Ostern - Pfr. Stefan Schäfer

Datum:
Sa. 15. Apr. 2017
Von:
Pfr. Schäfer

Ostern - Pfr. Stefan Schäfer

Liebe Schwestern und Brüder,

groß ist der Stein vor dem Eingang des Grabes, „sehr groß", wie die Ostererzählung betont.
Selbst, mit ihren eigenen Kräften, werden sie ihn nicht bewegen können.
Und mögen inzwischen auch Wissenschaft und Technik die Grenzen zugunsten des Lebens auch immer weiter verschieben – letztlich stehen auch wir noch immer genauso ohnmächtig vor dem Faktum des Todes wie damals die Frauen, von denen das Evangelium erzählt:
„Sehr groß" ist noch immer der Stein vor dem Eingang des Grabes.

Dennoch haben sie sich aufgemacht, Maria aus Magdala, Maria, die Mutter des Jakobus und Salome, sind aufgebrochen, in aller Frühe, in das Dunkel des „ersten Tages der Woche" hinein, der noch ganz erfüllt ist von Ratlosigkeit und Verzweiflung und noch nichts ahnen lässt vom Licht eines ganz neuen Morgens.
Ohne zu wissen, wer ihnen den Stein wegwälzen könnte, gehen sie dennoch an dieses Grab, das ihrer Trauer einen Anhaltspunkt gibt und um ihrer Treue über den Tod hinaus irgendwie doch einen Ausdruck zu geben.
Und obwohl all die rührend-liebevollen Handlungen der Pietät, wie ja auch wir welche an unseren Gräbern vollziehen, immer ohnmächtig bleiben und nichts ausrichten gegen den Verfall und gegen das Vergessen, haben sie dennoch ihre „wohlriechenden Öle" dabei.

In dieses „Dennoch" hinein, das sich nicht abfindet mit dem, was nun einmal der Fall ist und nicht zu ändern, wird die Botschaft von Ostern verkündet.
Den Frauen damals am Grab Jesu.
Und ebenso uns heute in dieser Osternacht.

Auch wir haben uns aufgemacht, ohne zu wissen.
Es sind ja keine harten Fakten und beweisbaren Gründe, die uns an Ostern geboten werden. Wir haben nur ein paar Verse in den Evangelien, Jahre, gar Jahrzehnte erst aufgezeichnet, nachdem sich im Kreis der Jüngerinnen und Jünger Jesu etwas ereignet hat, das sich nicht mehr recht fassen lässt, um diese Erfahrung dann doch in Worte zu kleiden und von ihr erzählen zu können.
Sie verkünden, dass der Gekreuzigte lebt.
Und obwohl unser Verstand den Stein, der ihm den Zugang zum Geheimnis der Auferstehung verschließt, niemals aus eigener Kraft wird wegwälzen können, hören wir diese Botschaft dennoch als einen Anhaltspunkt unserer Hoffnung.

Wie bei den Frauen im Evangelium, die sich nicht davon abbringen lassen, Jesus über den Tod hinaus zu suchen, gehört dieses „Dennoch" auch für uns zu den Beweggründen des Herzens, die uns – trotz aller Fragen und Zweifel – manchmal weitertragen als unser Verstand.

Der Tod ist mächtig und allgegenwärtig in unserer Welt. Das ist wahr. Um das zu sehen, genügt ein Blick in die Zeitung.
„Tod und Leben liegen im Kampf", „mors et vita duelo", so beschreibt dieses Faktum die Ostersequenz, ein Text aus dem 11. Jahrhundert. Und ohnmächtig müssen auch wir erleben, wie in diesem Kampf immer wieder der Tod den Sieg davonzutragen scheint.
Sein mächtigster Vasall ist schon immer und auch heute die Angst, in der Menschen sich gegeneinander und gegen das Leben verschließen. Und die Angst um uns selbst, der Egoismus, in dem jeder nur noch sich selbst der Nächste ist, um sich von dem bisschen Leben, das dem Tod abzutrotzen ist, zu nehmen, was immer man kriegen kann.

Und dennoch!

