12. Sonntag im Jahreskreis - Pfr. Stefan Schäfer

Datum:
So. 21. Juni 2015
Von:
Pfr. Stefan Schäfer

12. Sonntag im Jahreskreis - Pfr. Stefan Schäfer

 

Liebe Schwestern und Brüder,

„das Auge Gottes", so nennen noch heute die Araber den für gewöhnlich still und ruhig daliegenden See Gennesaret. Aber das Bild kann täuschen. Der See liegt tief, mehr als 200 Meter unterhalb des Meeresspiegels. Er ist umgeben von den Ausläufern des Libanon Gebirges und der syrischen Höhenzüge. Immer wieder brechen Fallwinde in den Talkessel ein und peitschen die Wellen hoch. Dann wird es schwer für die Besatzung ein Boot im Tohuwabohu zu manövrieren und es in Sicherheit zu bringen. Genauso schnell, wie er eingebrochen ist, vergeht der Spuk meist wieder. Dann liegt der See wieder ruhig und friedfertig und harmlos da.

So oder ähnlich könnte der äußere Hergang des Ereignisses gewesen sein, von dem der Evangelist Markus berichtet: Ein Wunder für die Menschen, die da in Not geraten sind, ein normales Naturereignis für den distanzierten Betrachter.
Von innen her verstanden aber spricht diese Erzählung vom Sturm auf dem See von unserer Lebenssituation überhaupt und davon, was das Vertrauen in Gott uns bedeuten kann.
Es geht nicht einfach nur um einen bestimmten geographischen Ort in Galiläa: der Wind und das Wasser, die Gefahren der Tiefe und das kleine Boot, das von einem Ufer zum anderen unterwegs ist,- das alles sind Bilder, in denen sich unser Leben ausspricht und in denen wir unseren Ängsten begegnen.

Monate-und jahrelang mag der Kahn unseres Lebens gemütlich und gemächlich vor sich hindümpeln. Manchmal kräuselt der Wind der Alltagssorgen ein wenig die Oberfläche. Ansonsten aber fühlen wir uns gut aufgehoben und halten den eingeübten Kurs, ohne uns groß Gedanken zu machen.
Bis der Wind dann umschlägt und wir mit einem Mal erkennen, wie gefährdet die Fahrt unseres Lebens eigentlich ist.

Manchmal genügt vielleicht schon ein Augenblick der Stille, wenn die äußere Betriebsamkeit von uns abfällt, dass dann ein Sturm in uns losbricht: widerstreitende Gefühle, Bitterkeit, Neid, Depression, die Enttäuschung über so vieles, was wir im Leben versäumt haben, drohen uns in die Tiefe zu ziehen.
Manchmal bremsen Schicksalsschläge unsere Fahrt. Wir werden an Ufer verschlagen, die wir nie angesteuert haben.
Menschen warten auf einen ärztlichen Befund. Und diese Zeit des Wartens genügt, um einem bewusst zu machen wie bedroht die Nussschale unseres Lebens eigentlich ist,- der Alltag, in dem wir uns so selbstverständlich eingerichtet haben. Wir wagen uns damit hinaus auf´s Meer!

In solchen Augenblicken und Situationen kann uns eine Panik anfallen, die dem Schrecken der Jünger vergleichbar ist. Wir erkennen, dass wir uns selbst nicht zu schützen vermögen vor dem Abgrund, über dem wir treiben. Dass wir haltlos sind und sich unter der Oberfläche unseres Lebens jederzeit der Abgrund öffnen kann.
Dann mag es uns gehen wie den Jüngern im Boot. Wir möchten um Hilfe rufen: „Meister, kümmert es dich nicht, dass wir zugrunde gehen?"

Die Aufforderung des heutigen Evangeliums aber scheint die zu sein, dann tiefer zu gehen: uns nicht einfach nur im Gebet um Rettung an Gott zu wenden, als hätte er uns in diese Gefahr gebracht und müsste uns jetzt aus ihr herausreißen. Sondern vor allem die Haltung einzuüben, die in Jesus selbst verkörpert ist, dem es gelingt, inmitten des Sturms ruhig zu liegen und zu schlafen, geborgen in einem Vertrauen, nicht zugrunde zu gehen, wie wir es vielleicht kannten, als wir noch Kinder waren:
„Warum habt ihr solche Angst? Habt ihr denn keinen Glauben?"

Es gilt, das Lebensschiff tiefer zu verankern und auf den Punkt zu vertrauen, an dem, unterhalb der aufgewühlten See, abgründiger noch als der Abgrund, ein fester Boden uns Halt gibt.
Wie Theresa von Avila es formuliert hat: „Nichts soll dich ängstigen, nichts dich erschrecken. Wer an Gott festhält, dem wird nichts fehlen. Gott allein genügt."

Das bedeutet gewiss nicht, dass dem, der versucht, sein Leben im Vertrauen in Gottes Nähe zu gründen, sich die Probleme von selbst lösen. Es bedeutet auch nicht, dass sich die Angst vermeiden lässt.
Was uns im Bild des mitten im Sturm schlafenden Jesus begegnet, ist eine andere Form der Rettung:
Es gibt, sagt dieses Bild, mitten in der Angst, mitten in den Gefahren des Lebens, die über uns hereinbrechen und sich wieder verziehen mögen, wie die Fallwinde am See Gennesaret, einen Frieden des Herzens in Gott, ein Getröstetsein aus dem Vertrauen, dass er uns nicht verlässt, dass er uns immer nahe ist und nicht erst dann, wenn wir in Ängsten nach ihm rufen.

Das eigentliche Wunder der Rettung vollzieht sich nicht in einem spektakulären Eingriff Gottes von außen, nicht im Wunder des gestillten Sturms.
Was uns rettet und die Fahrt unseres Lebens von Ufer zu Ufer wagen lässt, ist Tag für Tag die Einübung in dieses Vertrauen, ist der stille Glaube an seine ständige Gegenwart, die den Sturm in uns beruhigt und unser Boot dem Ziel entgegenträgt.

Amen.