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Rechts-extrem als Lifestyle?

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Nehmen rechtsextreme Vorfälle bei Jugendlichen zu? Wie gefährdet sind junge Menschen durch ideologisches Gedankengut? Und was tut die Kirche dagegen? Wir, vom Magazin Glaube und Leben, haben in der Region nachgefragt.
Datum:
27. Okt. 2025
Von:
Von Theresa Breinlich und Anja Weiffen

Pastoralreferent Joachim Schäfer aus Wetzlar schreckt nicht davor zurück, menschenverachtende Sätze zu hören. Er geht hin zu den Menschen bei den Querdenker-Versammlungen und Demonstrationen gegen den Christopher-Street-Day, spricht mit ihnen, hakt nach. Er filmt sie für den Youtube-Kanal von Hessencam. Seit 25 Jahren macht der Theologe Jugendmedienarbeit. So kam er auch in Kontakt mit der Welt der jungen Rechtsradikalen in Nordhessen. Seither kämpft er gegen die unchristliche Ideologie an. 2010 haben Rechtsextreme einen Brandanschlag auf sein Haus verübt. Verletzt wurde niemand.

Bei seinen Interviews hört der Theologe Sätze wie diese von Lilly, einer Influencerin Anfang 20,: „Von meinem politischen Weltbild her kann ein Zugewanderter aus der Türkei kein Deutscher sein. Das liegt an seiner DNA“, erklärte sie Schäfer am Rande einer Demo in Friedberg. Schockierend, aber kein Einzelfall. „Seit etwa zwei Jahren haben sich neue rechtsextreme Jugendgruppen gebildet. Was sie alle verbindet, ist eine unüberhörbare Ausländerfeindlichkeit, ein ausgeprägter Nationalismus und völkisches Gedankengut“, sagt er. Er nennt Namen wie Deutscher Störtrupp, Deutsche Jugend Voran oder Jung & Stark. Mit seinem Einsatz mit der Kamera erreicht er kleine Ziele: Der eine oder andere scheint im Gespräch mit ihm einen Millimeter von seinem fest betonierten Weltbild abzurücken.

Aber wie definiert sich rechtsextremistisch? „Zu den wichtigsten typischen Merkmalen der extremen Rechten gehören völkisches Denken und Nationalismus, Autoritarismus, Rassismus, Antisemitismus, Geschichtsrevisionismus und eine grundsätzliche Gewaltbereitschaft“, heißt es dazu im Bericht der Forschungsgruppe Rechtspopulismus des Bundes der Deutschen katholischen Jugend (BDKJ) und der Heinrich-Böll-Stiftung.

Die Zahlen derer, die für diese Ideen kämpfen, steigen. Das zeigt ein Bericht des Landeskriminalamts Rheinland-Pfalz zum Jahr 2024. Dort wurden im Jahr 2024 insgesamt 1471 Straftaten (2023: 1245) aus dem Bereich „Politisch motivierte Kriminalität – rechts“ gemeldet. 45 von ihnen wurden an Schulen begangen. Das ist ein Anstieg um 80 Prozent im Vergleich zum Vorjahr (2023: 25).118 der ermittelten Tatverdächtigen waren 14 bis 17 Jahre alt, vier sogar unter 13 Jahren. Die hessische Kriminalstatistik zeigt 2375 Delikte im Bereich der politisch rechtsextrem motivierten Straftaten, was ein Plus von 57,2 Prozent im Vergleich zum Vorjahr bedeutet.

Sie beziehen sich auch auf das Christentum

Pastoralreferent Joachim Schäfer hat mehrere Erklärungen dafür, dass rechtsextremes Gedankengut bei jungen Leuten selbstverständlicher wird. „Die globale Welt stellt viele Fragen. Der Nationalismus bietet wenige, aber bequeme Antworten“, sagt er. Über einseitigen Medienkonsum würden diese wenig komplexen Weltbilder verstärkt. „Rechtsextrem wird so zum Lifestyle“, erklärt er. Auch weist der Theologe darauf hin, dass in einer multikulturellen Welt Parallelgesellschaften entstehen. Manche jungen Leute würden Minderwertigkeitserfahrungen machen. „Die Gruppe schenkt ihnen Stärke und Rückhalt“, sagt er. Auffallend sei, dass Eltern und Kinder meist ähnliche Ansichten hätten. „Die Angst und die Ressentiments gegenüber Fremden durchziehen die ganze Familie“, sagt er.

Schäfer weist darauf hin, dass sich Rechtsextreme auch auf die christliche Religion berufen. „Die Zugehörigkeit zum Christentum hilft ihnen, sich vor allem vom Islam abzugrenzen. Auch in der Geschlechterfrage suchen sie Zustimmung aus einem konservativen Fundamentalismus.“ Dem hält er entgegen: „Jesus ist nicht weiß und auch nicht deutsch. Er überspringt Grenzen.“ Für diese Botschaft wünscht er sich, müssten sich Christen einsetzen. „Die Kirche muss selbst Interkulturalität leben und erleben. Das Glaubens- und Gebetsleben der zugewanderten Christen bereichert Gemeindeleben und Gottesdienste“, sagt Schäfer. Kirche müsse politisch sein, fordert er. Sie sollte Räume des Dialogs bieten, Sprachrohr gerade für die Stimmlosen sein und Opfern rechtsextremer Gewalt gedenken. Kirchliche Einrichtungen könnten Zeitzeugen einladen. Wichtig sei auch, dass Kirche partizipativ ist und vor allem junge Leute einbezieht. Freuen würde er sich, wenn er bei Demonstrationen gegen Rechtsextremismus auch Fahnen von katholischen Verbänden sehen würde.