Es gibt das andere auch: Es gibt die Angst, das Misstrauen, die Kälte des Egoismus. Aber immer wieder auch beglückende Spuren der Fürsorge und vielfacher sehr konkreter Solidarität.
Es gibt die Verwüstungen der Kriege. Aber auch die ungebrochene Hoffnung auf Neubeginn.
Wie bei jenem Jugendlichen aus Afghanistan, der nicht sprechen kann über die traumatischen Erfahrungen seiner Flucht und der für die Ausstellung, die wir in der Fastenzeit hier in St. Stephan gezeigt haben, das Foto eines Kinderspielplatzes in Mainz beigesteuert hat:
Weil es ihn daran erinnert, dass er einmal in seine Heimat zurückkehren möchte, um dafür zu arbeiten, dass Kinder auch dort eine glückliche Kindheit haben.
Es gibt die Abstumpfung und die Verrohung.
Aber auch, unzerstörbar, den Idealismus der Jugend, der berührt und der ansteckend ist.
Es gibt Gewalt und menschenverachtende Zerstörung.
Und dennoch behaupten sich die Würde und die Sehnsucht nach Schönheit:
Auf einem Anhänger hat Aeham Ahmad, die Geschichte ist um die Welt gegangen, sein Klavier durch das Flüchtlingslager Jarmuk transportiert, um dort auf Straßen und Plätzen in den Trümmern des syrischen Bürgerkrieges Konzerte zu geben.

Es gibt, wenn man es nur sehen und wahrhaben will, auf dem Kampfplatz von Leben und Tod immer wieder das „Dennoch" der Hoffnung.
In dieses „Dennoch" hinein wird die Osterbotschaft verkündet und findet in ihm ihren Echoraum.

Sie spricht von Gott. Dem Freund und Liebhaber des Lebens. Der oft fern zu sein scheint. Und der schweigt. Und der dennoch in dieser Welt zugegen und am Werk ist. Verborgen in Trauer und Angst aber auch in Freude und Hoffnung, in Größe und Elend des Menschen und der gegenwärtig ist im Leid seiner Geschöpfe und in denen, die zum Mitleiden fähig sind.
Und von Jesus Christus, seinem Messias. Der in seinem Namen gekommen ist, aufzurichten, zu trösten und zu heilen, den Frieden zu verkünden und Versöhnung zu bringen. Ihn haben der Tod und seine Vasallen, Hass und Gewalt, geschlagen.
Am Kreuz scheint alle Hoffnung gescheitert.

Und dennoch finden seine Jüngerinnen und Jünger den Mut zu verkünden, dass der Stein weggewälzt ist und dass der Gekreuzigte lebt,
dass Gott die Toten auferweckt, weil er der Gott ist, den Jesus verkündet hat:
Ein Gott der den Verlorenen nachgeht, und der die Tränen abwischen will von jedem Gesicht.

Das „Dennoch" des Glaubens, das österliche „Dennoch" findet sich nicht ab in Resignation und zynischem Einverständnis mit dem, was nun einmal der Fall und doch nicht zu ändern ist.
Es weigert sich, nicht zu hoffen. Und setzt darauf, dass diese Welt und unser Leben doch in einer anderen Dimension gehalten sind und einem Ziel entgegengeführt werden, als nur von einem blinden Schicksal und dem bloßen Spiel der Mächte und Interessen.
Es setzt auf die Wirklichkeit Gottes.
Und es hat dafür seine Gründe, Gründe des Herzens, das weiter und tiefer sieht als unser Verstand:
Wie mächtig das Sinnwidrige und Böse auch sein mögen, sagt uns das Herz, die Güte ist stärker. Sie überwindet den Tod.
Das ist die Botschaft von Ostern.

„Sehr groß" war der Stein vor dem Eingang des Grabes.
Dennoch haben die Frauen sich aufgemacht.
Hätten sie resigniert und sich der Verzweiflung überlassen, sie hätten nicht entdeckt, dass wider alles Erwarten der Stein bereits weggewälzt war. Die Botschaft des Engels hätte kein Ohr gefunden: Sie wird in das „Dennoch" hinein verkündet.
Wie den Jüngern bringen diese Frauen heute auch uns den Auftrag, dem Auferstandenen entgegenzugehen.
Mit unseren Fragen, durch diese zerrissene Welt, aber dennoch in Glaube und Liebe und mit dem langen Atem österlicher Hoffnung.

Amen