Predigt zur Eröffnung der Ausstellung: „Das Geheimnis buchstabieren - Dialog der Religionen im Medium der Kunst" mit Werken von Shahid Alam

10. Sonntag Lesejahr B - Pfarrer Stefan Schäfer

Datum:
So. 10. Juni 2018
Von:
Pfarrer Stefan Schäfer

Liebe Schwestern und Brüder,

für ein paar Wochen in diesem Sommer werden in St. Stephan und in St. Ignaz Werke von Shahid Alam zu sehen sein: Kalligraphische Arbeiten vor allem zu Texten aus den Heiligen Schriften des Judentums, des Christentums und des Islam. Texte der eigenen wie die einer fremden Tradition begegnen in künstlerischer Gestaltung, die zu neuer und vertiefter Auseinandersetzung mit dem Eigenen und mit dem Anderen und Fremden anregen soll. Die Ausstellung will ihren kleinen Beitrag für ein besseres gegenseitiges Verständnis leisten. Vielleicht werden manche aber auch irritiert sein durch die arabischen Schriftzeichen an den Wänden einer christlichen Kirche

Der griechische Schriftsteller Nikos Kazantzakis schildert eine Begegnung, die mir wie ein Schlüssel erscheint, der uns für die Begegnung mit den Bildern dieser Ausstellung und darüber hinaus für die Begegnung mit dem Fremden einer anderen Kultur und Religion öffnen kann:

„Wir hielten vor einem kleinen türkischen Kloster, in dem Derwische lebten, die jeden Freitag tanzten. Das grüne Bogentor zeigte auf dem Türbalken eine bronzene Hand – das heilige Zeichen Mohammeds. Wir traten in den Hof. Aus einer Zelle kam ein Derwisch auf uns zu, er legte grüßend die Hand auf Brust, Lippen, Stirn. Wir setzten uns. Der Derwisch sprach von den Blumen, die wir rundum sahen, und vom Meer, das zwischen den spitzen Blättern des Lorbeerbaumes blitzte. Später begann er, über den Tanz zu sprechen.
„Wenn ich nicht tanzen kann, kann ich nicht beten. Ich spreche durch den Tanz zu Gott."
„Was für einen Namen gebt ihr Gott, Ehrwürden?"
„Er hat keinen Namen", antwortete der Derwisch. „Gott kann man nicht in einen Namen pressen. Der Name ist ein Gefängnis, Gott ist frei."
„Wenn Ihr ihn aber rufen wollt? Wenn es notwendig ist, wie ruft Ihr ihn?"
„"Ach"", antwortete er. „Nicht Allah. „Ach" werde ich ihn rufen.""

„Ach"- das ist ein menschlicher Urlaut.
Bevor wir Worte finden, ist es Ausdruck des Überwältigtseins, der Ergriffenheit.
Es ist ein Ausdruck des Staunens, das vielleicht überhaupt am Anfang unseres Zugangs zu uns selbst und zur Wirklichkeit steht.
Wenn wir staunen, sind wir uns selbst mit dem, was uns da überwältigend begegnet, für einen Augenblick als Einheit gegeben.

Erst, wenn wir versuchen festzuhalten, was uns in diesem „Ach" des Staunens geschehen ist, um es zu verstehen und damit wir es anderen mitteilen können, kommt die Sprache ins Spiel:
die Namen und die Begriffe. Die Unterscheidungen und die Definitionen. Auch die Erzählungen. Die Lieder und Gedichte.
So unterschiedlich diese sprachlichen Zugänge auch sein mögen, ob sie nun beschreiben oder eher beschwören, ob sie feststellen oder erzählen und gestalten, sie bleiben immer hinter dem, was in der ursprünglichen Erfahrung gegeben, erschlossen, geschenkt war, zurück:
Die Sprache entfaltet im Nacheinander der Worte, was uns im „Ach" ehrfürchtigen Staunens als Einheit gegeben war.

Sie ist deshalb immer auch eine Quelle der Missverständnisse. Über Namen und Begriffe lässt sich trefflich streiten.
Gott aber „kann man nicht in einen Namen pressen. Der Name ist ein Gefängnis. Gott ist frei."

Wieviel Missbrauch des Gottesnamens hat es in der Geschichte gegeben und gibt es bis heute, weil Menschen meinen, ihn für ihre Zwecke einsetzen zu können.
Indem wir etwas benennen, glauben wir, darüber verfügen zu können. Göttlich ist aber doch gerade, was sich jedem Begriff und Zugriff entzieht, was alle menschliche Macht übersteigt.

Aus diesem Grund ist für das Judentum der Gottesname unaussprechlich und muss bei der Bibellesung durch ein anderes Wort ersetzt werden. Deshalb nennt das islamische Gebet der schönsten Gottesnamen ihn in einer Vielzahl einander teilweise widersprechender Namen.
Und auch der, in dessen Namen wir als Christen Gott anrufen und den wir als sein menschgewordenes Wort bekennen, entzieht sich, so haben wir es gerade im Evangelium dieses Sonntags gelesen, dem Zugriff derer, die ihn in ihren Kategorien einfangen, ja geradezu einsperren wollen.
„Ich bin der Weg", wird er von sich sagen. Und die sind mir nahe, die, vom Heiligen Geist geführt, sich selbst und, was sie zu wissen meinen, vergessen um sich von mir ergreifen und mitnehmen zu lassen.

In seiner prophetischen Schrift vom „Frieden der Religionen" spricht Nikolaus von Kues am Übergang vom Mittelalter in die Neuzeit von dem großen, ewigen Geheimnis, das uns manchmal anrührt, das sich in allen Religionen kundtut und in ihnen in unterschiedlicher Weise Form angenommen hat und zur Sprache kommt, ohne doch je ausgeschöpft werden zu können.

Vielleicht lassen sich die Bilder, die uns für ein paar Wochen im Gotteshaus umgeben werden, auch so verstehen:
In der Kunst von Shahid Alam brechen diese Formen, in der eine ursprüngliche Erfahrung geronnen ist, wieder auf.
Er selbst beschreibt es so:

„Die Buchstaben nehmen sich gegenseitig wahr, geben ihre Form auf, um sich miteinander verbinden zu können . . .
Jedes Wort öffnet sich zum Licht."

Als würde etwas von der ursprünglichen Erfahrung, die zum Wort, zur Sprache geworden war, wieder frei, begegnet dem Betrachter ein Bild, das ihn staunen lassen soll:
„Ach!"

„Ach!" – wenn die Schönheit uns berührt, in die sich das Geheimnis Gottes manchmal kleidet;
„Ach!"- wenn für einen glücklichen Moment wir uns von einem Ja, einer Zustimmung zur Welt und zum Leben getragen fühlen;
„Ach!" – wenn uns etwas begegnet, das uns zutiefst angeht, so dass wir spüren, darüber nicht einfach zur Tagesordnung übergehen zu können und wir, etwa durch die Not unseres Nächsten, unbedingt und absolut herausgefordert sind.

Auch dem, dem die Bilder dieser Ausstellung vielleicht nur wenig sagen, kann es zu einer Erfahrung auf dem Weg des Glaubens werden:
Wo uns in der Begegnung mit dem Anderen die Namen und Begriffe brüchig werden, wo wir uns in unseren Gewissheiten aufbrechen lassen, kann es geschehen, dass wir uns dem Licht jenes Geheimnisses öffnen, das uns Innerlicher ist als unser Innerstes und uns zugleich unendlich übersteigt, und in dem wir alle leben, uns bewegen und getragen sind.

Amen