Jahresschluss - Pfr. Stefan Schäfer
Liebe Schwestern und Brüder,
„Fürchtet euch nicht!", ruft der Engel den erschrockenen Hirten auf dem Feld von Bethlehem zu.
„Fürchtet euch nicht!", lautet das Wort des Auferstandenen an seine verzagten Jünger, als er sie aussendet, das Evangelium unter den Menschen zu leben und zu verkünden: „Ich bin bei euch, alle Tage bis zum Ende der Welt"
„Fürchtet euch nicht!"
Auf der Schwelle zwischen Altem und Neuem dürfen auch wir uns das heute gesagt sein lassen.
Wir schauen zurück.
Ein Jahr geht zu ende. Die Bilanz, die wir ziehen, fällt wahrscheinlich gemischt aus. Manches ist uns gelungen. Es hat glückliche Tage oder wenigstens Stunden gegeben. Aber auch: das Scheitern, die Schuld, die Enttäuschung über uns selbst und den andern.
Manchmal empfinden wir die Enge unseres Daseins so schmerzlich, dass es uns lähmt und uns die Kehle zuschnürt.
Wir schauen voraus.
Auch dies mit gemischten Gefühlen. Die Zukunft ist ungewiss. Der Zauber des Anfangs, wenn ein neues Jahr anbricht, geht einher mit der Sorge.
Auch in der Nacht der Jahreswende wird diese Welt sich weiterdrehen, was sonst. Das Licht des Neujahrsmorgens wird nicht darüber hinwegtäuschen können, wie mächtig der Hass und die Gewalt in ihr sind.
In all das hinein, was uns auf der Schwelle heute beschäftigt und vielleicht auch bedrängt und ängstigt, sagt auch uns der Engel noch einmal dieses weihnachtliche „Fürchtet euch nicht!":
Im Kind in der Krippe hat die Ewigkeit die Zeit in sich aufgenommen, sie von ihrem Anfang und von ihrem Ende her umfasst und trägt sie in jedem ihrer Augenblicke.
Gott hat das Wort seiner Liebe ein für alle Mal in diese Welt hinein gesprochen: „Ich bin da".
Für das Dunkel der Vergangenheit und das Ungewisse der Zukunft gilt diese Zusage:
„Ich bin da. In der Enge deines Alltags und in der Weite deiner Hoffnungen und Träume.
Ich bin da, ich bin bei dir. Ich weine deine Tränen und bin in deiner Freude. Ich kenne deine Not. Ich bin in deiner Angst. Ich selbst habe sie erlitten und am Kreuz auch die Ohnmacht und Verzweiflung angesichts von Hass und Gewalt mit dir geteilt.
In allem, was dir widerfährt, komme ich selbst die entgegen.
Ich bin da bin bei dir, am Morgen und am Abend und ganz gewiss an jedem neuen Tag."
Das Vertrauen in diese Zusage löst nicht die Probleme der Welt und auch nicht die unseres eigenen Lebens. Aber es setzt Hoffnung frei gegen die Hoffnungslosigkeit und schenkt Mut, wenn uns die Zuversicht zu verlassen droht:
„Fürchtet euch nicht!"
Das ist nicht nur an Weihnachten ein Grundwort der Botschaft der Bibel.
In einem ihrer Texte hat die Benediktinerin Silja Walter diese Zusage eindrucksvoll und berührend entfaltet. Ihr Gedicht mag uns an diesem Silvesterabend über die Schwelle in ein neues Jahr begleiten:
„"Fürchtet euch nicht!" Jemand hat nachgezählt: 366mal sagst du uns das in der Bibel. Herr, für jeden Tag im Jahr einmal und für den Schalttag noch einmal extra dazu.
Jeden Tag beim Erwachen kann ich also noch mit geschlossenen Augen fragen: „Was sagst du mir heute?" Ich weiß schon zum vornherein, was: „Fürchte dich nicht", sagst du, und das gilt für den Tag und die Nacht, bis anderntags früh. (. . .) Und weiter so, Tag um Tag, als wäre ein Jahr nur ein Tag. Das hat mit Weihnachten zu tun, mit dem, was damals geschah, in jenem Stall in der Nacht, das steht fest.
Wer sich das klar überlegt, der wird die Zusage Gottes noch hinter den schlaftrunkenen Augen in seinem Innern vernehmen und gleich erwachen daran. (. . .)
Aber sie steckt uns im Blut, Herr, die Angst, das weißt du selbst, du hast sie ja durchgemacht wie nie ein Mensch unter uns.
Wir haben Angst, seit der erste von uns sich verkroch im Gebüsch vor dir. Seit er zu seiner Frau heimkam und sagte: „Der ältere hat den Jungen erschlagen heut Morgen draußen im Feld. (. . .) Seit es das Böse gibt auf der Welt und in uns.- Seither gibt es die Angst in uns und die schreckliche Angst vor der Angst.
Aber ich bin entschlossen, von Weihnachten an mich nicht mehr zu fürchten. (. . .)
Denn Weihnachten heißt: „Fürchte dich nicht, ich bin bei dir.""