Im Jahr 1850 erfahren wir aus Binger Chroniknotizen, dass am 22. April der Verein der Schützengesellschaft Bingen mit ihrem Vorstand Anton Joseph Eberhard Soherr, Dr. Friedrich Müller, Anton Joseph Pennrich, Andreas Billhardt und Martin Weinert von Frau Maria Katharina Heib geb. Scherer einen Weinberg in der heutigen Rochusallee erwarb. Die Schützengesellschaft benötigte das außerhalb von Wohngebieten liegenden Gelände, um dort störungsfreie Schießübungen abhalten zu können. Das erworbenen Grundstücksgelände lag in einem noch völlig landwirtschaftlich genutzten Raum im Gewann Oberockenheimer Unterhungerbornweg (oberer Rochusberg unterm Hungerborn). Es hatte eine Breite von 16,5 Meter und eine Tiefe von 100 Meter, in der heutigen Rochusallee 34. Auf dem dort errichteten Schießstand wurde bis 1965 geschossen. Da die Entfernung von der Schießhalle bis zum Kugelfang 100 m betrug, war der Schießstand von dem Augenblick an unbenutzbar, als es wesentlich verbesserte, weitreichendere Gewehre gab. Dies war ungefähr seit 1870 der Fall. Die Schützengesellschaft gab das Schießhaus deshalb auf und baute eine neue Schützenhalle auf dem Rochusberg auf einem Acker von Herrn Franz Lothar Geomont (Gasthaus Schauermann).
Der Käufer des Anwesens im Rochusweg war der Bilderrahmen-Fabrikant Richard
Gesell, der aus Dresden stammte und zu dieser Zeit in London lebte. Er wollte neben dem Schießhaus eine Zweigfabrik für Bilderrahmen und -leisten errichten. Richard Gesell beauftragte seinen Geschäftsfreund Johann Baptist Hilsdorf, die rechts und links vom Schießhaus gelegenen Grundstücke für ihn zu erwerben und das Haus zu einem bewohnbaren Ganzen auszubauen. Die Grundstücke werden 1876 von Altbürgermeister Lorenz Pennrich, Gerberei- und Gutsbesitzer, zu Bingen wohnhaft, und von Frau Anna Gertrude, geborene Kölges erworben. Frau Kölges knüpfte an den Verkauf eine bemerkenswerte Bedingung:
"In der Mauer des verkauften Weinberges am Rochusweg befand sich ein Heiligenhäuschen, das alljährlich beim Rochusfest der Andacht zur Verfügung überlassen werden soll, unbeschadet des Rechtes des Käufers, dasselbe zu verlegen oder zu verändern und den über dem Heiligenhäuschen liegenden Boden zu bebauen und als Weinberg zu benutzen".
Doch kurz danach kam eine kreisamtliche Verfügung an den Käufer, das Heiligenhäuschen als baufällig binnen drei Tagen niederzulegen, was auch geschah. Ein Jahr später wollte der Binger Maurermeister Joseph Arnold einen Ersatz für das Häuschen erwirken mit der Begründung „dieses Heiligenhäuschen war schon von Altersher ein Bedürfniß für die Katholiken Bingens, da in demselben bei der alljährlichen Rochusprozession der Hl. Segen gegeben wurde“. Er wollte dazu an der „Grünen Bank“ ein Grundstück erwerben, um dort ein neues Heiligenhäuschen zu errichten. Er erhielt dazu allerdings keine Genehmigung und so gab es kein Heiligenhäuschen mehr. Interessant ist, dass an dieser Stelle später das Josefskapellchen errichtet wurde, welches eine ähnliche Geschichte hatte (siehe Josefskapelle).
(entnommen „Das erste Haus in der Rochusallee – Zur Bebauungsgeschichte der Stadt Bingen“, von Erika Wawrzyn-Hilsdorf, Binger Geschichtsblätter, 15. Folge 1990)