Der Beifall will nicht abreißen. Stehend bedankt sich das Publikum in der vollbesetzten Haybachhalle für die Leistung der knapp 60 Musiker. Einmal mehr ist es Konrad Meier und dem von ihm geleiteten Orchester des Musikvereins Klein-Winternheim gelungen, mit dem „Neujahrskonzert“ einen Abend zu gestalten, der weit über das übliche Leistungsniveau eines Amateurorchesters hinausragt. Das hat sich schon mit der fulminant servierten Ouvertüre zu Guiseppe Verdis „Die Macht des Schicksals“ (La forza del destino) herauskristallisiert. Konrad Meier hat seit September vergangenen Jahres in zahllosen Einzel- und Gruppenproben den Grundstein gelegt, hat (und das gilt für den gesamten Abend) die in den Originalpartituren für Streicherstimmen angelegten Passagen passgenau auf seine Holzbläser zugeschnitten. Ein gewagt scheinendes Experiment. Aber wie famos dies gelang, zeigt bereits das ausgereifte Solo des jungen Klarinettisten Christian Wenz, dessen beachtliches Können aufmerken lässt.
Posaunist Werner Eckert spielt gekonnt seine Erfahrung als SWR-Moderator aus, geleitet launig durch das Programm, das mit Antonio Vivaldis Doppelkonzert für zwei Trompeten einen der zahlreichen Höhepunkte bietet. Lajos Rézmüves und Heinrich Prinz vom Philharmonischen Staatstheater Mainz unterstützen bravourös ihren Kollegen Meier. Und Hartmut Fejer (Oboe) sorgte komponierend dafür, den Cembalo-Part des Originals bläsertauglich umzukomponieren. Dann wird es, wie es selbst für ein spätes Neujahrskonzert nachgerade unausweichlich ist, Strauss- und damit Walzerzeit. Mit „Wiener Blut“ ist der Wiener Tradition damit zunächst Genüge getan. „Das ist der Beat des ausgehenden 19. Jahrhunderts“, schwärmt Eckert und dankt artig für von Musikfreunden gespendete Noten für den Musikverein, dessen Bläser diesmal durch Cello, Harfe und Kontrabass verstärkt werden. Als besonderer Glücksfall für Musikverein und Publikum erweist sich die Bereitschaft der in Nieder-Olm lebenden Sopranistin Helen Rohrbach, Georges Bizet (Habanera aus Carmen), Giacomo Puccini (O mio babbino caro), aber auch das vom Saxofon-Quartett auf dem „Balkon“ aufgepeppte „Vilja“ aus Franz Lehárs „Die lustige Witwe“ sowie Johann Strauss auf eindrucksvolle Weise zu interpretieren. Dabei zeigt Rohrbach beim „Schwips-Lied“ aus „Eine Nacht in Venedig“ auch großes schauspielerisches Talent. Nicht enden wollende Ovationen drücken den Dank des Publikums aus.
Ging es mit der Strauss-Polka „Vergnügungszug“ in die Pause zu Köstlichkeiten wie „Schwipslied-Teller“, „Vivaldi-Teller“ oder „Wiener Stange“, so beginnt der zweite Teil pompös. Zarenpalast-Gefühl wird vermittelt, als Konrad Meier und sein Orchester kraftvoll mit der Polonaise aus Tschaikowskys „Eugen Onegin“ hören lassen, wie facettenreich der Klein-Winternheimer Klangkörper ist. Und wenn dann, nach rund drei Stunden, dem Strauss’schen Walzer- und Marsch-Erleben Tür und Tor geöffnet werden, hält es die taktklatschenden Besucher schon längst nicht mehr auf den Stühlen. Eine Verneigung der besonderen Art vor Konrad Meier und „seinem“ Orchester. Und Bestätigung des Musikvereinsvorsitzenden Peter Bugner, der mit viel Understatement anmerkt: „Ich glaube, es hat sich gelohnt.“
Text: Bernd Funk, Allgemeine Zeitung Mainz vom 23.01.2019