Drei Pilgerwege führen heute noch auf den Rochusberg, der Binger, der Büdesheimer und der Kemptener. Ein vierter Pilgerweg, der Rüdesheimer, er war der mühsamste, ist heute nicht mehr vorhanden. Er war dort, wo der Kempter Steinbruch die sanften Linien des nach Kempten abfallenden Rochusberges unterbricht. Die Rheingauer nahmen diesen Pilgerweg zum Rochusberg, so auch Wolfgang von Goethe, als er 1814 mit seinen Freunden von Rüdesheim kommend diesen Weg erklomm.
Der Binger Pilgerweg, die heutige Rochusallee, ist der größte und wohl auch der älteste. Schon zur Zeit der Kreuzzüge war dieser Weg auf den Berg, später Rochusweg genannt, ein Pilgerweg, der zur mittelalterlichen Bethlehemskapelle, der heutigen Stelle der Rochuskapelle, führte.
Er war damals ein einfacher Wingerts- und Waldweg, der von Bingen zur Höhe empor führte. Er wurde mit dem Bau der Rochuskapelle auch zu einem Kreuzweg, an dessen Seiten die einzelnen Stationen unter Giebeldächern in größeren Abständen aufgestellt waren, von denen eine der Dichter Goethe im Jahr 1814 bei seinem Besuch auf dem Rochusberg mit der Darstellung des leidenden Heilandes noch gesehen hat und den lebhaften Wunsch äußerte, dass noch diese auf dem Rochusberg so überaus passende religiöse Darstellung des Kreuzweges wieder hergestellt werden möchte.
Im Jahr 1844 dürfte es noch 14 Kreuzweg-Stationen längs des Pilgerweges zur Rochuskapelle gegeben haben, denn in einem Stadtplan von Dr. Keuscher aus dem Jahr von 1844 sind die vier ersten Stationen eingezeichnet. Diese befanden sich gemäß heutiger Straßennummerierung etwa in der Rochusstraße Nr. 7, Rochusallee Nr. 4 (Technikum), Rochusallee Nr. 12 und Rochusallee Nr. 22. Die nächste 5. Station könnte das Heiligenhäuschen in der Rochusallee Nr. 34 gewesen sein. Nach einer Zeichnung von 1784 könnte dort wo sich das Marienkapellchen (Stelle des früheren Hissel-Bildes im Wald an der Rochusallee) oberhalb der Josefskapelle befindet, die 8. Station des damaligen Kreuzweges gelegen haben.
Wahrscheinlich waren diese Stationen des Kreuzweges bei der Wiedererrichtung der heutigen Rochuskapelle im Jahr 1895 nicht mehr vorhanden. und so wurde ein neuer Kreuzweg angelegt (siehe Der Kreuzweg).
Zum Jubiläum des 100-jährigen Bestehens der Rochuskapelle wurden im Jahr 1995 längs des Pilgerweges in der Rochusallee zehn steinerne Bilderstöcke aufgestellt, die in Spanien in Auftrag gegeben worden waren. Diese stehen längs eines unbefestigten Weges, der auf der Höhe der Rochusallee Nr. 40 links abzweigt und parallel zur Rochusallee bis zur Josefskapelle verläuft. Diesen Weg nimmt auch die heutige Rochus-Wallfahrtsprozession.
Die Bildstöcke sind zehn Heiligen gewidmet:
Pilgerweg zum Rochusberg längs der Rochusallee
Der Mann mit dem Schlüssel, von Jesus berufen, den Glauben der Schwestern und Brüder zu stärken. Petrus, von Jesus berufen, aufzuschließen das Tor zur Versöhnung, zur Einheit, zum geschwisterlichen Miteinander in der Kirche. Sein Grab in Rom wurde zum großen Wallfahrtsort der frühen Christenheit. Der Strom der Pilger zum Grab des Apostels mit dem Schlüssel zum Himmelreich ist nie abgerissen. Die christlich gewordenen Germanen waren überzeugt, wer Petrus zum Freund hat, wer sein Grab berührt, hat einen Wegbegleiter auf seinem Weg zum Heil,
Der Wegweiser. Seine Gestalt im Bildstock trägt ein Medaillon mit einem Lamm auf der Brust. Er wies auf Jesus hin, das Lamm Gottes. Johannes, ein Wegweiser im wörtlichen Sinn. Die Menschen, denen er den Weg zu Jesus wies und die Jesus fanden, ließen Johannes zurück. Johannes starb einsam. Bei einem Wegweiser bleibt man nicht, vielleicht rastet man ein paar Augenblicke. Nur wenn Menschen einen Wegweiser verlassen, wenn sie den Weg gehen, den er weist, erfüllt er seinen Sinn Immer nimmt man Abschied von einem Wegweiser.
Er gehörte zum engsten Apostelkreis. Jesus nimmt den Petrus, den Jakobus und den Johannes mit auf den Berg der Verklärung und in den Garten seiner Todesangst. Paulus nennt ihn im Galaterbrief neben Petrus und Johannes Säulen der Urgemeinde. Er verkündete in Jerusalem und Samarien die Botschaft Jesu und wurde im Jahre 44 von Herodes Agrippa enthauptet. Der Legende nach gelangten seine Gebeine nach Spanien, wo sein Grab der Legende nach 820 gefunden und vom 11. Jahrhundert an zum berühmtesten Wallfahrtsort der Christenheit wurde. Im Bildstock am Pilgerweg führt er den Pilgerstab; eine Pilgermuschel ist an den Saum seines Mantels geheftet. In der linken Hand hält er ein Buch, das Zeichen des Verkünders.
