Ab 1730 können wir den Übergang von der reinen Wallfahrt zu einem Rochusfest verzeichnen. Anfangs war es nur eine "Zapfhütte", die die Möglichkeit zu einem Weingetränk bot. Das änderte sich, als im Jahr 1766 zum 100-jährigen Bestehen der Rochuswallfahrt, die Feierlichkeiten auf eine ganze Woche ausgehnt wurden, die Geburtsstunde der Rochusoktav. Jetzt besuchte man eine Andacht oder Messe auch während der Woche und blieb länger auf dem Rochusberg und so durften auch weitere Weinzelte und Essensstände aufgeschlagen werden, das dürfte die eigentliche Geburtsstunde des Rochusfestes sein. Die alte Binger Tradition mit Weck, Wurst und Wein fand ihren Einzug.
Im Jahr 1766 empfingen während der 8-tägigen Festlichkeiten etwa etwa 4000 Gläubige die hl. Sakramente und der Verwalter der rochuskapelle nahm aus dem Verzapf von Wein etwa 120 Gulden ein. Bei den damaligen Weinpreisen sind das etwa 2400 Schoppen Wein, die hauptsächlich von Männern getrunken wurden, insofern könnte die Anzahl der Rochusfestbesucher bei 4000 bis 5000 Personen (ohne Kinder) gelegen haben.
Eine erste ausführliche Beschreibung eines solchen Rochusfestes erhlaten wir von Goethe, als er am 16. August 1814 das Binger Rochusfest besuchte.
Nun wurden wir aber sogleich gewahr, dass wir uns dem Lebensgenusse näherten. Gezelte, Buden, Bänke, Schirme aller Art standen hier aufgereiht. Ein willkommener Geruch gebratenen Fettes drang uns entgegen. Beschäftigt fanden wir eine junge tätige Wirtin, umgehend einen glühenden, weiten Aschenhaufen, frische Würste – sie war eine Metzgerstochter – zu braten. Durch eigenes Handreichen und vieler flinker Diener unablässige Bemühung, wusste sie einer solchen Masse von zuströmenden Gästen genugzutun.
Auch wir, mit fetter dampfender Speise nebst frischem trefflichem Brot reichlich versehen, bemühten uns, Platz an einem geschirmten, langen, schon besetzten Tische zu nehmen. Freundliche Leute rückten zusammen, und wir erfreuten uns angenehmer Nachbarschaft, ja liebenswürdiger Gesellschaft, die von dem Ufer der Nahe zu dem erneuten Fest gekommen war. Muntere Kinder tranken Wein wie die Alten. Braune Krüglein (Anmerkung: 1/2 Schoppen fassend), mit weißem Namenszug des Heiligen (St. R.), rundeten im Familienkreise. Auch wir hatten dergleichen angeschafft und setzten sie wohlgefüllt vor uns nieder. Da ergab sich nun der große Vorteil solcher Volksversammlung, wenn, durch irgendein höheres Interesse, aus einem großen, weitschichtigen Kreise so viele einzelne Strahlen nach einem Mittelpunkt gezogen werden. Der Genuss des Weins war durch unsere Gespräche nicht unterbrochen. Wir sendeten unsere leeren Gefäße zu dem Schenken, der uns ersuchen ließ, Geduld zu haben, bis die vierte Ohm (Anmerkung: 4. Fass mit 160 Liter; rheinhessisches Maß) angesteckt sei. Die dritte war in der frühen Morgenstunde schon verzapft. Niemand schämt sich der Weinlust, sie rühmen sich einigermaßen des Trinkens. Der Hauptgegenstand alles Gesprächs war der Wein. Da erhebt sich denn sogleich ein Streit über den Vorzug der verschiedenen Gewächse, und hier ist erfreulich zu sehen, dass die Magnaten unter sich keinen Rangstreit haben. Hochheimer, Johannisberger, Rüdesheimer lassen einander gelten, nur unter den Göttern minderen Ranges herrscht Eifersucht und Neid. Hier ist denn besonders der sehr beliebte Aßmannshäuser Rote vielen Anfechtungen unterworfen. Einen Weinbergsbesitzer von Oberingelheim hört' ich behaupten, der ihrige gebe jenem wenig nach. Der Eilfer solle köstlich gewesen sein, davon sich jedoch kein Beweis führen lasse, weil er schon ausgetrunken sei. Nun rühmte dagegen die Gesellschaft von der Nahe einen in ihrer Gegend wachsenden Wein, der Monzinger genannt. Er soll sich leicht und angenehm wegtrinken, aber doch, ehe man sich's versieht, zu Kopfe steigen.
