Nachdem die Rochuskapelle in der Nacht vom 11. zum 12. Juli 1889 durch Blitzschlag bis auf die Grundmauern niederbrannte, stand für die Binger fest, diese wird wieder aufgebaut. Innerhalb weniger Tage spendete die Binger Bevölkerung für den Wiederaufbau die stattliche summe von 30.000 Mark. Unter der gemeinsamen Initiative von Pfarrer Engelhardt und Bürgermeister Allmann wurde ein Komitee zur Wiedererrichtung der Rochuskapelle gegründet. Diese entschied, dass die Kapelle nicht einfach in ihrer ursprünglichen Form wieder hergerichtet werden soll, sondern ein den veränderten Verhältnissen entsprechender repräsentativer und würdiger Neubau entstehen soll. Man entschied sich für einen Architektenwettbewerb.
Aus fünf eingereichten Bauplänen für die neue Rochuskapelle wurde vom Kirchenvorstand von Bingen, Bauherr der Rochuskapelle, und von den Behörden der Bauplan des ehemaligen Diözesanbaumeisters für Limburg und Frankfurter Dombaumeister Max Meckel, welcher inzwischen Baudirektor des Erzbistums Freiburg geworden war, ausgewählt. Vor allem die von Meckel gewählte Stilform der Gotik - bei der heiklen Stilfrage - fand große Zustimmung. Auf diesem Gebiet war er ein erfahrener Meister und so wurde sein Entwurf mit viel Beifall und mit viel Lob der Kunstkenner aufgenommen. Es ist ihm gelungen, die baulichen Gegebenheiten der alten Rochuskapelle im richtigen Verhältnis auf die neue Rochuskapelle zu übertragen. Obwohl die Kirchen mit ihrem Chor nach Osten ausgerichtet werden, die alte Rochuskapelle aber weitgehend diesbezüglich eine Ausrichtung nach Norden hatte, entschied er sich diese doch beizubehalten, da ihn die bisherige gute Akustik des Festplatzes überzeugte und er so den offenen Außenchor in Richtung des Festplatzes nach Osten optimal anpassen konnte. Dieser offene Außenchor mit Außenaltar und Kanzel wird als Glanzpunkt des ganzen Werkes betrachtet und erregte allgemeine Bewunderung. Es ist Brauch – und die Binger lieben es – dem Gottesdienst im Freien beizuwohnen, sofern es die Witterungsbedingungen dies zulassen. So wurde bis zum Brand jährlich provisorisch ein aus Holz gefertigtes Außenchor aufgebaut, was nun entfallen kann. Von hier aus konnten an die 2000 Menschen dem Gottesdienst und der Predigt beiwohnen. Zugleich wird mit dieser baulichen Anordnung ein störungsfreier Gottesdienst gewährleistet, denn der kirchliche Festplatz ist damit deutlich getrennt von dem weltlichen Festplatz auf der anderen Seite der Kapelle. Durch die Anlage von Terrassen, welche von hohen Stützmauern begrenzt sind, wurde das Plateau des schmalen Bergrückens künstlich verbreitert, um genügend Platz vor dem Hauptportal zu schaffen und den östlichen Wallfahrtsplatz mit dem Platz für das „weltliche“ Rochusfest im Westen besser zu verbinden. All das sprach dafür, die „abnorme“ Richtung der Rochuskapelle beizubehalten. Zudem bildet die Kirche eine malerisch-asymmetrisch komponierte Baugruppe in freier Landschaft mit betonter Silhouettenwirkung.
Zu Beginn der neunziger Jahre des 19. Jahrhunderts, als die Binger Wallfahrtskirche errichtet wurde, war Max Meckel auf der Höhe seines Ruhmes. Nach dem Erfolg bei dem vielbeachteten Wettbewerb um die Neugestaltung der Frankfurter Römerfassaden galt er als einer der wichtigsten Architekten im Deutschen Reich. Im Jahr 1887 wurde Max Meckel Diözesanbaumeister von Limburg.
