5. Sonntag der Osterzeit -  Pfr. Schäfer

Datum:
So. 18. Mai 2014
Von:
Pfr. Stefan Schäfer

5. Sonntag der Osterzeit -  Pfr. Schäfer

Liebe Schwestern und Brüder,

in einem seiner Lieder beschwört Reinhard Mey eine Kindheitserinnerung. Er sieht sich selbst als kleinen Jungen, wie er an einem Samstagabend, ausgetobt und abgekämpft und ziemlich schmutzig vom Spielen, dem elterlichen Haus entgegen strebt. Voller Vorfreude, weil er schon weiß, was ihn da erwarten wird: ein tadelnder Blick des Vaters zwar -„Menschenskind, wie siehst du wieder aus" -, vor allem aber: Topfkuchen und eine Kanne Kakao, die schon auf dem Küchentisch stehen. Er malt sich als Erwachsener noch einmal dieses sonnabendliche Ritual des Nachhausekommens aus:

 

„ . . . ich darf die braune Backform umdrehn.

Schokoladenflocken mit der Raspel gerieben

In der Schaumkrone meines Kakaos.

Manchmal wünscht´ich, es wär noch mal Viertel vor Sieben.

Und ich wünschte ich käme nach haus."

 

Zu wissen, wohin man gehört, glauben können, dass man erwartet wird, dass es einen Ort gibt, an dem man Zuflucht findet, das Visier hochklappen und alle Viere von sich strecken kann, - das ist ein menschliches Grundbedürfnis. Wir sehnen uns danach, irgendwo zuhause zu sein. Nach einem Dach über dem Kopf. Und mehr noch nach einem Obdach für unsere Seele. Dann könnten wir Vertrauen ins Leben fassen und ohne Angst, dem kommenden Tag entgegengehen.

 

Dieses Gefühl, daheim sein zu dürfen und sich geborgen zu fühlen - manchmal erscheint es uns Erwachsenen , wie in Reinhard Meys Lied, nur noch wie eine etwas wehmütige Erinnerung an das verlorenen Paradies der Kindheit, in das kein Weg mehr zurückführt.

So beschreibt es der Liedermacher: Wie er z.B. eines Morgens einen Brief vorfindet, der ihn in seinem Fundament erschüttert, die Nachricht von der Trennung eines Paares im Freundeskreis, deren Liebe er für unverbrüchlich gehalten hatte. Und wie es ihm selbst immer schwerer fällt, sich nach Enttäuschungen wieder aufzurappeln, weil die Ressourcen an Hoffnung und Lebensmut sich mit den Jahren zu erschöpfen scheinen. Wie die Kraft, weiterzugehen, nachlässt und der Optimismus, dass das alles sich lohnt und einem guten Ziel entgegenführt, nicht mehr recht trägt. Etwas wehmütig erinnert er sich nun als Erwachsener daran, wie schön es war, als Kind im Vertrauen geborgen gewesen zu sein und wie glücklich er als kleiner Junge war:

 

„Nur einen Augenblick noch mal das Bündel ablegen

und mit arglosem Übermut

durch dunkle Wege der Zuflucht entgegen

und glauben können, alles wird gut.

Manchmal wünscht´ ich mir, die Dinge wär´n so einfach geblieben,

und die Wege gingen nur gradeaus.

Manchmal wünscht´ ich mir, es wär noch mal Viertel vor Sieben.

Und ich wünschte, ich käme nach Haus."

 

Mag sein, dass dem Liedermacher sein Erinnerungsbild etwas zu idyllisch geraten ist: Nicht immer und nicht für jeden ist die Kindheit ein Hort der Geborgenheit. Auf jeden Fall aber spricht sein Lied eine Sehnsucht in uns an: Ein Leben lang bleiben wir auf der Suche nach jenem Ort, an dem wir ganz und auf Dauer ankommen und zuhause sein dürfen.

 

Und wenn man genau genug hinhört, dann schimmert durch die Verse dieses Lieds noch ein anderes, ein biblisches Bild, hindurch - das vom Vaterhaus, in dem der verlorenen Sohn erwartet wird und Zuflucht findet in all den Abenteuern, Irrungen und Wirrungen seines Lebens.

 

Dieses Bild steht auch im Hintergrund unseres heutigen Evangeliums.

Jesus nimmt Abschied von seinen Jüngern: „Euer Herz sei ohne Angst. Glaubt an Gott und glaubt an mich. Im Haus meines Vaters sind viele Wohnungen."

Noch einmal, ganz am Ende, taucht da ein Thema auf, das das Johannesevangelium von Anfang an wie ein Leitmotiv durchzieht: Die Frage nach dem Zuhause Sein, das Motiv des Wohnens.

„Herr, wo wohnst du?" - das war die Frage der ersten Jünger gewesen. „Kommt und seht", hatte Jesus ihnen geantwortet. Und sie waren geblieben. Sie hatten begonnen zu verstehen, dass in ihm eine verlässliche Zuflucht gegeben war, ein Ort des Aufatmens, eine Geborgenheit, die den Grund legt zu neuem Vertrauen.

Er, der von sich sagen wird, er habe keinen Ort, wohin er sein Haupt legen könne, ist ganz in Gott zu hause. In jener Liebe und Menschenfreundlichkeit, die allen mit ihrem manchmal mühseligen Leben einen Raum eröffnet, in dem sie ausruhen dürfen: all den Ausgestoßenen, den Sündern, den verlorenen Söhnen und Töchtern, denen mit dem Knacks in der Biographie, die sich manchmal fremd fühlen in ihrem eigenen Leben, denen seinen ganze Zuwendung gilt, denen er die weit geöffnete Tür zum Haus des Vaters sein möchte, die er, wenn´s sein muss tragen will, um sie heimzuholen, wie ein guter Hirt das verlorenen Schaf, wenn sie es alleine nicht mehr schaffen.

 

Jetzt, in der Stunde des Abschieds, wird das noch einmal aufgegriffen und bestätigt: „Ich gehe, um einen Platz für euch vorzubereiten", im Haus meines Vaters, dem Haus mit den vielen Wohnungen für viele, sehr verschiedene Menschen, mit vielen verschiedenen , manchmal gewundenen und anstrengenden Lebensläufen, die dort alle zum Ziel kommen sollen.

 

„Heimat", so hat Ernst Bloch formuliert, sei „was allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war."

Im Licht unseres heutigen Evangeliums ist sie ein Bild für das, was wir am Ende erhoffen dürfen. Kein verlorenes Paradies. Sondern ein Paradies, auf das wir zugehen.

Dazu ist Jesus in die Welt gekommen: dass wir schließlich zuhause ankommen und nicht unterwegs verlorengehen.

„Glaubt an mich und glaubt an Gott."

Wo es Menschen gelingt, ihren Weg aus einem solchen Vertrauen heraus als Heimweg zu gehen, da leuchtet manchmal vielleicht etwas von dieser „Heimat" schon auf, während wir noch unterwegs sind:

Da dürfen wir, einer beim andern, für einen Moment doch „das Bündel ablegen", in der Gegenwart eines Menschen, der uns annimmt verschnaufen, weil wir aus dem Glauben den Mut finden einander zu trösten, wie es einst unsere Eltern mit uns getan haben:

„Alles wird gut!"

 

Amen