Schmuckband Kreuzgang
Rochusstatue 1892 (c) Foto: Rochusbruderschaft

Rochusbruderschaft - Gründungsgeschichte

Der Volksheilige Rochus

Rochus von Montpellier wurde in Montpellier um 1295 geboren und ist dort auch am 16. August 1327 gestorben. Der Legende nach hat er auf seiner Pilgerfahrt nach Rom vielen Pestkranken geholfen. Gesicherte historische Quellen über ihn gibt es aber nicht. Er wurde von der Katholischen Kirche nie heiliggesprochen, wird aber als Volksheiliger verehrt und zählt in manchen Regien als einer der vierzehn Nothelfer und gilt als Schutzpatron der Pestkranken. In der Zeit der großen mittelalterlichen Pestepidemien genoss er eine große Verehrung im Volk. Bald nach seinem Tode wurde sein Todestag zu einem gebotenen Feiertag erhoben. Ein Teil seiner Reliquien (Gebeine) wurden 1485 nach Venedig gebracht, der größere Teil aber schon im Jahr 1372 mit Erlaubnis des Papstes in die Kirche Trinitarier nach Arles in Frankreich überführt, von wo aus viele kleinere Reliquienteile an zahlreiche Kirchen in Europa verschenkt wurden.

Zur Zeit des großen Konzils von Konstanz (1414-1418) herrschte dort ebenfalls die Pest und deshalb veranstalteten gegen Ende des Konzils die Kirchenfürsten einen Bittgang zu Ehren des hl. Rochus und alsbald war die Pest erloschen. Diese Kunde verbreitete sich durch die Kirchfürsten in ganz Europa. Und so entstanden viele Kapellen und Kirchen, wo Rochus verehrt wurde und wohin Wallfahrten unternommen wurden. Es ist aber auch die Zeit, in der etliche Rochusbruderschaften gegründet wurden (Rom 1498, Bologna 1509, Venedig 1520 ggf. schon 1485, Antwerpen 1563, Turin 1619, Arles 1628 und weitere danach).

Gründung der Rochusbruderschaft

Obwohl die Stadt Bingen in ihrer großen Not im Jahr 1666 um Fürbitte beim hl. Rochus nachsuchte und dazu das Gelübde zum Bau einer Rochuskapelle mit Wallfahrten ablegte, dauerte es doch noch einige Jahrzehnte bis es zur Gründung einer Rochusbruderschaft kam. Die genauen Gründe hierfür kennen wir nicht. Es lag offensichtlich nicht daran, dass das Gelübde so langsam in Vergessenheit geriet oder die Rochuskapelle vernachlässigt wurde oder die Begeisterung für die Wallfahrten immer mehr nachließen. Im Gegenteil, um 1730 verzeichnen wir mit die höchste Anzahl an Wallfahrtsteilnehmern, 8 neue Beichtstühle müssen angeschafft werden und eine Rochusstatue wird im Jahr 1738 angeschafft, die in der Wallfahrtsprozession mit auf den Rochusberg getragen wird. Auch die Rochuskapelle erfuhr in dieser Zeit neue Verzierungen und Ertüchtigungsmaßnahmen, der Tabernakel wurde neu gestaltet und um 1732 mit einer Staffelei einer Reliquie des hl. Rochus ausgestattet, die in eine reichverzierte Monstranz eingesetzt wurde. Weiterhin erhielt der Hochaltar 1743 oben eine große künstlich gestaltete Muschel und 1748 eine kleine Orgel auf der im Jahr 1702 neu errichteten Emporbühne. Offenbar ist es diese Begeisterung und die Erkenntnis der hohen Verantwortung, die es auch für die Nachwelt zu erhalten gilt, die dann schließlich im Jahr 1754 zur Gründung der Binger St. Rochusbruderschaft führte.

Den Auftrag, den sie damit übernahm, hat sie bis heute eingehalten und so sind die Rochuskapelle, die Rochuswallfahrt und die Binger St. Rochusbruderschaft weit über die Binger Land hinaus bekannt und diese haben auch in den Medien einen hohen Stellenwert. Selbst bei medialen Suchen nach Rochuskapelle, Rochuswallfahrt und -bruderschaft ist Bingen bei diesen Begriffen der Maßstab und der Inbegriff. Es zeigt, dass diese damals eingegangene Verpflichtung, von der nicht absehbar war, ob sie über all die Jahrhunderte einhaltbar war, sich durchgesetzt hat und auch heute - trotz veränderter Wertemaßstäbe – weiterhin hohe Anerkennung findet.

