Schmuckband Kreuzgang

„Alte“ Wallfahrtsregeln

Auszug aus dem Mainzer Wallfahrtsbüchlein in der 4. Auflage von 1895 in der Urfassung vom 28.05.1857

  1. Wer darf wallfahren gehen

- Die Wallfahrten sind nicht geboten, aber wenn sie im Geiste und nach den Vorschriften der
Kirche verrichtet werden, so sind sie eine höchst lobenswerte und heilsame Andacht.

- Ausgenommen sind alle diejenigen,
a) welche dadurch den gebotenen Gehorsam verletzen würden. Ehefrauen bedürfen zur Wallfahrt der Zustimmung ihrer Männer, Kinder der Eltern und Dienstboten der Erlaubnis ihrer Herrschaft.
b) welche durch die Wallfahrt notwendige Pflichten vernachlässigen würden. Ein Hausvater, dessen Familie während der Wallfahrt darben müsste, kann eine solche nicht unternehmen; eine Hausfrau, welche kleine Kinder erziehen muss oder deren Haushaltung durch ihre Abwesenheit sehr leiden würde und welche Niemand hat, der ihre Stelle vertreten könnte, müsste, so lange die Verhältnisse währen, auf die Wallfahrt verzichten. Ebenso können Diejenigen eine Wallfahrt nicht antreten, welche Kranke pflegen müssen oder durch andere pflichtmäßige Werke abgehalten sind.
c) welche die mit der Wallfahrt verbundenen Beschwerden und Lasten voraussichtlich nicht ertragen können und wahrscheinlich nur die Andacht der Übrigen stören würden; wie z. B. ganz alte und gebrechliche Leute, oder Kinder im zarten Alter, oder diejenigen, die nicht vor Beginn der Reise das wenige Geld in Händen haben, dessen sie hierzu notwendig bedürfen.

- Endlich sollen nicht wallfahrten: Mädchen und junge Frauenspersonen, wenn es nicht unter gehöriger Beaufsichtigung ganz zuverlässiger Personen geschehen kann.

 

  1. Vorteile einer Wallfahrt sind:

    - das gemeinsame Gebet,
    - die Gelegenheit zu einem recht würdigen Empfang der heiligen Sakramente,
    - das erhebende Beispiel so vieler frommen Christen, die aus verschiedenen Gegenden und
    Ländern zusammenkommen,
    - die mit den Wallfahrten verbundenen Mühen und Anstrengungen, die heilsame Buße sind,
    - die mit den Wallfahrten erteilten Ablässe.
    Kurz alles, was den Glauben stärken, die Gnade Gottes in uns vermehren und Glück und Zufriedenheit in unseren Herzen befestigen kann, so dass etwaige Missbräuche, wenn solche hie und da vorgekommen sind, oder bisweilen, wie bei Allem, was durch Menschen geschieht, vorkommen mögen, dagegen ganz und gar verschwinden.
    DESHALB KÖNNEN UND DÜRFEN ALLE CHRISTEN WALLFAHREN GEHEN.

 

  1. In welcher Absicht soll man wallfahren?

    Nur in reiner Absicht, nämlich:
    a) Zur Ehre Gottes, des hl. Sakramentes, der allerseligsten Jungfrau und zum öffentlichen Bekenntnis unseres heiligen katholischen Glaubens.
    b)     Zur Buße und Genugtuung für unsere Sünden;
    c)     Aus besonderen Gründen, wie z. B. zur Erfüllung eines Gelübdes, zur Danksagung für erhaltene Wohltaten oder zur Erlangung notwendiger Gnaden.

    Schändlich wäre es, wenn jemand, was Gott verhüten wolle, aus niedrigen Absichten, eines zeitlichen Gewinnes wegen, aus Hang nach Ungebundenheit oder aus sonst einer unlauteren Meinung der Wallfahrt sich anschlösse. Ein solcher Mensch würde nicht nur den Gläubigen ein Ärgernis geben, sondern auch nicht das geringste Verdienst bei dem lieben Gott dafür erlangen.

  2. Was ist bei der Wallfahrt besonders zu beachten?

    a) im Nachtquartier:
    Damit niemand die Wallfahrt verdächtigen kann und damit alles vermieden werde, was unschicklich ist und Anlass zu einer Sünde geben könnte, ist es zweckmäßig, dass die Männer und die Frauenspersonen in verschiedenen Quartieren übernachten; denn es soll nicht bloß die Sünde, sondern, wie der heilige Paulus sagt, auch jeder böse Schein vermieden werden.

b) In den Kirchen seien allen eingedenk, dass diese eine Hütte Gottes unter den Menschen und ein Tabernakel des heiligen Altarsakramentes sind, so dass sie dieselben nicht durch Schwätzen oder Handlungen, die mit der Heiligkeit und Würde des Ortes unverträglich sind, entehren.

c) Auf dem Wege, dass
- alle in rechter Ordnung gehen, besonders wenn die Prozession durch Dörfer sich bewegt,
- alle gemeinschaftlich ausharren im eifrigen Gebete und Gesang,
- niemand bei schlechter Witterung mutlos werde, sondern Alle freudig das Ungemach der
Reise Gott zu Lieb ertragen,
- dass niemand sich absondere und Störung verursache, sondern alle nur eines Herzens
  und eines Sinnes seien, wie sie alle nur einen Zweck und ein Ziel haben.

Am Wallfahrtsorte suche jeder den Hauptzweck seiner Wallfahrt zu erfüllen, sich vor unnötigen Zerstreuungen zu hüten und nur für sein Seelenheil besorgt zu sein. Niemand kaufe gedruckte Zettel oder Gebetbücher, von denen er nicht ganz bestimmt weiß, dass sie nicht unter dem Scheine der Frömmigkeit Etwas enthalten, was dem wahren Glauben entgegensteht.  

  1. Leitung der Wallfahrt

    Den zur Leitung aufgestellten Geistlichen und allen ihren Anordnungen muss jeder willig Folge leisten. Als Bruderschaftsmeister dürfen nur solche redliche Männer genommen werden, die in gutem Rufe stehen und von der geistlichen Obrigkeit die Bestätigung erhalten haben. Sie stehen ganz unter dem Gehorsam der Geistlichen und haben keine andere Bestimmung, als durch Vorbeten und Vorsingen nach Anordnung der Geistlichen die Prozession leiten zu helfen. Niemand hat das Recht, aus irgendeinem Vorwande Geld zu sammeln, ohne von den Geistlichen beauftragt zu sein.

  2. Sonstiges

    a)    Almosen gebe man nur wahrhaft Bedürftigen. Gar oft wird der gute Wille und die Frömmigkeit der Wallfahrer missbraucht. Arbeitsscheue Personen und Kinder, welche von gewissenlosen Eltern zum Betteln angehalten werden, verdienen kein Almosen.
    b)     Besondere Gebetsübungen, Fasten und Bußübungen lege man sich nur mit Genehmigung eines klugen und frommen Beichtvaters auf.