Der Bund der Deutschen Katholischen Jugend im Bistum Mainz zum Beispiel tut seit vielen Jahren etwas. Aktuell steht im Jugendhaus Don Bosco in Mainz eine große Stellwand. Sie wirbt für die neue Broschüre der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus. Der Titel: „Rechtes Rheinhessen. Eine Momentaufnahme der extremen Rechten in der Region“. Die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus (MBR) in Rheinland-Pfalz berät Aktive der Zivilgesellschaft, etwa Vereine, Unternehmen, Glaubensgemeinschaften. Die Regionalstelle Mitte wird vom Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) im Bistum Mainz getragen. Hier arbeiten Bundesland und Kirche zusammen. „Dass der BDKJ der Träger der Regionalstelle und Herausgeber der Broschüre ist, zeigt, dass die Kirche dieses Anliegen unterstützt“, betont ein MBR-Mitarbeiter am Telefon. Aus Sicherheitsgründen wird sein Name nicht genannt.

Hat Rechtsextremismus bei Jugendlichen in Rheinhessen zugenommen? „Das kann man pauschal nicht sagen“, antwortet er. „Wir erleben aktuell eine rechte Hochphase in einer wellenförmigen Bewegung. Das ist eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung und betrifft nicht nur Jugendliche.“ Die MBR bekäme durchaus mehr Anfragen von Schulen, wo etwa Hakenkreuze auf dem Schulhof auftauchen oder entsprechende Vorfälle im Unterricht passieren.

Ideologisches Gedankengut könne aber schon im Kindesalter in die Köpfe sickern. Der MBR-Mitarbeiter spricht von einem Kulturkampf, der von rechtsextremen Netzwerken ausgehe oder auch von Parteien, die ultra-rechte Positionen vertreten, wie die AfD: indem etwa bestimmte Familienbilder propagiert werden, Einfluss auf den Sexualkundeunterricht genommen und Diversität abgewertet wird. Eltern müssten sich darauf einstellen, dass ihre Kinder in einer Gesellschaft sozialisiert werden, die nicht frei von Diskriminierung ist, und ihre Kinder das Ziel von politischer Einflussnahme sind, so der Mitarbeiter der Mobilen Beratung. „Eltern müssen in der Lage sein, auf diskriminierende Begriffe und extrem rechte Signalphrasen zu reagieren. Demokratiebildung beginnt schon in der Kita und hilft, rechten Narrativen vorzubeugen.“

Bei rechtsextremen Vorfällen spielten junge Männer eine größere Rolle als junge Frauen – „junge Männer, die frustriert sind, in deren Elternhäusern politische Themen nicht besprochen werden, die sich eigene Rollenbilder suchen und von den gesellschaftlichen Verhältnissen vereinnahmt werden“, erläutert er. Die Jungen würden in den Sozialen Netzwerken auf Männlichkeitsideale angesprochen. „, Echte Männer sind rechts’ – so ein Satz verfängt. Vor allem, wenn damit verknüpft wird, auf diese Weise bei Mädchen gut anzukommen.“

AfD hinterfragt Finanzierung der BDKJ-Broschüre

Die Broschüre „Rechtes Rheinhessen“ ist eine Bestandsaufnahme. Als Feld rechtsextremer Umtriebe wird darin etwa der Rechtsrock und die Kampfsport-Szene beschrieben. Auch Sportvereine sind im Blick. In Vereinen seien vor allem die Verantwortlichen gefragt, sich zu positionieren, erklärt der MBR-Mitarbeiter. „Eine Organisation, die sich für Demokratie engagiert und Zeichen setzt, ist schwerer für Rechtsextremismusempfänglich und schützt dadurch ihre Mitglieder besser als eine Organisation, die sich dazu passiv verhält.“

Mit ihrem Bistumshintergrund können die MBR-Mitarbeitenden vom BDKJ vor allem Einrichtungen der katholischen Kirche gut beraten wie etwa Messdienergruppen. „Da bringen wir den kirchlichen Stallgeruch mit und wissen, wie diese Gruppen ticken“, sagt der MBR’ler. Mit dem christlichen Menschenbild hat die katholische Kirche eine religiöse Grundlage für den Einsatz gegen Rechtsextremismus: „Vor Gott sind alle Menschen gleich“, fasst er eine Kernaussage zusammen. Rassismus und Antisemitismus haben in diesem Menschenbild keinen Platz. Das kirchliche Engagement gegen Rechtsextremismus bleibt nicht unbemerkt: So war die BDKJ-Broschüre im Juli ein Anlass für die AfD in Rheinland-Pfalz, eine Kleine Anfrage an die Landesregierung zu stellen. Ein AfD-Abgeordneter verlangte genaue Auskünfte darüber, inwieweit die Publikation und deren Präsentation im Erbacher Hof in Mainz aus Landes- und Bundesmitteln gefördert wurde.