Auch wenn wir die Gründe für die Gründung nicht kennen, so ist die Gründungsgeschichte doch recht gut bekannt. Sie wurde in dem Büchlein „Verehrung des heiligen Rochus zu Bingen am Rhein“ von 1880 vom Kaplan Dr. Peter Bruder ausführlich beschrieben. Er schreibt hierzu:

Um sich des Schutzes ihres Patrons in ansteckenden Krankheiten noch mehr zu versichern, und um seiner Verehrung an der ihm geweihten Gnadenstätte für zukünftige Zeiten einen dauerhafteren Bestand zu verleihen, zugleich auch zum ewigen und lebendigen Zeichen ihrer Dankbarkeit gründeten die Binger zu Ehren des hl. Rochus einen religiösen Verein, welchen Papst Benedict XIV., mit Zustimmung des Mainzer erzbischöflichen Generalvikariats, durch besonderes Schreiben zur Würde einer Bruderschaft erhob. Es geschah dies im Jahr 1754. Zwei Jahre später gründete sich unter dem Binger Pfarrer Dr. Jakob Adami noch die St. Josephsbruderschaft.

Bruderschaftsbuch

Das älteste erhaltene Bruderschaftsbuch der Rochusbruderschaft stammt aus dem Jahre 1802 (Pfarrarchiv). Es ist die einzige Quelle für die ersten fünfzig Jahre des Bestehens der Bruderschaft. Die auf dem Titelblatt noch erkennbare Jahreszahl MDCCLIV (1754) wurde zwar später durch eine andere Handschrift in MDCCLIVI (1753 oder 1755) abgeändert, aber die frühesten dort vermerkten Einschreibungen (für die Mitgliedschaft als Rochusbruder) nennen nur das Jahr 1754. Für die Jahre 1753 oder 1755 gibt es keine einzige Einschreibung. Dann werden nur sehr wenige für die Jahre 1756 und 1759 genannt. Deutlich mehr waren es dann im Jahr 1760.

Die ältesten Bücher der Bruderschaft, in denen die Einnahmen, Ausgaben etc. verzeichnet waren, sind abhanden gekommen. Auch die Bulle des Papstes Benedict XIV. ist verloren gegangen.

Für die Mitglieder der Rochusbruderschaft wurden Andachtsbüchlein gedruckt. Das älteste Bruderschaftsbüchlein, das Kaplan Bruder auffinden konnte, stammte aus dem Jahr 1767. Es wurden aber wahrscheinlich schon ab 1754 solche gedruckt. Es hat den Titel: „Die zu grösserer Ehr Gottes unter dem Schutz und Vorsprechung des hl. Beichtigers Rochi errichtete Bruderschaft, welche von Ihrer päpstl. Heiligkeit Benedicto XIV. approbiret, und mit gnädigster Erlaubniß seiner hohen Obrigkeit dahier zu Bingen eingeführet wurde im Jahr 1754. Maynz, gedruckt in der churfürstl. privilegirten Buchdruckerey des Hospitals St. Rochi, durch Joh. Leonhard Ockel 1767.

Rochusbüchlein-um1850 (c) Rochusbruderschaft

Andachtsbüchlein der Ruchusbruderschaft; gedruckt um 1850. Es enthält als Vorwort die Legende des hl. Rochus, dann die Gebete für die einzelnen Teile der Messandacht und einzelne Gesänge, darunter auch das beliebte Rochuslied "Christen, wollt ihr Rochus ehren."

In diesem Andachtsbüchlein von 1767 ist Zweck und Aufgabe der Ruchusbruderschaft niedergelegt worden. Danach scheint schon von Anfang sich die Mitglieder der Bruderschaft in zwei Klassen unterschieden zu haben: in Mitglieder im engeren Sinne, welche die sogenannte Männerbruderschaft bildeten, und in Mitglieder im weiteren Sinne, zu denen Gläubige beiderlei Geschlechts gehörten. Präses der Bruderschaft war der jeweilige Pfarrer von Bingen, unter dessen Aufsicht vom Vorstand das Bruderschaftsvermögen verwaltet wurde.

Zweck der Bruderschaft

„Die erste und Haupt-Absicht dieser Bruderschaft ist die Ehr Gottes; allermassen selbst der Heilige Rochus in seinem sterblichen Leben diesen Entzweck in seinen Verrichtungen hauptsächlich gehabt hat, und in seinem unsterblichen Leben wird er ihn durch die lange Ewigkeit haben.

