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Begegnung mit Alodia Witaszek Napierała im Haus des Erinnerns Mainz:Geraubte Kindheit im Nationalsozialismus

Am 23. und 24. Januar 2020 kamen SchülerInnen der IGS Auguste-Cornelius Mainz Hechtsheim, des Theresianum Mainz und des Gymnasiums Oberstadt Mainz ins Haus des Erinnerns Mainz, um Frau Witaszek Napierałas Erzählung zu hören.

 

Alodia Witaszek Napierała mit Ellen Ullrich bei der Vernissage
Datum:
Mo. 27. Jan. 2020
Von:
S. Roth

Begegnung mit Alodia Witaszek Napierała im Haus des Erinnerns Mainz

Am 23. und 24. Januar 2020 kamen SchülerInnen der IGS Auguste-Cornelius Mainz Hechtsheim, des Theresianum Mainz und des Gymnasiums Oberstadt Mainz ins Haus des Erinnerns Mainz, um Frau Witaszek Napierałas Erzählung zu hören.

 

 „Eine unglaubliche Geschichte“, „eine traurige Geschichte, aber mit einem versöhnlichen Ende“, „sehr berührend“ – so reagierten viele der ZuhörerInnen, nachdem Alodia Witaszek-Napierała von ihrer Kindheit während des Zweiten Weltkriegs erzählte. Sie war eines der tausenden polnischen Kinder, die von den Nationalsozialisten aufgrund ihres "arischen" Aussehens zwangsweise "eingedeutscht" werden sollten. Die Kinder wurden ihren Familien entrissen, in Konzentrationslagern und Kinderheimen interniert und schließlich als Waisenkinder an deutsche Familien vermittelt. Die neuen Familien wussten nicht, dass es sich um geraubte Kinder handelte, denn man suchte vor allem sehr kleine Kinder aus und brachte ihnen innerhalb von Monaten mit brutalen Methoden bei, nur noch deutsch zu sprechen. Nach Kriegsende suchten die leiblichen Eltern mit Hilfe der polnischen Behörden nach diesen Kindern. Erneut wurden sie aus ihrem vertrauten Umfeld gerissen und mussten sich nach der Rückkehr nach Polen nach und nach wieder eingewöhnen.

Alodia Witaszek-Napierała, Jahrgang 1938, wuchs zusammen mit ihren vier Geschwistern in Poznań in Polen auf. Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs 1939 wurde Polen von Deutschen besetzt – Alodia erlebte die systematische Unterdrückung der Zivilbevölkerung: Ihre Familie musste ihr Haus verlassen und in eine kleine Wohnung umziehen. Sie war fünf Jahre alt, als ihr Vater als Widerstandskämpfer von den Nationalsozialisten hingerichtet wurde. Ihre Mutter wurde nach Auschwitz deportiert. Zusammen mit ihrer Schwester wurde sie von der SS in das berüchtigte „Jugendverwahrlager Litzmannstadt“ verschleppt. Anschließend wurde sie als vermeintliches Waisenkind von einer deutschen Familie adoptiert. Nach Kriegsende suchte Alodias leibliche Mutter zwei Jahre lang nach ihrem verschlepptem Kind. 1947 kehrte Alodia nach Polen zurück. Es begann die schwierige Zeit des Wieder-Erlernens der Muttersprache und der Rückkehr in eine fast vergessene Familie.

Bei ihrem Besuch im Januar 2020 sprach Frau Witaszek Napierała, die seit vielen Jahren an den Zeitzeugenbesuchen des Bistums Mainz teilnimmt, an zwei Vormittagen vor ca. 150 SchülerInnen im Haus des Erinnerns in Mainz. Dies erfuhr auch mediales Interesse: SWR Fernsehen und der Radiosender swr2 kultur brachten Beiträge über das Schicksal der Zeitzeugin.

 

„Deutsch machen“: Kinderraub der Nazis in besetzten Gebieten

Das Schicksal der von den Nazis verschleppten Kinder ist auch Thema der Ausstellung „Deutsch machen“: Kinderraub der Nazis in besetzten Gebieten der Ökumenische Arbeitsgruppe "Gedenktag 27. Januar" zum Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus 2020. Da die Ausstellung auch das Schicksal der fünfjährigen Alodia aufgreift, freuten sich die Mitglieder der Arbeitsgruppe sehr, Frau Witaszek Napierała bei der Vernissage der Ausstellung in der Christuskirche am 23.01. begrüßen zu können. Vor der Veranstaltung nahmen Landtagspräsident Hendrik Hering und Präses Dr. Ulrich Oelschläger sich Zeit, um die Zeitzeugin persönlich kennen zu lernen.

Schließlich nutzte Frau Witaszek Napierała die Gelegenheit, eine Konzertlesung Reiner Engelmanns zu besuchen. Der Autor des Buches „Alodia, du bist jetzt Alice!“, das auf ihrer Lebensgeschichte basiert, stellte das Buch in einer bewegenden Lesung in der Alten Synagoge in Mainz-Weisenau vor, umrahmt von polnischen, jiddischen und deutschen Kinderliedern, die von Bernadette Boos interpretiert wurden.

Begleitet wurde Frau Witaszek-Napierała bei ihrem Besuch von Dorota Nowakowska, die im Haus des Erinnerns Mainz die Lebensgeschichte ihres Vaters Jacek Zieliniewicz erzählte. Organisiert wurde der Besuch in Kooperation mit dem Haus des Erinnerns – für Demokratie und Akzeptanz Mainz, das an alle Opfer der nationalsozialistischen Diktatur erinnert und als Lernort mit seinem umfangreichen Programm Schulklassen und allen interessierten Gruppen und Einzelpersonen offen steht.

 

Literaturhinweis: Engelmann, Reiner: Alodia, Du bist jetzt Alice! – cbj Jugendbücher 78-3-570-31268-1, TB, 240 Seiten, erschienen am 09. September 2019

Weiterführende Links:

Haus des Erinnerns – für Demokratie und Akzeptanz Mainz: www.haus-des-erinnerns-mainz.de

Ausstellung „Deutsch machen“: Kinderraub der Nazis in besetzten Gebieten: https://bistummainz.de/weltkirche/aktuell/termine/veranstaltung/Gedenktag-fuer-die-Opfer-des-Nationalsozialismus-2020/?instancedate=1579712400000

Radiobeitrag swr2 kultur

https://www.swr.de/swr2/literatur/Sachbuch-Reiner-Engelmann-Alodia-du-bist-jetzt-Alice,reiner-engelmann-alodia-du-bist-jetzt-alice-kinderraub-und-zwangsadoption-im-nationalsozialismus-100.html

Beitrag in der Sendung SWR Aktuell am 22.01.2020:

https://www.ardmediathek.de/swr/player/Y3JpZDovL3N3ci5kZS9hZXgvbzExOTI3ODQ/sendung-18-00-uhr-vom-22-1-2020

Deutsch gemacht - Zeitzeugin Alodia Witaszek-Napierala berichtet über ihre Zwangsarisierung. Ein Film des Bistum Mainz:  www.youtube.com/watch?v=mHm5XxeZTWc