Der Pilger der Armut, der alles aufgibt, um die größere Liebe zu leben. Wer an diesem Bildstock vorübergeht oder verweilt in den Abendstunden, wenn die Sonne ihre letzten Strahlen schenkt, der mag sich an den Sonnengesang dieses Heiligen erinnern, den Gesang über Sonne, Mond und Sterne, über Wasser, über Feuer und Erde. Im Bildstock trägt Franz von Assisi einen Totenkopf in der linken Hand. An die beiden letzten Strophen des Sonnengesangs erinnert dieser Franz von Assisi.
Als junges Mädchen läuft sie von zu Hause weg und will mit Franz von Assisi durch die Lande ziehen. Franz zeigt ihr einen anderen Weg, den Weg nach innen. Er gründet für Klara und alle, die ihrem Beispiel folgen, bei San Damiano ein Kloster. Klara wird zur Gründerin des Klarissenordens. Sie trägt im Bildstock den Stab der Äbtissin und die Monstranz, das Zeichen des Gebetes. Franz von Assisi geht den Weg zu den Menschen, um ihnen den Weg der Umkehr zu zeigen durch Wort und Beispiel. Klara betet, daß Menschen ihren Weg zum Heil finden.
Jährlich pilgern 700.000 Menschen auf den Montserrat in Katalonien. Schon im 9. Jahrhundert bestand auf diesem hl. Berg Spaniens eine der Muttergottes geweihte Kapelle. Das Gnadenbild, dessen Nachbildung im Bildstock steht, stammt aus dem 12 Jahrhundert. Das Benediktinerkloster auf dem Montserrat pflegt seit dem 15. Jahrhundert eine weit über die Grenzen Spaniens hinausreichende Musiktradition. Wer an dem Montserrat-Bildstock steht, schaut auf die Benediktinerinnenabtei Eibingen im Rheingau, wo das Erbe der Binger Heiligen, Hildegard, gepflegt wird und die Musik erklingt, die Hildegard im 12. Jahrhundert im Rupertsberger Kloster schuf.
Die Michaelsverehrung hatte in der alten Rochuskapelle eine große Tradition. Die 1795 zerstörte Rochuskapelle besaß dort, wo jetzt der Turm der neuen Kapelle steht, eine Michaelskapelle. Das Fest des heiligen Michael wurde in der Rochuskapelle immer mit großer Feierlichkeit begangen. Michael, der die Menschen über die Schwelle des Todes führt, der an unserer Seite ist, wenn wir dem Bruder Tod begegnen.
Maria aus Magdala war eine der Frauen, die mit Jesus durch das Land zogen, die in der Nähe Jesu zu einem neuen Leben fanden. Jesus hatte sie von unfrei machenden „Abergeistern" ihres Lebens befreit. Maria aus Magdala salbte Jesus die Füße mit kostbarem Nardenöl. Sie blieb Jesus treu. Sie stand unter seinem Kreuz. Sie ist eine der Frauen, die am Ostermorgen zum Grab Jesu gehen und es geöffnet finden. Sie gehört zu den ersten Zeugen der Auferstehung. Eine ganze Ostergeschichte ist gefüllt mit der Begegnung Marias mit dem Auferstandenen.
Maria Magdalena ist neben der Mutter Jesu die bedeutende Frau im Leben Jesu. Am Bildstock trägt Maria Magdalena das Ölgefäß, Zeichen ihrer Liebe zu Jesus.
Auf dem Rochusberg gibt es mehrere signifikante Josefsdarstellungen. Auf der Stele in der Betlehemkapelle ist Josef dreimal dargestellt: Der beschützende Josef der Geburt, der staunende Josef bei der Anbetung der Magier, der den Esel ziehende, den Weg machende Josef in der Szene der Flucht nach Ägypten.
Im Bildstock trägt Josef einen riesigen Wanderstab. Er klammert sich gleichsam an ihn. Zeichen für die vielen Wege, den dieser Gottesmann gehen mußte. Immer sind Engel im Spiel, Traumengel. Josef geht den Weg der körperlichen Distanz zu Maria nach der Verheißung der Geburt Jesu als Werk des Geistes. Josef geht mit Maria nach Betlehem. Er flieht mit Mutter und Kind nach Ägypten. Er kehrt heim nach Nazareth. Josef, der Mann im Schatten, der große Schweiger, der seinen Stab nimmt und geht, wohin die Traumengel ihn weisen.
Fraulich, mütterlich hält sie ihr Kind. Sie thront nicht majestätisch wie die Gottesmutter von Montserrat. Zur Gottesmutter von Montserrat muß man gehen. Die Gottesmutter im letzten Bildstock kommt zu den Menschen. Sie ist keine Madonna romanischer Theologie, sondern Ausdruck einer gefühlsbetonten Marienfrömmigkeit. Es ist eine Madonna der Spätgotik. Es ist die Gottesmutter der Lauretanischen Litanei: die Hilfe der Christen, die Zuflucht der Sünder, die Trösterin der Betrübten, die Mutter der Barmherzigkeit.