Ostern - Pfr. Stefan Schäfer

Datum:
So. 5. Apr. 2015
Von:
Pfr. Stefan Schäfer

Ostern - Pfr. Stefan Schäfer


Liebe Schwestern und Brüder,

inzwischen sind, so melden die Nachrichten, alle Opfer geborgen. Nun werden sie der Anonymität des Todes noch einmal für einen Moment entrissen: Der DNA Vergleich ordnet ihnen ihre Namen zu, damit die Angehörigen Gewissheit erhalten.
Bevor die Trümmer des Flugzeugwracks in den französischen Alpen dann weggeräumt werden, suchen die Helfer zuerst die persönlichen Gegenstände an der Absturzstelle zusammen, um sie dann den Hinterbliebenen zu übergeben. Als könnte noch einmal ein Kontakt hergestellt und das Unfassbare irgendwie fassbar gemacht werden, wenn eine Mutter, ein Vater das Kuscheltier oder das Handy, die Gegenstände, die ihr Kind vielleicht als Letztes im Leben berührt hat, in Händen hält.

Beeindruckend sind die Anstrengungen der Helfer, übermenschlich geradezu, weil es die Kräfte eines Menschen bis an seine Grenzen und darüber hinaus einfordert, sich so mit dem Tod zu konfrontieren. Aber sie sind auch sehr hilflos!

Der Tod hat das Band der Beziehung zerrissen. Mögen die Namen auch ermittelt sein: Nie mehr tritt dieser Mensch, wenn ich ihn rufe, durch die Tür ins Zimmer. Und kein Kuscheltier kann ersetzen, dass ich ihn nie mehr werde berühren können.

Groß ist der Stein vor dem Grab, der die Lebenden trennt von den Toten. Sehr groß, wie das Markusevangelium eigens betont.

Und hilflos wirkt alles, was wir von uns her an dieser Grenze unternehmen. An diesem Stein enden alle unsere Wege. Auch die Wege unseres Denkens, der Versuch zu verstehen.
Die Informationen, die der Staatsanwalt ermittelt und die Daten der Flugschreiber mögen Erklärungen liefern. Sie reichen nicht im Entferntesten an eine Antwort auf die Frage heran, die die Trauerden umtreibt und nicht zur Ruhe kommen lässt: Sie geben keine Antwort auf die Frage nach dem „Warum?".
Und keine der Konsequenzen, die jetzt aus der Katastrophe gezogen werden, gibt im Nachhinein dem Tod der Opfer einen Sinn.

Hart und scharf und von uns her unüberwindlich ist die Grenze, die das Leben vom Tod trennt. Mit all den Möglichkeiten, die wir uns erworben haben, allem Fortschritt, stehen wir heute genauso ohnmächtig und hilflos an dieser Grenze, wie damals jene Frauen am Morgen des ersten Wochentages mit ihren „wohlriechenden Ölen", dem Balsam, mit dem sie noch einmal eine Handlung aus Pietät vollziehen wollen, wo es eigentlich nichts mehr zu tun gibt.
Und ihre Ratlosigkeit ist auch die unsere:
„Wer könnte uns den Stein vom Eingang des Grabes wegwälzen?"

Vor dieser Frage muss sich der Osterglaube bewähren.
Der Stein, an dem wir mit all unseren Mitteln von uns her nicht vorbeikommen, ist der Prüfstein für das, was wir an Ostern feiern.

Es sind keine harten Fakten, auf die wir setzen, wenn wir als Christen behaupten, dieser Stein, der sehr große Stein, sei gegen alle Erfahrung und wider alles Erwarten, dennoch ins Rollen gekommen und weggewälzt.
Wir haben dafür nur ein paar Verse in den Evangelien, Jahrzehnte erst aufgezeichnet nachdem sich im Kreis der Jüngerinnen und Jünger Jesu etwas ereignet hat, das sich nicht mehr recht fassen lässt und um diese Erfahrung dann doch noch in Worte zu kleiden und von ihr zu erzählen.
Wir haben keine Beweise.
Wir haben nur das Bekenntnis des Glaubens dieser ersten Zeugen.

