Schon in der ersten Binger St. Rochuskapelle von 1666 hing im kleinen Dachreiter eine Glocke, die bei der Verwüstung der Kapelle durch die Truppen Ludwigs XIV. 1689 geraubt wurde.
Als nach neun Jahren die Kapelle wieder hergerichtet und durch den Mainzer Weihbischof Matthias Stark konsekriert wurde, vermerkt eine Rechnung des Provisors, dass bei der Instandsetzung "eine neue Glock in das Türmchen gehängt worden sei".
Im 18. Jhdt. gesellte sich zu dieser Glocke eine zweite größere, über deren Schicksal die Quellen berichten. Wann sie gegossen und zur kleineren Glocke in den Turm gehängt wurde, ist nicht bekannt. Im Jahre 1788 zersprang sie, und damit wurde ihr Ursprung verwischt. Noch im Jahre 1788 übernahm es der Frankfurter Glockengießer Jacob Barthels, die zersprungene Glocke umzugießen. Nach Auskunft der ausgestellten Rechnung wog die neugegossene Glocke 360 Pfund, d. h. 61 Pfund mehr als die alte. Die Inschrift der Glocke um die Krone lautete: "Jacob Barthels in Frankfurt Anno 1788 goss mich."
Um den Mantel dieser Glocke waren folgende Worte eingegossen: "Gegossen durch des ehrbaren Binger Bürgers Johannes Dahl und aufgehängt durch des Schiffers Petrus Daub Bemühungen, läute ich."
Die neu gegossene Glocke war, wie sicherlich auch die zersprungene Vorgängerin, dem heiligen Rochus geweiht, wie die Inschrift bezeugt: "Hl. Rochus, in verheerender Pestseuche doppelt werther Fürsprecher, bitte für uns."
Beide Glocken überstanden die Zerstörung der Kapelle im Jahre 1795. Sie kamen 1814 wieder in die neu aufgebaute Kapelle. Doch in der Brandnacht vom 11. auf den 12. Juli 1889 gingen beide Glocken zugrunde.
Das neue Geläut in der ebenfalls neuen Rochuskapelle von 1895 hat die Tonfolge e, g, a, und h, also einen melodischen Akkord mit einer unterlegten Terz mit einem Gesamtgewicht von 48 Zentner. Sie wurden von der Firma Otto in Hemelingen bei Bremen gegossen.
Die große Glocke (22 Zentner) ist Maria, der „Helferin der Christen“ gewidmet; sie trägt die Inschrift:
Qane benediceris auxilium christianorum,
Ab omni nos incursu pia protegas malorum
(Die Du die Helferin der Christen wirst genannt,
Behüt vor allem Uebel gnädig Leut und Land).
Sie wiegt 13 Zentner und ist dem hl. Rochus geweiht und hat zwei Inschriften:
a. Eine Strophe aus dem bis zur Reformation in Schleswig gebräuchlichen Officium des hl. Rochus:
Ave prudens medice
Pestisque profligator,
In membris epidemiae
Sis nobis sublevator,
Et apud Regem gloriae,
O Roche, suffragator!
(Sei gegrüßt, Du Arzt so weise,
Muth’ger Pestbezwinger,
Schütz‘ die Gegend im Kreise,
Helfe jedem Binger,
Heil’ger Rochus, Schutzpatron,
Führ‘ uns einst zu Gottes Thron).
b. Eine zweite Inschrift ist dem im Jahr 1788 für die Rochuskapelle gegossenen und am 12. Juli 1889 zerstörten Glöcklein entnommen und lautet:
„S. Roche, in exitiosa pestis lue advovat bis eximie, o. p. n.“
(Hl. Rochus, ausgezeichneter Schutzpatron in der verheerenden Pestseuche, b. f. u.).
Sie ist 9 Zentner schwer und der hl. Hildegard geweiht:
„O Sancta Hildegardis,
Gemme Bingensium!
Nunc Agni comes cantas
Melos virgineum:
Canora voce lauda
Sponsum mirificum
In Sanctis: Sancti Rochi
Custodi fanulum!”
( O heilige Hildegardis,
Einst Perle von Bingen genannt!
Du singest nun folgend dem Lamme
Das Lied, das nur Jungfau’n bekannt!
