Wie das Rochusfest in Bingen in früherer Zeit begangen wurde, wird in einem hessischen Schullesebuch um 1900 beschrieben:
Unweit Bingen, einsam auf der Höhe, steht die sogenannte Rochuskapelle, ein Mahnzeichen nach oben für jedes sinnige Gemüt. Einmal im Jahr, am Tage des Rochusfestes, wenn die erste Traube reift, die dann den Altar des Schutzheiligen der Rebe schmückt, gewinnt die sonst einsame Höhe ein anderes Ansehen. Eine Stadt von Zelten entsteht, die für das Leibesbedürfnis reiche Erquickungen darbietet; und die gewerbliche Tätigkeit entfaltet sich schon mehrere Tage vorher, alles zu ordnen und zu bereiten, was dem müden Wallfahrer Labe gewähren kann.
Endlich bricht der Morgen des Festes an. Das harmonische Geläute von Bingen und die milden Lüfte' tragen die ergreifenden Töne herauf zu der steilen Höhe, das Gemüt dessen erhebend, der hier steht, um die Festzüge zu schauen, die mit wehenden Fahnen, mit Musik und festlichen Lobgesängen sich der Kapelle nahen.
Der Dunstschleier, welcher um diese Zeit schon auf des Stromes grünen Fluten ruht, ist von den Strahlen der August sonne bald besiegt. In ihrem Goldglanze ziehen seine Wogen dahin. Jetzt sehen wir maiengeschmückte Nachen hie und da vom Ufer stoßen, voller Wallfahrer, die zur Kapelle eilen. Ihre Gesänge werden dem Ohre immer vernehmlicher, es sind heilige Klänge von ergreifender Wirkung.
Nachdem die Wallfahrer in Kempten gelandet, ordnen sie sich. Die Geistlichen im Ornat voraus, dann die Reihen der Gläubigen, zwischen denen die Fahnenträger schreiten, so ziehn sie heran. Jetzt verkündet der Glocken Hall den Ausgang der Binger Festprozession aus dem schönen Gotteshaus am rechten Ufer der Nahe. Ihre Gesänge hallen von ferne herauf, denn sie ist die zahlreichste Prozession. Es währt lange, bis sie unter frommen Liedern und Glockengeläute die steile Höhe erklommen hat. Jetzt naht sie, reich geschmückt. Böllerschüsse und Musik verkünden ihr Kommen. Die Pforten der Kapelle öffnen sich. Die fremde Geistlichkeit schließt sich an, und was in das Gotteshaus kommen kann, drängt sich hinein; aber Hunderte müssen draußen harren, bis die Feier zu Ende und die Predigt gehalten ist.
Unterdessen ist die Sonne zu ihrer Mittagshöhe gelangt. Sengend fallen ihre Strahlen nieder. Nun, die Seele ihr Teil empfangen, verlangt der Leib gebieterisch auch das Seine. Die Zelte füllen sich bis zum Auseinanderdrücken ihrer luftigen Wände; aber sie vermögen die Menge nicht zu fassen. Viele wandern hinab nach Kempten, um sich dort zu stärken. Andere lagern sich im Schatten der Kapelle und der Zelte und lüpfen die Deckel ihrer Körbe, darinnen die sorgliche Hausfrau und Mutter alles verpackt hat, was zu des Leibes Wartung nötig ist. Die Metzger braten Würste und Rippchen am lodernden Feuer; die Obstverkäuferinnen, die in guten Jahren schon reife Trauben ausbieten, enthüllen ihre lockenden Früchte; und bald erschallt Musik und Becher-klang, Gesang und Lachen. Ist ja doch der Rochusberg ein Nachbar des Scharlachberges, mit dem er gute Nachbarschaft halten muß und dieser mit ihm.
Und dann gegen Abend: Horch, wie der Strom das Läuten überklingt! Hell singend kommt die Wallerschar gezogen im leichten Kahn, der mit dem Schaume ringt, von blüh'ndem Kranz und weh'ndem Band umflogen. Auf morschem Erker zagend lauscht das Reh, vom Ringeltanz ins Dickicht schlüpft die Fee -- das ist der deutsche Rhein, das ist sein
Wogen." (nach W. 0. von Horn.)