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Ein Gespräch mit Michaele Althapp über Begleitung, Hoffnung und die Kraft des Erinnerns:Trauer braucht Zeit und Raum

Trauer ist ein Weg, der Zeit braucht – und Begleitung. Viele Menschen erleben erst Wochen nach einer Beerdigung, wie tief der Verlust wirklich geht. In unserer Reihe „Die frohe Botschaft“ richten wir den Blick bewusst auf Orte und Menschen, die Hoffnung schenken – mitten in schweren Zeiten. Wir haben mit Michaele Althapp, Seelsorgerin und Trauerbegleiterin im Hospiz im Bistum Mainz, darüber gesprochen, was Trauer mit uns macht, wie Begleitung aussehen kann – und wo sich inmitten von Abschied und Schmerz Spuren der Hoffnung zeigen.
Friedhof
Datum:
31. Okt. 2025
Von:
Alexander Stein & Michaele Althapp
Michaele Althapp

Frau Althapp, wie erleben Sie Menschen in der Trauerbegleitung – besonders dann, wenn die Beerdigung vorbei ist und der Alltag langsam wiederkehrt?

Viele Menschen spüren den Verlust erst richtig, wenn die ersten Wochen vergangen sind. Direkt nach dem Tod steht zunächst vieles Organisatorisches an – Trauer wird dadurch oft überdeckt oder verdrängt. Erst wenn der Alltag einkehrt, wird die Lücke deutlich spürbar: Schmerz, Vermissen, Haltlosigkeit und die Frage, wie es weitergehen kann.

Warum ist der November mit Allerheiligen, Allerseelen und Totensonntag für viele besonders mit Trauer verbunden? Und stimmt es, dass in dieser Zeit mehr Menschen sterben?

Ob tatsächlich mehr Menschen im November sterben, kann ich statistisch nicht belegen. In unserem Hospiz sehe ich das so nicht. Ich vermute, dass die besonderen Gedenktage im November den Blick stärker auf das Thema lenken. Menschen sind in dieser Zeit sensibler für Abschied, Tod und Erinnerung – das verstärkt das Gefühl von Trauer in diesen Wochen.

Welche Phasen der Trauer begegnen Ihnen – und wie unterschiedlich erleben Menschen diesen Weg?

Es gibt verschiedene Trauermodelle, die Phasen beschreiben und Orientierung bieten. Dennoch ist Trauer kein linearer Prozess. Jeder Mensch trauert anders und in seinem eigenen Tempo. Es gibt kein richtig oder falsch. Mir gefällt das Bild der „Trauerspirale“, weil es beschreibt, dass Menschen sich immer wieder zwischen Schmerz und dem Wieder-Finden von Leben bewegen.

Was bedeutet Begleitung in der Trauer konkret?

Trauerbegleitung möchte Raum eröffnen, damit Menschen ihren eigenen Weg finden können. Für manche helfen Rituale wie ein Erinnerungsbuch oder eine Kerze am Bild des Verstorbenen. Andere profitieren von Trauergruppen oder vom gemeinsamen Gespräch. Manchmal ist ein stiller Spaziergang in der Natur passend. Und manchmal ist Begleitung schlicht: da sein und Schmerz gemeinsam aushalten.

Wo entdecken Sie „Frohe Botschaft“ in der Trauerbegleitung?

In vielen Trauerprozessen verändert sich die Trauer – sie wird weicher, integrierter. Viele entdecken nach und nach wieder Sinn, Freude und Verbundenheit. Tief berührt mich die spirituelle Haltung mancher Trauernden: die Hoffnung auf ein „Davor und Danach“ und die dankbare Erinnerung an gemeinsam verbrachte Zeit.

Welche Chancen kann eine bewusste Auseinandersetzung mit Trauer bieten?

Wer sich seiner Trauer stellt, entdeckt oft neue Fähigkeiten, Gefühle und innere Stärke. Viele erleben, dass sie über sich hinauswachsen, ihren Alltag neu gestalten und ein neues Selbstbewusstsein entwickeln. Trauer kann auch ein Weg sein, sich selbst neu kennenzulernen.

Wie kann Kirche dazu beitragen, dass Trauernde sich nicht allein fühlen?

Rituale und Gebete können besonders in Krisenzeiten Halt geben. Darüber hinaus gibt es in vielen Gemeinden Trauergruppen, Trauercafés, Gesprächsangebote oder Begleitung auf Spaziergängen. In manchen Gemeinden melden sich Ehren- oder Hauptamtliche einige Wochen nach der Beerdigung bewusst noch einmal bei den Angehörigen. Das signalisiert: Du bist nicht allein.

Wie erlebt man Glauben in der Trauer – eher tragend oder eher fragend?

Beides kommt vor. Manche finden im Glauben Halt, andere ringen und zweifeln. Trauer kann Glauben vertiefen oder erschüttern. Auch das gehört dazu. Trauer ist eine Suchbewegung – und Glaube kann in dieser Bewegung Raum eröffnen.

Gibt es eine Begegnung, die Ihnen in besonderer Erinnerung geblieben ist?

Ich erinnere mich an einen Mann, dessen Frau mit 50 Jahren verstorben ist. Er kam viele Jahre in eine Trauergruppe, getragen von Dankbarkeit für die gemeinsame Zeit. Schritt für Schritt fand er zurück ins Leben. Vor einigen Wochen kam er strahlend zu Besuch: Er hat eine neue Partnerin gefunden, die ein ähnliches Schicksal teilt. Beide tragen die Trauer weiter mit sich – und zugleich die Freude, wieder leben zu können.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft der Trauer- und Hospizbegleitung?

Dass Sterben, Tod und Trauer nicht tabuisiert werden. Dass klar bleibt: Trauer ist keine Krankheit. Und dass es ausreichend Orte gibt, in denen Menschen in Würde begleitet werden können – im Sterben wie im Leben danach.