3. Sonntag der Osterzeit - Pfr. Schäfer

Datum:
So. 10. Apr. 2016
Von:
Pfr. Schäfer

3. Sonntag der Osterzeit - Pfr. Schäfer


Liebe Schwestern und Brüder,
„Manchmal stehen wir auf
Stehen wir zur Auferstehung auf
Mitten am Tage"

So beginnt ein Gedicht der Lyrikerin Marie Luise Kaschnitz. Es spricht von der Möglichkeit einer Auferstehung heute und jetzt, nicht erst eines fernen jüngsten Tages, von einer österlichen Erfahrung „mitten am Tage", mitten im Alltag unseres Lebens:

„Manchmal stehen wir auf
Stehen wir zur Auferstehung auf
Mitten am Tage
Mit unserem lebendigen Haar
Mit unserer atmenden Haut

Nur das Gewohnte ist um uns
Keine Fata Morgana
Mit weidenden Löwen
Und sanften Wölfen

Die Weckuhren hören nicht auf zu ticken
Ihre Leuchtzeiger löschen nicht aus"

Davon scheint doch auch unser heutiges Evangelium zu handeln: Von Ostern „mitten am Tage", im Gewohnten und Alltäglichen, das auch uns, wie jenen Jüngern am See von Tiberias, manchmal recht grau und banal und letztendlich frustrierend erscheinen mag.

„In jener Zeit offenbarte sich Jesus den Jüngern noch einmal", ein drittes Mal. Er hat sich ihnen gezeigt, dem Thomas, dem Petrus und den anderen. Sie sind zum Glauben gekommen.
Dennoch hat man am Beginn dieser Erzählung nicht den Eindruck, dass dieser Glaube sie besonders inspirieren und begeistern würde.
„Ich gehe fischen" sagt Petrus. „Wir kommen auch mit", sagen die anderen mit wenig Enthusiasmus. Sie gehen eben ihrer Arbeit nach, ihren Pflichten, routiniert und ohne große Erwartung.
 Der Alltag hat diese Jünger wieder: die alte Umgebung, der alte Beruf, das alte Lied. Der Ostermorgen, an dem ihnen alles in ganz neuem Licht erschienen war, ist nicht vergessen, aber er liegt fern. Der Glaube, der sie einmal beflügelt hat, ist verblasst und ohne Kraft. Das Vertrauen in die Gegenwart des Herrn scheint nicht mehr zu tragen. Sie verlassen sich lieber auf ihre eigenen Fähigkeiten, auf das, was sie gelernt haben, was sie kennen und können.

Es fällt  wahrscheinlich nicht schwer, uns selbst in diesen alltagsgrauen Gestalten wiederzufinden: Manchmal - gar nicht so selten - erschrickt man doch am Ende einer Woche:
Schon wieder sind mir die Tage zwischen den Fingern verronnen. Einer war wie der andere. Die immer gleichen Fehler sind mir unterlaufen, in alte Konflikte habe ich mich wieder verstrickt. Es gab Streit und Enttäuschung; Weniges, von dem ich sagen könnte: das ist geglückt und war gut und kann so bleiben. Dann steht man da mit leeren Händen, die Netze sind leer.
Der Alltag, das ist der Ort, an dem wir - wie die Jünger - müde werden und resignieren möchten. Hier erfahren wir unser Überfordertsein, unsere Armseligkeit und Gebrechlichkeit.

Vielleicht denkt Petrus, während er die eingespielten Handgriffe im Boot verrichtet, zurück an die Stunde, in der er den Herrn verleugnet hat. Vielleicht fragt er sich, ob seine Liebe jetzt wohl größer wäre. Vielleicht gesteht er sich ein, dass er seinen Herrn längst schon wieder verleugnet hat -  einmal, dreimal, immer wieder - in den Kompromissen, dem kleinen Verrat, zu dem der Alltag uns zwingt.

Der Alltag, das ist der Ort, an dem wir uns beschämt eingestehen müssen, wie klein unsere Liebe ist, wie schwach unsere Hoffnung, wie wenig der Glaube uns trägt.

