28. Sonntag im Jahreskreis -

Pfr. Stefan Schäfer

Datum:
So. 14. Okt. 2018
Von:
Pfr. Stefan Schäfer

Liebe Schwestern und Brüder,
zeitlos gültig ist die alte Geschichte, die vom legendären König Midas erzählt wird:
sein Wunsch, „alles, was mein Leib berührt, verwandle sich in Gold", geht tatsächlich in Erfüllung. Freilich ist die Freude über den unvorstellbaren Reichtum, der ihm nun zufällt, nur von kurzer Dauer.
Seine Fähigkeit hat nämlich fatale Folgen:
Die köstlichsten Speisen ebenso wie das Wasser und das Brot – alles wird ihm, sobald er es berührt, ungenießbar. Zu Gold. Zu steinhartem Metall:
„Nun ward ihm klar, welch ein schreckliches Gut er sich erbeten hatte; so reich und doch so arm, verwünschte er seine Torheit."

In wenigen Strichen, zeitlos gültig, wird hier die innere Gefährdung skizziert, die dem Reichtum und unserem Streben danach innewohnt: Dass wir, davon verblendet, das Leben verfehlen und verlieren können.

„Was kostet mich das?" „Was bringt es mir?" „Lohnt es sich für mich?" –
das sind die „Midasfragen" des rechnenden Denkens.
Wenn sie im Denken und Handeln beherrschend und in unserem Zugang zur Welt und zum Anderen leitend werden, geht der Geschmack für das Leben verloren.
Wenn alles, was uns nahekommt und was wir berühren, nur noch unter der Hinsicht wahrgenommen wird, ob es uns nützt und inwiefern es uns in unserem Besitzstand betrifft, versteinert uns unter den Händen das Leben.

Von dieser Gefährdung ist, so scheint mir, auch im heutigen Evangelium die Rede:
„Reich und doch so arm" ist auch der Mann, der da vor Jesus erscheint. Er identifiziert und verwechselt sich selbst und das Leben, nach dem er doch fragt, mit dem, was man haben und halten kann. Hände und Herz sind besetzt.
Seine Berufung scheitert schließlich daran, dass er in der Begegnung mit Jesus, unter seinem liebevollen Blick und im Ruf, ihm zu folgen, die Chance nicht wahrnimmt, die dem sich eröffnet, der es wagt, loszulassen.
Er haftet an seinem Besitz. Und sein Besitz haftet an ihm, als könnte der Reichtum ihm das Leben garantieren.
Wie das Leben zu gewinnen sei, hatte er gefragt.
Es erschließt sich denen, die es mit leeren und offenen Händen als unverfügbares Geschenk erwarten.
Ihn aber, den armen Reichen, zieht am Ende die Schwerkraft des Habenwollens in sein altes Leben und Denken zurück.

„Wie schwer ist es für Menschen, die viel besitzen, in das Reich Gottes zu kommen."

Vor Jesu Wort erschrecken damals die Jünger. Es trifft auch uns und fordert uns heraus:
Wenn Menschen heute aus Angst um ihr „Eigenes", um ihren Wohl-und Besitzstand, sich gegeneinander verhärten in jenem Egoismus, den das rechnende Denken hervortreibt, uns in eine andere Haltung einzuüben und für sie einzustehen, im Wort und in der Tat:
für die gar nicht exklusiv christliche, sondern einfach allgemein menschliche Wahrheit, dass wir im Geben gewinnen können.
Und darüber hinaus:
für die Wahrheit, die sich auf dem Weg der Nachfolge und im Glauben Schritt für Schritt erschließt. „Vor Gott ist alles möglich!"
Das Vertrauen in seine Gegenwart in aller Mitmenschlichkeit und Güte befreit aus der Angst um uns selbst zu ungeahnten Perspektiven und Möglichkeiten.

Dafür scheint Jesus im heutigen Evangelium seine Jüngerinnen und Jünger, also auch uns, öffnen zu wollen:

Dem, der sich selbst, der das Leben oder was er dafür hält, nicht an seinem Besitzstand festmacht, kann sich eine neue Sicht der Welt erschließen.
Sie dreht sich ja gar nicht immer nur um Konkurrenz im ewigen Verteilungskampf um immer knappe Ressourcen, bei dem der Andere in der ständigen Angst zu kurz zu kommen als Bedrohung erscheint. Wo Menschen großherzig genug werden, zu teilen und vom Eigenen zu schenken, kann vielmehr jetzt schon etwas entstehen, das dem Reich Gottes ähnlich sieht:
Ein Raum der Geschwisterlichkeit unter den Menschen, ein Zuhause, in dem wir einander nicht als Konkurrenten, sondern als Brüder und als Schwestern begegnen:
Wer um meinetwillen loslässt, sagt Jesus seinen Jüngern, der empfängt, hundertfach, Brüder und Schwestern, in einer neuen Gemeinschaft, an der sich die Gesetze, die im Reich Gottes gelten, jetzt, in dieser Zeit, schon ablesen lassen.

Man mag das naiv finden und als weltfremde Träumerei verlachen.
Tatsächlich leben wir aber in einer Welt, in der es gar nicht möglich ist, sich abzuschotten und Besitzstände zu verteidigen. In der es längst eine Frage des Überlebens geworden ist, ob wir es lernen, uns als Teil einer Menschheitsfamilie zu begreifen, in der auch fremde Not uns unmittelbar angeht und betrifft.
Die Kräfte des Egoismus spalten und lähmen. Sie verhärten das Miteinander in einer Gesellschaft, bis sie unfähig wird, sich den Aufgaben einer gemeinsamen Zukunft für alle zu stellen.

In dieser Situation werden wir heute an eine einfache aber grundlegende Wahrheit des Evangeliums erinnert:
Dass der Einsatz für den Anderen, die Bereitschaft, aus dem eigenen Reichtum zu helfen, zu teilen und zu schenken, uns nicht ärmer macht, sondern reichen Lohn in sich trägt.
Weil wir Menschen nie so sehr bei uns selbst sind als da, wo wir nicht mehr um uns selbst kreisen. Und der das Leben findet, das wir alle suchen, der sich selbst vergisst im Einsatz für den Anderen, in der Hingabe.
Sie erschließt den Raum der Mitmenschlichkeit, in dem wir Zukunft und Hoffnung haben.

König Midas wäre an seinem Reichtum fast verhungert. Der Sage nach findet er Erlösung. Er wird in den Fluss Paktolos geschickt und muss ihn gegen den Strom hinaufgehen bis zur Quelle. So wird er von seinem Fluch befreit.

Für unseren Glauben ist die Quelle in Jesus Christus erschlossen.
In ihm begegnet ein Gott, der nicht an seinem Reichtum festhält, sondern sich entäußert und verströmt, um in seinem Erbarmen allen Menschen nahe zu kommen.
Seine Armut hat uns reich gemacht.

Diese Quelle für uns und andere zu entdecken, um aus ihr Mut und Hoffnung und Leben zu schöpfen, verlangt wohl auch von uns immer wieder gegen den Strom anzuschwimmen.

Amen