Die zweite Absicht ist die Verehrung des Heiligen Rochi; diese, wann sie wohl eingericht ist, ist ein überaus diensames Mittel zu dem vorigen Hauptziel; sie ist aber alsdann wohl eingerichtet, wann wir Gott in seinen Heiligen ehren; Allermaßen das Licht, welches wir in dem Heiligen Rocho bewundern, allerdings ein Ausfluß ist desjenigen, welcher von sich selbsten sagt: Ich bin das Licht der Welt.

Die dritte Absicht ist die Nachfolg des heiligen Rochi; Niemahlen werden wir ihm einen beßeren Dienst leisten, als wann wir, durch heiliges Exempel angeflammet, in dem Weeg der Tugenden gleiche Schritt machen.

Die vierte Absicht ist der so geistlich als leiblichen Nutzen, den wir durch die Fürbitt des Heiligen Rochi von dem grundgütigen Gott erwarten; die Christliche Klugheit aber, wird uns sagen, daß wir das rechte Aug auf unsere Seel, das linke aber auf unsern leib wenden müßen; wir würden also gegen den Strohm schiffen, wann wir um die Leibesgesundheit bekümmert wären, indessen aber wenig Achtung hätten auf das geistliche Seelen-Gift, welches uns doch eigentlich nur allein unglückselig machen kann.“

Einen vollkommenen Ablass verlieh Benedict XIV.  unter den gewöhnlichen Bedingungen den Mitgliedern am Tag der Einschreibung, in der Sterbestunde und am St. Rochusfest;

einen Ablass von 7 Jahren und sieben Quadragenen (7 mal 40 Tagen) an den vier Bruderschaftsfesten, wenn sie nach getaner Beichte und empfangener Kommunion die Rochuskirche besuchen und dort für ihr Anliegen beten werden;

einen Ablass von 60 Tagen, so oft sie den Bruderschaftsandachten beiwohnen, einen Armen aufnehmen und beherbergen, Feinde mit einander versöhnen oder dazu helfen, wie auch so oft sie einen zum Grab begleiten, den Prozessionen beiwohnen, das Hochwürdigste Gut  begleiten, wenn sie einen Irrenden auf den Weg des Heils führen, Unwissende lehren oder sonst ein christliches Werk ausüben werden.

Hohes Ansehen der Rochusbruderschaft

Die Errichtung der Bruderschaft wurde von der Stadt und den Bürgern von Bingen und Umgebung freudig begrüßt. Durch die Stadt wurden 50 Gulden für die Bruderschaft gesammelt. Einzelne Bürger und Wohltäter vermachten der Bruderschaft Geld. Schon im Gründungsjahr 1754 haben sich 250 Personen als Mitglieder in das Bruderschaftsbuch eingeschrieben, darunter der Pfarrer Dr. Jakob Adami, die Kapläne, der Bürgermeister Philipp Weisgäns, Ratsherren, Lehrer und Lehrerin, und dann noch Bürger von Bingen (insbesondere Kaufleute und Handwerker), die offenbar die eigentliche Männerbruderschaft bildeten (38 Personen).

Die Festtage der Bruderschaft waren die gleichen wie im Jahr 1880, nur mit dem Unterschied, dass diese damals noch an den im Kirchenkalender festgesetzten Tagen gefeiert wurden. Auch die Regeln der Bruderschaft im weiteren Sinne blieben bis zum Jahr 1880 unverändert.

Von 1755 bis 1784 finden sich im Bruderschaftsbuch über 900 eingeschriebene Mitglieder. 1761 ist Martin Lay Präfect der St. Rochusbruderschaft. Zu den Mitgliedern zählten auch viele Personen aus Ortschaften der Umgebung von Bingen, zu beiden Seiten des Rheins, von Mainz bis Koblenz, an der Nahe bis nach Kreuznach und weit in die Pfalz hinein und den Hunsrück hinauf.

Ab dem Jahr 1785 bis 1856 finden sich im Bruderschaftsbuch keine Mitglieder im weiteren Sinne mehr. Ob es überhaupt noch andere Eintragungen gab, bleibt auch offen. Alle übrigen Aufzeichnungen über die St. Rochusbruderschaft aus der Zeit von 1754 bis 1802 sind verloren gegangen.

Die Rochuskapelle wurde im Rahmen der kriegrischen Auseinandersetzungen zwischen den Franzosen und Österreichern im Jahr 1797 zerstört. Bingen kam unter französischer Herrschaft. Ab 1802 bis 1813 gab es keine Wallfahrt mehr auf den Rochusberg. Die Rochusbruderschaft wurde per Gesetz aufgehoben, doch im Untergrund lebte sie weiter.