Auch unsere braunen Krüglein kamen wiederum gefüllt zurück, und als man die heiteren weißen Namenszüge des Heiligen überall so wohltätig beschäftigt sah, musste man sich fast schämen, die Geschichte desselben nicht genau zu wissen, ob man gleich sich recht gut erinnerte, dass er, auf alles irdische Gut völlig verzichtend, bei Wartung von Pestkranken auch sein Leben nicht in Anschlag gebracht habe. Nun erzählte die Gesellschaft, dem Wunsche gefällig, jene anmutige Legende, und zwar um die Wette, Kinder und Eltern sich einander einhelfend. Diese friedliche Geschichte ruhig zu vernehmen, war kaum der Ort. Denn in der Tischreihe stritten mehrere schon längst über die Zahl der heute Wallfahrenden, und Besuchenden. Nach einiger Meinung sollten zehntausend, nach anderen mehr und dann noch mehr auf diesem Hügelrücken durch einander wimmeln. Ein österreichischer Offizier, militärischem Blick vertrauend, bekannte sich zu dem höchsten Gebote. Noch mehrere Gespräche kreuzten sich. Verschiedene Bauernregeln und sprüchwörtliche Wetterprophezeiungen, welche dies Jahr eingetroffen sein sollten, verzeichnete ich ins Taschenbuch, und als man Teilnahme bemerkte, besann man sich auf mehrere. Man freute sich über diese glückliche Genügsamkeit. Indessen steht manche Gesellschaft gleichgültig auf, den fast unübersehbaren Tisch verlassend, andere grüßen und werden gegrüßt, so verliert sich die Menge nach und nach. Nur die zunächst Sitzenden, wenige wünschenswerte Gäste, zaudern, man verlässt sich ungern, ja man kehrt einigemal gegen einander zurück, das angenehme Weh eines solchen Abschieds zu genießen, und verspricht endlich, zu einiger Beruhigung, unmögliches Wiedersehen. Außer den Zelten und Buden empfindet man leider in der hohen Sonne sogleich den Mangel an Schatten, welchen jedoch eine große neue Anpflanzung junger Nussbäume auf dem Hügelrücken künftigen Urenkeln verspricht. Möge jeder Wallfahrende die zarten Bäume schonen, eine löbliche Bürgerschaft von Bingen diese Anlage schirmen, durch eifriges Nachpflanzen und sorgfältiges Hegen ihr, zu Nutz und Freude so vieler Tausende, nach und nach in die Höhe helfen.
Ebenfalls zahlreich war die Anzahl der Wallfahrer am 19. August 1866, zum 200-jährigen Jubiläum der Erbauung der Kapelle.
Zu dieser Zeit Zeit zog am frühen Morgen die Prozession von der Pfarrkirche zur Rochuskapelle, wo schon ein reges Leben herrschte. Von allen Seiten kamen Wallfahrtsgruppen hinzu. Man feierte das Hochamt mit der Festpredigt und empfing die heiligen Sakramente. Doch dann war es Zeit die traditionelle Bratwurst in einem Traubenblatt, einen Binger Schoppen und einen Wasserweck als Labsal zu sich zu nehmen. Denn schon hieß es mit der Prozession wieder zurück zur Pfarrkirche herunterzusteigen.
Diese Zeichnung von Emil Limmer zeigt das Rochusfest bei regnerischem Wetter, wo man sich unter einer Zeltplane zu einem Umtrunk versammelt hat, aber nicht bei Wein sondern offenbar bei Bier.
Rochusbecher / Rochuskrüge gab es schon sehr früh, sie wurden auch Dippchen genannt.
Die oberen zwei Krüge aus den Jahren 1929 bzw. 1932 wurden hergestellt vom Töpfermeister Schmolter aus Bingen bzw. Töpfermeister Heinrich Hangen aus Bingerbrück.
Jahrhundertelang tranken die Pilger auf dem Rochusfest den Wein nicht aus einem Allerweltsbecher, sondern aus chrakteristischen Rochuskrügen, die die Binger Häfner nach Bedarf herstellten. Der Rochuskrug auf den Tischen war ein Zeichen der Zusammen-gehörigkeit von Frohsinn und Frömmigkeit. Auch Goethe trank 1814 aus so einem Krug und war davon so angetan, dass er es in seiner Beschreibung des "Sankt-Rochus-Fest in Bingen" besonders erwähnte; man trank aus braunen Krüglein mit weißem Namenszug des Heiligen.
Das Binger Rochusfest braucht dieses Symbol der Zusammengehörigkeit. Und so ließ die Binger Rochusburderschaft im Jubiläumsjahr 1995 wieder St. Rochi-Weinbecher und St. Rochi-Bierkrüge anfertigen. Ein historisches Element mit tiefem Sinn wird damit wieder lebendig. Die Rochusbecher sind handliche 0,2-Liter-Weinbecher aus Ton, innen glasiert, die den Wein angenehm kühl halten, und außen mit einer Gravur des Bildes der Rochuskapelle geschmückt.
Sie sagen dem Besucher des Rochusfestes:
"Wir löschen unseren Durst, wir sitzen in fröhlischer Runde zusammen, nicht auf irgendeinem Volksfest, sondern wir feiern das Rochusfest."
Das meinte Pater Dr. Krasenbrink.