15. Sonntag im Jahreskreis -

Pfr. Stefan Schäfer

Datum:
So. 15. Juli 2018
Von:
Pfr. Stefan Schäfer

Liebe Schwestern und Brüder,
im Jahr 2019, dem Jahr des 5. Kreuzzugs der Christenheit gegen die Sarazenen, lösen sich eines Tages in der Nähe der ägyptischen Stadt Damiette zwei Gestalten aus dem Heerlager der Kreuzfahrer und bewegen sich auf das Lager von Sultan Al Malik Al Kamil zu.
Sie tragen einfache, abgewetzte Kutten, die staubig gewesen sein dürften und an den Füssen nicht einmal Sandalen. Barfuß sind sie unterwegs. Und ohne Waffen, ohne jeden Schutz.
Als sie im Lager des Sultans eintreffen, des Feindes, des Antichristen, wie christliche Prediger und päpstliche Bullen in jener Zeit nicht müde werden einzuschärfen, ruft einer der beiden, ganz offenbar in Kenntnis des islamischen „Salam Aleikum": „Der Herr gebe euch Frieden".

Die Rede ist, manche werden ihn schon erkannt haben, von Franz von Assisi.
Gegen den Geist seiner Zeit, in der der Christenheit der Hass gepredigt wurde, setzt er eine Friedensbewegung in Gang. Ganz auf sich allein gestellt, auf nichts anderes gestützt als auf das Evangelium und auf Jesu Wort. In Sanftmut und demütig. Gemäß der Weisung des Herrn an seine Jünger:
„Siehe ich sende euch wie Schafe unter die Wölfe".

Franziskus wird auf seinem Weg die Erfahrung machen, dass die Wölfe keine grausamen, alles verschlingende Tiere sein müssen und dass die Schafe mit ihnen in Frieden zusammenleben können.
Dass das „Reich Gottes", das verheißene, wo die „Wölfe bei den Schafen wohnen", wie es beim Propheten Jesaja heißt, keine Utopie ist, sondern real und gegenwärtig, dass es anbrechen kann, wo immer die „unreinen Geister" der Vorurteile und des Hasses vertrieben werden.
„Sagt nicht jemandem, der euch zur Begrüßung Frieden wünscht: Du bist kein Gläubiger!"
So heißt ein Kernsatz im Koran. Und in einer benachbarten Sure liest man: „Wenn man euch grüßt mit einem Gruß, so grüßt darauf mit einem schöneren und gebt den gleichen wieder."

Eine Woche, nach anderen Quellen fast einen Monat, ist Franziskus damals im Lager des Sultans geblieben. Er wird – ohne Geld, Gepäck und Proviant – dort auf Gastfreundlichkeit angewiesen gewesen sein. Und er wird sie erlebt haben. Großzügigkeit. Auch Toleranz. Und echte Frömmigkeit. Eher hier als im Lager der verrohten und brutalisierten Kreuzfahrer.

Auf jeden Fall war er von den angeblichen Feinden so beeindruckt, dass er nach seiner Rückkehr begann, ihre Schriften zu sammeln, obgleich er die arabischen Schriftzeichen ja gar nicht lesen konnte:
„Weil in ihnen die Buchstaben vorkommen, aus denen man die glorreichsten Namen des Herrn unseres Gottes zusammensetzt", entgegnete er einem Bruder, der ihn danach gefragt hatte. Vielleicht eine Erinnerung an das Gebet der schönsten Gottesnamen.
„Auch eignet das Gute, das sich darin findet", fügt er noch an, „nicht den Heiden oder irgendwelchen Menschen, sondern Gott allein, dem jegliches Gute zu eigen gehört."
Zurück in Assisi rief er dazu auf, die zentrale Glaubenspraxis des Islam nachzuahmen. Entsprechend dem Ruf des Muezzins sollte, so schlug er vor „ jeden Abend auf den Ruf eines Herolds oder auf andere Weise, (. . .) Lobpreis und Dank dem allmächtigen Herrgott gegeben werden von allen Bewohnern. (. . .) Wenn sein Name erklingt, sollt ihr euch auf den Boden niederwerfen mit eurer Stirn und ihn in Ehrfurcht und Verehrung anbeten."
Den Frieden predigte er auf Kanzeln und Marktplätzen.
Und er beendete seine Predigt stets mit den Worten:
„Was immer Gott will" , „Inschallah".

Die Begegnung des Franz von Assisi mit Sultan Al Mali Al Kamil ist historisch verbürgt. Der Verlauf der Begegnung freilich ist von Legenden umrankt und bleibt unter ihnen verborgen.

Man könnte spekulieren, ob der Frieden, den der Sultan den Christen in diesem Jahr 1219 angeboten hat, indem er ihnen die Herrschaft über die Heiligen Stätten überlassen wollte, nicht vielleicht auch von der Begegnung mit jenem Heiligen inspiriert war, der ihm mit dem Friedensgruß auf den Lippen entgegengetreten war.

Das Friedensangebot des Sultans wurde damals vom päpstlichen Legaten verworfen. Der Kreuzzug wurde fortgeführt, mit all seinen Schrecken, den Massakern und den Plünderungen.

Die Friedenmission des Franziskus war gescheitert.
Und doch kann ja kein Zweifel sein, in wem damals der Wille Gottes lebendig und am Werk war.
Und kein Zweifel kann sein, wohin er uns heute führen will:

Mit nichts im Gepäck als dem Vertrauen in das Evangelium gegen die unreinen Geister, Vorurteile, Respektlosigkeit und Verachtung des Andern bis hin zum blinden Hass und den Zynismus, der das Mitleid verächtlich macht, anzugehen.

Nach Gottes Willen zu fragen, sich ihm zu unterwerfen, ihm mit den eigenen Kräften und seien sie auch schwach, dienen zu wollen, macht, gleich welcher Religion er angehört, den Gläubigen aus. (Nicht anderes bedeutet ja auch ursprünglich das Wort „Islam": die Unterwerfung unter Gottes Willen.)

Darin, dass wir mit anderen Menschen guten Willens auf dem Weg der Barmherzigkeit gehen, dienen wir seinem Reich. Dieser Weg führt zur Einheit und in die Gemeinschaft, damit wir im Miteinander Gottes Liebe und Menschenfreundlichkeit widerspiegeln.

Amen

(Die Gedanken dieser Predigt verdanken sich dem Schlusskapitel aus Navid Kermani, Ungläubiges Staunen. Über das Christentum.)