Sie sagen uns, dass Jesus, der Gekreuzigte lebt.
In diesem einen Satz ist letztlich das Ganze der Osterbotschaft enthalten, das dann in den Ostererzählungen entfaltet wird:

Der Gekreuzigte lebt.
Es geht auch an Ostern immer noch um das Kreuz. Der Karfreitag, der Schmerz und die Trauer, der Abgrund, in den der Tod alle Hoffnungen reißt, - all das ist an Ostern nicht einfach abgetan und vergessen mit einem billigen „Alles ist wieder gut".
Die Jünger werden den Auferstandenen an seinen Wundmalen erkennen. An ihnen entlang müssen sie sich zum Glauben hin tasten.
Die Botschaft, die ihnen verkündet wird, geht nicht an den Realitäten des Todes vorbei. Sie richtet den Blick, der nach Antworten sucht, noch einmal und immer wieder auf das Kreuz: dort offenbart sich ein zum Mitleid entschlossener Gott, der sich einlässt auf das Dunkel des Todes und in ihm zu handeln begonnen hat.
Wem diese Botschaft einleuchtet, gibt sie den Mut zu hoffen und zu glauben, dass der Stein vor dem Grab und vor allen unseren Gräbern von der anderen Seite jener von uns her unüberschreitbaren Grenze doch in Bewegung gekommen ist.

Jesus, der Gekreuzigte lebt, sagt die Botschaft von Ostern.
Sie spricht immer noch von dem, der Zeit seines kurzen Lebens im Namen Gottes inmitten einer Welt des Todes Partei für das Leben ergriffen hat. Wo Menschen dem Tod nahe waren, ausgegrenzt oder in eigener Schuld gefangen, in Trauer und ohne Hoffnung, hat er, im Namen seines Vaters im Himmel, sie ins Leben zurückgeholt. Dafür, und weil er beansprucht hat, dass Gott selbst sich in seinem Wirken offenbart, ist er zum schmachvollen Tod eines Irrlehrers, Volksverführers und Gotteslästerers verurteilt worden. Er hat sein eigenes Sterben noch einmal zum Ausdruck des Vertrauens in diesen Gott werden lassen, der den Verlorenen nicht vergisst.

Er, der Gekreuzigte lebt!
Das ist der Kern der Botschaft von Ostern, wie sie zuerst den Frauen am Grab, später den Jüngern und heute auch uns ausgerichtet wird:
Gott hat den, der verworfen schien, ins Recht gesetzt und bestätigt. Er zeigt sich so, wie Jesus ihn verkündigt hat.
In seiner Auferstehung hat er sich als der Gott Jesu Christi offenbart:
Als der Gott einer rückhaltlosen Entschiedenheit für den Menschen,
als der Gott, der unseren Schmerz mit uns teilt und der unsere Wunden trägt,
der uns in unseren Tränen nahe ist und unsere Tränen mit uns weint.

„Wer könnte uns den Stein vom Eingang des Grabes wegwälzen?", fragen sich ratlos die Frauen am Morgen des ersten Wochentages.
„Doch als sie hinblickten, sahen sie, dass der Stein schon weggewälzt war."
Sehen wir es auch?

Im Licht der österlichen Hoffnung offenbart das Kreuz einen Gott, der mit uns leidet, weil er uns liebt. Er zeigt sich an der Seite derer, die auch heute trauern und vom Schmerz überwältigt sind. Er zeigt sich an unserer Seite in allem, was uns widerfährt, in allen menschlichen Schicksalen. Er ist auch dort, wo es von uns her nicht mehr weitergeht.
Er kennt unsere Namen. Kein Tod kann sie ihm entreißen. Er lässt sie nicht zurücksinken in die Anonymität und das Vergessen. Er sammelt die Bruchstücke unseres Lebens und bringt die Verlorenen heim.
Für viele in untröstlicher Trauer, denen der Tod das Liebste genommen hat, scheint er zu schweigen. Aber er kennt unsere Not. Und wird einmal die Antwort sein auf unsere Fragen.
In Größe und Elend, Freude und Leid, im Leben und im Tod sind wir vom Geheimnis seiner Liebe getragen.
Sie ist stärker als der Tod. Der Stein ist schon weggewälzt.
Sie ist die Macht des Lebens über allen Tod hinaus.
Amen