Liebe Schwestern und Brüder,
sein letztes Weihnachtsfest verbringt Alfred Delp im Gefängnis Tegel. Er wartet auf seinen Prozess, der, wie er schon ahnt, mit dem Todesurteil enden wird.
In diesen Wochen zwischen Hoffen und Bangen meditiert er das Geheimnis der Weihnacht.
Er notiert Betrachtungen, die versuchen, es für seine persönliche Situation und für die Situation der Zeit auszulegen:
„ In diesem Jahr" – man schreibt das Jahr 1944 und die Verwüstungen des Krieges haben längst schon die deutschen Städte erreicht – „sind die Versuchungen zum Idyll wohl weniger groß. Die Härte des Lebens hat uns mit früher unvorstellbarer Wucht gepackt. Und mancher, dessen Wohnung nicht einmal den Kälteschutz des Stalls von Bethlehem mehr aufbringt, vergisst die Idylle von Öchslein und Eselein und kommt vielleicht vor die Frage, was nun eigentlich geschehen ist."
Und der Blick auf das, was da „nun eigentlich geschehen ist", lässt Alfred Delp dann ein Gebet formulieren:
„Herr, lass uns aufatmen. Aufatmen, weil das Leben wieder Grund spürt, weil die Perspektive wieder frei ist."
Es ist schon erstaunlich: Ein gefesselter Mann, mit einer lebensbedrohlichen Anklage konfrontiert, der mit seiner baldigen Hinrichtung rechnen muss, spricht davon, dass er wieder Grund spürt und eine freie Perspektive wahrnimmt.
In der äußersten Bedrängnis seiner Zelle erweist sich ihm die Tragkraft des Glaubens an den menschgewordenen Gott.
Mir ist völlig bewusst, dass dieses Zeugnis eines der großen christlichen Märtyrer unserer Zeit uns Durchschnittschristen zunächst überfordert und ratlos zurücklässt.
Und doch:
Vielleicht kann es uns helfen an diesem zweiten Weihnachtsfeiertag, der ja auch schon wieder so etwas wie den Übergang in unseren Alltag mit seinen Konflikten und Krisen markiert, auch für uns noch einmal auszuloten, was wir da denn „nun eigentlich" miteinander gefeiert haben.
Wenn es denn wahr ist und nicht nur ein frommes Idyll, an dem wir uns vorübergehend aufrichten, wenn wir es glauben: dass Gott, wie Karl Rahner es einmal formuliert hat, sein letztes und tiefstes Wort im fleischgewordenen Wort in diese Welt hineingesagt hat, dann haben wir wirklich Grund unter den Füssen.
Es ist ein Wort, das nicht mehr rückgängig gemacht werden kann, weil es Gott selbst in der Welt ist. Und dieses Wort heißt: ich liebe dich, du Welt und du Mensch.
Nichts, was da noch auf uns zukommen mag, vermag uns mehr diesen Boden zu entziehen.
Zugleich eröffnet diese Botschaft dem Leben seine Perspektive:
Gott hat sein Wort ausgesprochen. Die Zeit unseres Lebens, die uns gegeben ist, ist die Zeit, in der wir ihm antworten.
Die Aufgabe, die sich uns stellen, die Menschen, die uns anvertraut sind, auch die Auseinandersetzungen und Konflikte, in die wir geraten, auch das Schicksal, mit dem wir vielleicht manchmal hadern möchten, fordern uns heraus, aus dem Vertrauen zu antworten, dass in allem Gott uns nahekommen will
An Weihnachten öffnet sich der Himmel über der Welt und dem Menschen.
Nach Weihnachten, wenn Sie so wollen, beginnt die Bewegung, in der wir uns selbst und unsere Welt dem Himmel zu öffnen versuchen.
Darin ist nun auch der Heilige des heutigen Tages ein Deuter des Weihnachtsgeheimnisses:
Sein Zeugnis für den menschgewordenen Gott bringt ihn in tödlichen Konflikt. Darin aber, dass er im Augenblick der größten Bedrängnis noch fähig ist für seine Mörder zu beten, wird Stephanus wirklich zum Glaubenszeugen:
Für den, der glaubt, dass sich die Liebe Gottes vorbehaltlos auf diese Welt eingelassen hat, gibt es grundsätzlich keine Situation mehr, die nicht auf das Erbarmen hin aufgebrochen werden, in der nicht die Bereitschaft zur Versöhnung über alle Gestalten des Hasses und des Todes siegen könnte.
Der zweite Weihnachtsfeiertag entlässt uns in den Alltag unseres Lebens, in dem wir versuchen, unseren Glauben an den nahegekommenen Gott zu leben.
Manchmal wird es uns schwerfallen zu glauben, dass der Himmel wirklich über uns offen ist.
Alfred Delp schreibt in der dunklen Nacht, die er zu durchstehen hatte:
„So kann es geschehen, dass auch dieser Stall unseres Lebens, diese Trümmer und Fetzen Ort und Stunde einer neuen Heiligen Nacht werden.
Nicht die Nacht soll uns schrecken, nicht die Not ermüden.
Wir werden immer warten und wachen und rufen,
bis der Stern aufgeht."
Amen