Laß laut deine Stimme erklingen,
Preis‘ den, der so wunderbar
In seinen Heil’gen ; schütz‘ Bingen,
Schütz‘ seine Kapell‘ immerdar!)
Diese Glocke ist 6,5 Zentner schwer und ist dem hl. Rupertus und seiner hl. Mutter Bertha geweiht. Sie trägt Antiphon aus dem von Trithemius verfassten Rupertsberger Officium:
O Sancta Ruperte,
Convicis Superum!
Iter ad patriam
Fac nobis prosperum!
(frei übersetzt: O heiliger Rupertus, Blume von Bingen,
Duftend jetzt lieblich auf himmlicher Au,
Hilf uns durch Dornen wie du uns erringen
Und nicht verdorren auf Wegen so rauh,
Sanct Bertha, Rupertus‘ Mutter, so gut,
O nehme auch du uns in sichere Hut).
Doch dann kam der erste Weltkrieg und so lesen wir in einem Artikel der Mittelrheinischen Volkszeitung vom 17. November 1923 über das Schicksal der Glocken in der Rochuskapelle:
"Es kam der Weltkrieg. Die Glocken Deutschlands mußten von den Türmen herabsteigen und dem Vaterlande dienen. Am 27. Juni 1917 ließen die vier Glocken der Rochuskapelle zum letztenmal ihre Stimmen ertönen. Unten im Tal standen die Menschen auf den Straßen und in den Türen und Fenstern, und sie lauschten in wehmütigem Ernste dem Abschiedsgruß ihrer Lieblinge. Seit diesem Trauertag war der Rochusberg Öd und leer. Die Kapelle glich einer Mutter, welche über den Tod ihrer vier frischen, munteren Kinder das Herz gebrochen war. - Droben stehet die Kapelle, schauet still ins Tal hinab -."
Als die Oblaten im Jahre 1920 den Dienst an der Rochuskapelle übernahmen, war sie noch glockenlos. Es dauerte nur drei Jahre bis die Rochuskapelle ein neues Geläut erhielt. Die letzte Eintragung des Chronisten des St. Rupertusklosters aus dem Jahre 1923 lautet:
"Am 23. Oktober, nachmittags 2 Uhr, wurden in Frankenthal (Firma Hamm) unsere vier Glocken (Maria, Rochus, Hildegard und Rupertus) gegossen. Am 14. November (der Chronist schreibt „14.Oktober“, was nicht stimmen kann) wurden sie geholt und einige Tage später durch den hochw. Herrn Dompropst May die Glockenweihe vorgenommen." Doch als sie am 18. November 1923 zum ersten Mal wieder läuten sollten, blieben sie stumm. Dazu berichtet die Mittelrheinische Volkszeitung in der Ausgabe vom 24. November 1923:
"Den heutigen Tag, 18. November 1923, hatten wir uns ganz anders vorgestellt: leuchtende Sonne am klaren Himmel und begeisterte Stimmung in allen Herzen beim erstmaligen Geläute der neuen Glocken. Beides blieb uns versagt. Eine Enttäuschung mehr haben wir hingetragen zum Berge fehlgeschlagener Hoffnungen und Wünsche, der in letzter Zeit riesengroß geworden ist. Die Wächter des Heiligtums des hl. Rochus haben eine bittere Stunde durchlebt, als sie die Scharen erblickten, die unter aufgespanntem Regenschirm ihre mißstimmten und verärgerten Gesichter versteckten und eiligst ins Tal hinunterstiegen. Von Schuld darf man jedoch nicht sprechen. Der Sohn des Glockengießers Hamm, der die Glocken aufhing, und seine treuen Mitarbeiter von Bingen hatten uns versichert, daß für die Feier alles "klappen" werde. Im Augenblick, wo die geweihten Glocken freudig in das Te Deum einstimmen sollten, bereitete der Glockenstuhl ein unüberwindbares Hindernis für das Läuten von zwei Glocken. Ich meine, die Leute vom Rhein nehmen das Mißgeschick nicht allzu tragisch. Das kommt vor, das geschieht alle Tage - man arbeitet das ganze Jahr im Wingert, man hofft und verspricht einen guten Tropfen und recht viel, und da kommt über Nacht der Heuwurm und ein kalter, langer Regen setzt ein, und man hat einen Herbst wie anno 1923. Es wird sofort die Arbeit am Glockenstuhl vorgenommen, so daß schon in den nächsten Tagen die Glocken selbst um Verzeihung bitten werden. Kommenden Sonntag aber werden sie jubelnd die Pilger begrüßen."