Und genau dort, „mitten am Tage", wenn nur „das Gewohnte" um uns ist, kann es geschehen, dass Ostern sich an uns ereignet. So erzählt es zumindest das heutige Evangelium: der Alltag ist der Ort, an dem der Auferstandene seinen Jüngern noch einmal begegnet.

Während sie noch mit ihren leeren Netzen beschäftigt sind, steht der Herr schon unerkannt am Ufer, bereit, ihnen einen neuen Anfang zu schenken.
Die Ostererfahrung bricht noch einmal auf, mitten in der Langeweile und Mühsal.
Sie erfahren: Wir sind in unserem Scheitern nicht allein und verlassen.
Gerade dort werden wir erwartet. Gerade dort wartet der Herr auf uns.
Er fragt uns gar nicht nach unseren  Erfolgen. Er sieht voll Erbarmen auf unsere leeren Hände. Und fragt, ob wir ihm noch einmal vertrauen wollen.
 Als sie mit sich selbst am Ende sind, werfen die Jünger noch einmal die Netze aus, einzig und allein auf sein Wort gestellt.

Auf sein Wort hin es doch noch einmal zu versuchen - darin liegt die Verheißung dieses Evangeliums:
dann erscheint vielleicht auch uns die Mühe unserer Pflichten in neuem, österlichem, Licht: als der Weg, den wir mit ihm gehen, der uns doch geboten hat, täglich unser Kreuz auf uns zu nehmen und ihm nachzufolgen.
Es wird uns nichts abgenommen. Aber vielleicht lernen wir es, den ganzen Aufreibungsprozess unseres Alltags, wenigstens für einen Augenblick, als unseren Weg der Hingabe zu begreifen, als unsere Weise, den Weg des Weizenkorns zu gehen und etwas von dem Geheimnis zu ahnen, dass der das Leben findet, der es loslässt und verliert
Und das Zerbrechen unserer Hoffnungen, die Misserfolge, die Schuld - vielleicht erscheinen sie uns dann als Einladung, ihm noch mehr zu vertrauen.

Auf sein Wort hin: es ist das Wort von der Versöhnung, das uns einen neuen Anfang schenkt;
vom Frieden, den wir nicht machen können, vom Leben, das wir - der Alltag lehrt es uns tagtäglich - niemals unserer Leistung verdanken werden, das uns vom andern her geschenkt wird. Und in diesem andern begegnen wir Gott.

Und „manchmal", „mitten am Tage", bricht doch die Freude wieder auf an dem, was wir sind und auf sein Wort hin tun dürfen. Wir wissen gar nicht recht, woher sie kommt und doch wird für einen Moment zur Gewissheit, die trägt:
dass er da ist, der Auferstandene am Ufer unseres Lebens, und dass wir, im Einsatz unserer Kräfte für den andern, oft unter Mühsal und Plage und dem Anschein der Vergeblichkeit, wenn wir das Leben zu verlieren meinen, das eigentliche Leben in ihm schon gefunden haben, von dem her die Vollendung heute und jetzt schon eindringt in unsere tägliche Existenz und uns zu verwandeln beginnt, mit „unserem lebendigen Haar" und unserer „atmenden Haut" in Menschen des Vertrauens, die Christus für die anderen leben. Manchmal spüren wir es doch wieder: Das neue, das österliche Leben ist mitten im Alltag schon anwesend und wirksam.

Von dieser Freude und diesem Vertrauen, die manchmal aufscheinen und sich dann wieder entziehen, scheinen auch die Verse zu sprechen, in die das Gedicht der Kaschnitz mündet und mit denen es abbricht, weil das, was da angesprochen wird letztlich unsagbar bleibt:

Nur das Gewohnte ist um uns.
Die Weckuhren hören nicht auf zu ticken.

Und dennoch leicht
Und dennoch unverwundbar
Geordnet in geheimnisvolle Ordnung
Vorweggenommen in ein Haus aus Licht.

Amen