aber läuft es im Leben eben doch nicht nur darauf hinaus, sich durchzusetzen und stärker zu sein. In einem ständigen Kampf, bei dem doch meistens die Falschen siegen und der Gerechte immer wieder auf´s Kreuz gelegt wird.
Dann ist uns in Christus der Maßstab für ein anderes Lebens gegeben:
Dann dürfen wir im Blick auf ihn, den Gekreuzigten, der auferstanden ist, von der Hingabe mehr erwarten als von der Selbstbehauptung und messen unser Leben, seine Bedeutung, den Sinn daran, ob wir ihm in den geringsten unserer Brüder und Schwestern begegnet sind.
„Vielleicht ist es aber wahr."
Vielleicht!
Sollte man in einer Osterpredigt nicht triumphierendere Töne erwarten?
Aber dieses „Vielleicht" unseres Glaubens ist nicht zu verwechseln mit einer achselzuckenden Gleichgültigkeit, die sich scheut Position zu beziehen, weil es immer auch anders sein könnte.
Es ist das Bekenntnis eines Glaubens, der sich den Realitäten stellt und sich nicht in eine heile Welt flüchtet, die es nicht gibt.
Die Osterbotschaft selbst geht ja nicht über die Fakten hinweg: Über das Kreuz und das Grab. Als wäre der Karfreitag am Ostermorgen vergessen. Die Frauen erschrecken vor der unerhörten Botschaft des Engels. Und zögernd tastet Thomas sich durch seine Zweifel hindurch, bis er im Auferstandenen den Gekreuzigten wiederfindet. Weil er sich seinen Fragen stellt, kommt er staunend zum Glauben: „Mein Herr und mein Gott."
Stimmen wir also das Osterlob an.
Es ist ein Lied gegen die Resignation, die nichts mehr erwartet und den Zynismus, der zur Anpassung rät an das, was nun einmal der Fall und doch nicht zu ändern ist.
Stimmen wir es an, durchaus mit Fragen im Herzen.
Aber mit dem Atem christlicher Hoffnung, des Glaubens und der Liebe:
„Vielleicht ist es wahr."
Es geht ein Riss durch unsere scheinbar in sich geschlossene Welt.
Und wir spüren ihn wohl gerade dann, wenn wir nicht weiterwissen, wenn wir unseren Fragen standhalten, obwohl es für sie von uns her keine Antwort mehr gibt.
Durch ihn fällt spaltbreit das österliche Licht.
Und der Auferstandene tritt auf uns zu.
Er geht uns voraus und bahnt uns einen Weg:
In der Enge unseres Erdenlebens dürfen wir uns als Menschen des Vertrauens und der Hoffnung begreifen, die, wie der Apostel sagt, „für Gott leben in Christus Jesus".
Amen