Mit Bingen und Pfarrer Engelhardt war Meckel über Jahrzehnte eng verbunden. Ab 1885 restaurierte er die Pfarrkirche St. Martin, von 1890 bis 1895 arbeitete er an der Rochuskapelle, in den Jahren 1899 bis 1900 wurde nach seinen Plänen der „Mainzer Hof“ zum katholischen Vereinshaus umgebaut und 1905 lieferte er den Entwurf für den Neubau des Priesterheims auf dem Rochusberg, das heutige Oblatenkloster.
Bauzeichnung Meckel: Südseite der Rochuskapelle
Bauzeichnung Meckel: Nordseite der Rochuskapelle
Bauzeichnung Meckel: Ostseite der Rochuskapelle; entnommen dem Artikel von M. Meckel, erschienen 1891 in de Zeitschrift für christliche Kunst, Nr. 6
Damit war klar, die Finanzierung eines solchen Projektes ist ein Kraftakt. Im ersten Kostenvoranschlag vom 31. Januar 1891 waren die Baukosten ohne die künstlerische Ausstattung und ohne Honorar auf 145.000 Mark berechnet. Die tatsächlichen Ausführungskosten des Baues betrugen 193.400 Mark. Diese wurden finanziert aus den Brandentschädigungsgeldern in Höhe von 17.834 Mark, dem Ertrag einer Kollekte in Höhe von 41.800 Mark, dem Reingewinn einer Weinlotterie von 36.200 Mark und einer Bankanleihe der katholischen Kirchengemeinde St. Martin von 100.000 Mark. Hinzu kamen die Kosten für die Bethlehemskapelle, welche 43.719,22 Mark betrugen, die Kosten der vom Architekten geplanten Ausstattungsteile, wie Altarmensen, Baldachine, Abschlußgitter und dergleichen in Höhe von 42.550 Mark, sowie die Kosten der eigentlichen künstlerischen Ausstattung, der Fenster, der Altäre und der Figuren. Finanziert wurde all dies über mildtätige Stiftungen. Die Kosten der Außenanlagen in Höhe von rund 10.000 Mark konnten von dem Erlös eines Wohltätigkeitsbazars bestritten werden. Und so stand schon ein Jahr später – im Jahr 1990 – eine summe von annähernd 200.000 Mark zur Verfügung.
Am 29. September 1890, am Fest des hl. Erzengels Michael, welches alljährlich in der Rochuskapelle gefeiert wurde, wurde in Verbindung mit einer kirchlichen Feier der Abbruch der Ruinen begonnen und der erste Spatenstich für die neue Rochuskapelle vorgenommen. Mit der feierlichen Grundsteinlegung am 18. Mai 1891 begannen die eigentlichen Bauarbeiten. An diesem 2. Pfingsttag, der herkömmlich durch eine Wallfahrt zum Rochusberg und das Fest des hl. Rupertus begangen wird, wurde vom Bischof Paulus Leopold Haffner von Mainz in Gegenwart des Bischofs Michael Felix Korum von Trier, der die Festrede hielt, der Grundstein gelegt. Dazu hatte sich eine große Volksmenge aus der Stadt und vom Land auf dem Rochusberg eingefunden. Nach Einsegnung des Grundsteins verlas Kaplan May die Urkunde, welche dann in üblicher Weise in den Grundstein eingeschlossen wurde. In diesem Moment ertönten - auf ein verabredetes Zeicchen - die Glocken sämtlicher umliegenden Orte und Böllerschüsse gaben Kunde von der vollzogenen Grundsteinlegung.