Doch schon 19 Jahre später im Frühjahr des Jahres 1942 wurden auch sie wieder heruntergeholt und zusammen mit den Glocken der Basilika und Kapuzinerkirche nach Hamburg-Wilhelmsburg zum Einschmelzen gebracht. Hierüber gibt es ein Protokoll der Annahmestelle des Zinnwerks in Hamburg-Wilhelmsburg vom 23.02.1942. Hierüber erhalten wir nochmals Informationen zu den Glocken der Rochuskapelle.
Glocke Maria: Gewicht 1000 kg, unterer Durchmesser 122 cm
Glocke Rochus: Gewicht 620 kg; unterer Durchmesser 105 cm
Glocke Hildegard: Gewicht 445 kg; unterer Durchmesser 92 cm
Glocke Rupertus: Gewicht 308 kg; unterer Durchmesser 82 cm.
Im zweiten Weltkrieg erlitt die Rochuskapelle viele Schäden an den Fenstern und am Dach, die es galt vorrangig zu beseitigen.
Im Jahr 1957 begann die Werbung für das neue Geläute. Vorgesehen waren wieder vier Glocken mit der Klangfolge e', g', a' und h' im Wert von 12.000, 8.000, 5.000 und 3.000 DM. Die Spenden für die neuen Glocken flossen so reichlich, dass man sich auf die Anfrage von Pater Koppen im September 1957 an den Glockengießer F. W. Schilling in Heidelberg, entschloss, da die Ortsbesichtigung des Glockenstuhls Reserven aufzeigte, noch zwei weitere Glocken mit der Klangfolge d'' und e'' anzubringen. Der Glockenguss für die 6 Glocken erfolgte am 21. Mai 1958. Der Gockensachverständige des Bischöflichen Ordinariates Mainz, bescheingte dem Glockengießer Schilling eine hochqualitative Arbeit für das im Wohlklang prächtige Geläut.
Und so rollten am Samstag den 14. Juni 1958 um 9 Uhr die neuen Glocken für die Rochuskirche über die Drususbrücke und wurden da schon mit vollem Geläut der Basilkaglocken empfangen. Weiter ging es zur Rochuskapelle, wo sich nach und nach immer mehr Menschen einfanden, um die Glocken zu betrachten.
Am Sonntagnachmittag pilgerten dann die Binger und Freunde der Rochuskapelle zum Rochusberg, um der Glockenweihe beizuwohnen. Diese fand bei strahlendem Wetter durch den Generalvikar Haenlein, assistiert von den Oblatenpatres Röhrig und Spieker, und den übrigen Geistlichen, darunter der Dekan Geistlicher Rat Heberer, statt.
Festprediger war Pater Provinzial Johannes Braß vom Oblatenkloster. Er dankte dem Glockengießer Schilling, den Spendern und insbesondere den Stiftern der Berta-Glocke (Firma Brüning-Nachf.) und der Josef-Glocke (Firma Sand-Fuchs Bingen).
Es folgte die Zeremonie der Weihe von Salz und Wasser, das Waschen der Glocken mit dem geweihten Wasser (die Glockentaufe), das zweifache Salben mit Krankenöl und Chrisam und das Aufstellen von Weihrauchbecken unter jeder Glocke. Dann schlug Winfried Arnold die Glocken an, einzeln und im Zusammenklang. Begeistert wurde das Te Deum „Großer Gott wir loben Dich“ gesungen.
Der Chronist des St. Rupertusklosters schrieb dazu:
"Soeben haben wir erstmalig den Klang unserer Glocken gehört. Der Monteur aus Heidelberg und fünf Männer haben sie nach vollendeter Montage alle sechs eine Viertelstunde lang zum Klingen gebracht. Wir waren gepackt und ergriffen von der feierlichen Schönheit des Geläutes."
Bei der ersten und zweiten Glockengeneration von 1895 und 1923 war die größte Glocke der Muttergottes geweiht.