Danach wurde der Rohbau der Rochuskapelle zügig hochgezogen. Die Säulen der neuen Kapelle konnten auf den Fundamenten der alten Grundmauern und die Chormauern auf denen des früheren Chores errichtet werden. Der zum Bau verwendete rote Sandstein wurde aus den bekannten Steinbrüchen von Miltenberg am Main herbeigeschafft. Das Fundament erinnert so auch an die Breitenverhältnisse der alten Kapelle. Da man sich aber für eine größere Rochuskapelle entschieden hatte, wurde der Raumzuwachs durch Verlängerung des Langhauses um ein Gewölbe gewonnen und hat damit eine Länge von 21 Meter bei einer Breite von 10,2 Meter mit sieben Fensterachsen. Der Chor, welcher früher in gerader Linie abschloss, wurde mit einer im halben Sechseck konstruierten Absis verlängert. Die Seitenwände zwischen den Strebepfeilern wurden durchbrochen, so dass durch Hereinbeziehen der Streben an beiden Seiten Kapellenreihen entstanden, welche dem Gebäude ein dreischiffiges Aussehen verleihen, und so die Möglichkeit geben, dort 6 Beichtstühle aufzustellen. Durch diese Vergrößerung standen zusätzlich zu den 150 Sitzplätzen weitere 350 Stehplätze zur Verfügung. Der nach Norden orientierte und gegenüber dem Schiff leicht erhöhte Chor erhielt auf der Westseite die Sakristei und darüber das Oratorium, daran anschließend das nach drei Seiten freiligende Wohnhaus, das den nach Westen am meisten vorgeschobenen Gebäudeteil darstellt. Das Erdgeschoss erhielt ein Wärterzimmer und eine Küche, der erste Stock war ausgefüllt mit einem Wohnraum in Form eines kleinen Saales mit vorgebasutem Erker, von dem aus die Aussicht rheinauf- und abwärts ungehindert zu genießen ist. Der Saal steht in unmittelbasrer Verbindung mit dem Oratorium. Im Giebel des Hauses wurden noch einige kleine Zimmer als Schlafzimmer vorgesehen.
Das Schiff ist mit einem einfachen Netzgewölbe versehen, wogegen das reichgeschmückte Sterngewölbe des Chores und die motivreichen Gewölben der Beichtkapellen wohltuend davon abstechen. Meckel verstand es Nüchternheit und Reichtum der Formen optisch gut zu kombinieren.
Eine originelle und praktische Einrichtung ist die über der Beichtkapelle der Ostseite angebrachte Empore für Orgel und Sängerchor, welche ebenso gut beim Gottesdienst innerhalb der Kapelle, wie für die Festlichkeiten im Freien gebraucht werden kann.
Der Turm steht genau an der Stelle, wo früher sich der Anbau der Michaelskapelle befand, welche aber schon seit 1795 nur noch als Ruine erhalten war. Der Turm ist quadratisch und erhebt sich 23 Meter über den Bergrücken. Auf ihm erheben sich der Tambour, der den Glockenraum bildet, und darüber der Turmhelm mit einer Kreuzblume als Abschluss, was insgesamt eine Höhe von 46 Meter ergibt. Im unteren Bereich des Turmes ist eine kleine Kapelle integriert. Es ist die "Kapelle der Binger Heiligen". Alle Reliquien der Rochuskapelle fanden dort ihren Platz. Dort befindet sich in einem Vorraum, der Grabkammer des Erbauers, heute als Goethekapelle bezeichnet, das von Goethe gestiftete Rochusbild.
Links des Chores schließt sich die Sakristei und ein Wohnbereich an. Auch hier verstand es Meckel diesen Bereich mit den charakteristischen Formen der Spätgotik zu versehen, so dass diese wie ein Teil des Kultgebäudes wirken.
Die Kreuzblume wurde im Oktober 1893 aufgesetzt. Sie markiert die Fertigstellung des Rohbaus und den Beginn der Ausbauarbeiten.
Die Baulichkeiten waren dann im August des Jahres 1895 abgeschlossen, so dass am 17. August 1895 die Rochuskapelle konsekriert werden konnte. Einen Tag später fand dann das Rochusfest mit überragenden Feierlichkeiten statt, an denen mehrere Bischöfe und der Kardinal von Köln teilnahmen. Es war ein so gewaltiges Ereignis mit Illuminatonen, wie es die Binger bisher noch nicht gesehen haben (siehe Rochuwallfahrt 1895). Doch die künstlerische Ausgestaltung des Kirchenraumes zog sich noch über Jahre hin, von dem ambitionierten Ausstattungsprogramm konnte nicht alles verwirklicht werden. So kam es nicht mehr zur Ausführung der einheitlichen und den ganzen Bilderschmuck der Kapelle einrahmenden und zusammenfassenden Wanddekoration. Der einzige Bildschmuck der Rochuskapelle am Tag der Weihe 1895 war die Mensa des Hochaltars ohne die Apostelfiguren und die beiden noch leeren Baldachine der Nebenaltäre. Auf der Mensa des Hochaltars stand der aus dem Brand 1889 gerettete spätbarocke St. Rochus und einige Einzelfiguren aus der Sammlung Münzenberger.
Die heutige Ausmalung stammt aus der letzten Renovierungsmaßnahmen und lehnt sich an vergleichbare, im Original erhaltene Ausmalungen des späten 19. Jahrhunderts an.
Das Innere der Rochuskapelle besticht durch seine wohldurchdachten Proportionen mit seiner Innenarchitektur. Sie ist in jeder Hinsicht eine Augenweide (siehe Das Innere).
Mit der Kreuzigungsgruppe, welche den Altaraufsatz des Außenchores bildet, hat Meckel ein Meisterwerk geschaffen und so ist es nicht verwunderlich, dass die Binger das Rochusfest und die Rochikerb am liebsten an diesem Außenaltar feiern wollen (siehe Der Außenbereich).
Die Rochuskapelle war zwar 1895 fertiggestellt, aber bei weitem noch nicht vollendet. Es sollte noch hundert Jahre dauern, bis die damaligen Vorstellungen des Architekten Max Meckel und des Pfarrers Engelhardt, die aus Zeit- und Geldmangel unterblieben, dann doch noch bis auf einige wenige realisiert werden konnten. Die leeren Heiligenpodesten der Fassade, am Außenchor und am Turm geben davon heute noch Zeugnis. Im Innern wurde zwar das Fensterwerk gestaltet, aber Hochaltar und Rupertusaltar konnten nicht geschaffen werden und auch die dekorative Gestaltung des gesamten Innenraumes unterblieben.
Ziel war es, bis zum hundertjährigen Bestehen der neuen Rochuskapelle im Jahr 1995 die Vollendung der Rochuskapelle umzusetzen. Dazu waren vorab noch etliche Renovierungsarbeiten notwendig (siehe Renovierungen und Vollendung).
29.09.1890: Beginn des Abbruchs der zerstörten Kapelle
18.05.1892: Grunsteinlegung
25.10.1891: Pflanzung der St. Rochus Linde
14.09.1892: Befestigung des Gipfelkreuzes
22.10.1893: Segnung der Kreuzblume für den Turm
17.-25.08.1895: Einweihungsfeier der Rochuskapelle
Pestaltar und Altar der schmerzhaften Mutter Gottes
Bild der Anna-Selbritt und die Statuen der Mutter Gottes und der hl. Elisabeth
1897 Wandaltärchen mit der Fußwaschung
1898 Chorkreuz nebst Figuren
1898 Kreuzigungsgruppe am Außenaltar
1898 Grablegungsgruppe als 14. Kreuzwegstation
1899/1900 Hildegardisaltar
1900 Kommunionbank im Chor
1900 Renovierung der Grablegungsdarstellung mit den Bildern von Wilhelm Emmanuel und dessen Bruder Richard in den Flügeltüren
1901 Schmiedearbeit der Kanzel und prachtvoller Wandteppich für den Hochaltar
1901 Wandaltar - Tod des hl. Josef
1902 Erste Kreuzwegstation
1902 Wandaltärchen mit der Statue des hl. Sebastian
1905 letztes gemaltes Fenster wird eingesetzt
1905 das prachtvolle Ewige Licht wird aufgehängt
1910 die 13. Kreuzwegstation wird fertiggestellt.
Im Jahr 1895 fertiggestelle Rochuskapelle; nach einer Aufnahme von Johann Baptist Hilsdorf