Jetzt ist die schwerste Glcoke von 1958, die e'-Glocke, dem hl. Rochus geweiht. Sie wiegt 1246 kg und hat einen Durchmesser von 123 cm. Ihre Inschrift lautet:
Ave sancte Roche,
Pestis profligator,
Apud regem gloriae
Nobis sis precator.
Sei gegrüßt, hl. Rochus,
Beschützer vor der Pest,
beim König der Herrlichkeit
sei unser Führsprecher.
Diese größte Glocke des Geläutes dient gleichzeitig als Totenglocke. Sie läutet, wenn eine Schwester des Hildegardishauses oder ein Bewohner des St. Rupertusklosters zu Grabe getragen wird.
Es ist die g'-Glocke, 714 kg schwer, mit einem Durchmesser von 102 cm, und ist der Muttergottes geweiht. Die Inschrift lautet:
O Maria, Virgo benigna,
Christianorum auxilium.
In terrena domo maligna,
Bona sis mater fidelium.
O Maria, gütige Jungfrau,
Hilfe der Christen.
Im bösen Erdenhaus
sei den Gläubigen eine gute Mutter.
es ist die a'-Glocke, geweiht der heiligen Hildegard von Bingen, 477 kg schwer, mit einem Durchmesser von 90,5 cm. Die umlaufende Schrift lautet:
Sancta Hildegardis,
Gemma Bingensium,
Custodi sancti Rochi,
Famulum amoenum.
Heilige Hildegard,
Edelstein Bingens,
beschütze das liebliche Heiligtum
des hl. Rochus.
Die h'-Glocke hat zum Patron den hl. Rupertus. Sie wiegt 419 kg und hat einen Durchmesser von 83 cm. Das Schriftband lautet:
Sancte Ruperte,
Concivis superum,
Iter ad patriam,
Fac nobis prosperum.
Heiliger Rupertus,
Mitbürger der Heiligen,
bereite uns eine glückliche Reise
zum Vaterland.
Die zweitkleinste Glocke ist dem hl. Josef geweiht. Es ist die d''-Glocke, 238 kg schwer mit einem durchmesser von 71 cm. Ihr Spender ist die Firma Anna Sand-Fuchs. Ihre Inschrift lautet:
Savatoris nostri pater,
Sancte Joseph,
Induc nos in patriam.
Vater unseres Erlösers,
heiliger Joseph,
führe uns in die ewige Heimat.
Die kleinste Glocke, die e''-Glocke, ist der heiligen Berta geweiht. Ihr Gewicht ist 162 kg, ihr Durchmesser 63 cm, gestiftet von der Familie Willy Schlößer. Das Schriftband lautet:
Beata Bertha,
Benigna Matrona,
Primam tutare aetatem,
Fidam sis nobis in matrem.
Selige Bertha,
gütige Frau,
schütze die Jugend
und sei uns eine treue Mutter.
Die größte Glocke, die e-Glocke, war 10 Jahre lang von 1994 bis 2004 verstummt. Das Läutwerk und der Motor waren ausgefallen.Auf Initiative der Rochusbruderschaft und mit großer finanzieller Unterstützung desBinger Rotary-Clubs konnten die defekten Teile erneuert werden und so konnte zur St. Rochikerb am Pfingstmontag, den 31. Mai 2004, das gesamte Geläut in voller Harmonie den Gottesdienst am Außenaltar wieder einläuten.
Als im Jahr 2009 die Sanierung des Gemäuers und des Daches der Rochuskapelle anstanden war auch der Glockenturm davon betroffen. Er hatte sich 2 cm Richtung Kempten geneigt. Die Statik der Stahlkonstruktion des Glockenstuhls halte dem Glockengeläut nicht mehr Stand. Die Glocken durften nicht mehr läuten. Dann kam es noch zu einem Baustopp, weil der Denkmalschutz Einwände gegen das vorgesehene Holzgerüst der Glockenaufhängung erhob. Doch dann war es wieder soweit. Ostern im Jahr 2014 konnten die Glocken der Rochuskapelle die Kirchenbesucher mit ihrem Geläut wieder voll begrüßen.
Jetzt im Jahr 2020 erfüllen die Glocken der St. Rochuskapelle schon 62 Jahre ihren Dienst, länger als die beiden, den sinnlosen Kriegen geopferten Glockengenerationen vor ihnen zusammen.