Barbara Piotrowska, geb. Stachowicz, wurde am 30. Februar 1935 geboren und wuchs in Lemberg (Lwów) auf. Zusammen mit ihrer Mutter wurde sie während des Warschauer Aufstandes 1944 in das Konzentrationslager Ravensbrück deportiert. Im April 1945 überlebte sie den Todesmarsch nach Weimar. Der Vater wurde im KZ Neuengamme ermordet.
Ihre Mutter Marta Stachowicz war Buchhalterin, der Vater Antoni Stachowicz Ingenieur, er war Assistent an der Lemberger Politechnik und Angestellter beim Polnischen Radio. Im April 1939 wurde er Leiter des staatlichen Rundfunks in Wiażownia bei Warschau. Während des Krieges arbeitete er in den Warschauer Gasbetrieben.
Frau Piotrowska erzählt:
"Ich, Barbara, bin Einzelkind. In den Kindergarten und zur Schule (1. u. 2. Klasse bis Juni 1944) bin ich zu den (Auferstehungs-) Klosterschwestern in Warschau/ Żoliborz gegangen.
Der Warschauer Aufstand begann am 1. August 1944. Der Stadtteil Żoliborz wurde am 29. September 1944 vollkommen durch die Nazis eingenommen, man hat uns in das Durchgangslager in Pruszków bei Warschau getrieben (Dulag 121 - ist jetzt Gedenkstätte und Museum). Infolge einer Selektion hat man unsere Familie zu einem Transport nach Deutschland bestimmt. Nach einigen Transporttagen hat man die Männer ins KZ Neuengamme deportiert, wo mein Vater schon am 8. Dezember 1944 umkam. Die Frauen und Kinder transportierte man in das Konzentrationslager Ravensbrück. In der Folge war ich mit meiner Mutter im Landwirtschaftsbetrieb in Kleptow bei Prenzlau, einer Zuckerfabrik, bei einem Todesmarsch und in der Landwirtschaft bei Weimar. Ich war 9 Jahre alt – ich habe nicht gearbeitet. Meine Mutter, wie auch andere Frauen, behandelte man furchtbar, indem man sie zwang, schwere physische Arbeit zu verrichten an allen oben erwähnten Orten.
Im KZ Ravensbrück waren wir in einem großen Zelt untergebracht. Wir hatten furchtbare Angst, Hunger, Läuse, und Schmutz. An den übrigen Aufenthaltsorten überwog die Angst um die arbeitenden und geschlagenen Mütter, außerdem, wie überall, Hunger, Schmutz und Läuse. Der Todesmarsch war ein furchtbares Erlebnis, mit der ständigen Gefahr erschossen zu werden durch die Hitlerjugend bis ans Ende des Wegs bei Weimar.
Befreit hat uns die amerikanische Armee, man leitete uns nach Westen. Große Gruppen von Menschen verschiedener Nationalitäten, ehemalige Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge, sind nach und nach durch die Amerikaner zu Volksgruppen zusammengeführt worden. Nach vielen Umsiedlungen, im Herbst 1945, fanden wir uns im „Polnischen Zentrum“ in Stuttgart. Dort begannen wir, unser Leben und unsere Genesung zu organisieren sowie die Schule und die Pfadfinderschaft. Und die Suche nach dem Vater begann. Vom Januar bis Mai 1946 besuchte ich die 4. Klasse. Die Nachricht vom Tod des Vaters erhielten wir im Mai 1946, und nach Polen kehrten wir im Juli zurück.
Im Polen kamen wir bei Verwandten in Krumhübel (Karpacz) und in Kety unter sowie von November 1946 an bei Bekannten in Warschau. Wir hatten nichts und begannen das Leben von Null an. Ich wurde bei den (Auferstehungs-)Schwestern in die 5. Klasse aufgenommen und machte dort 1953 das Abitur. 1947 erhielt meine Mutter ein Zimmer in einer Gemeinschaftswohnung, in der drei Familien lebten, und sie fing an, im städtischen Gaswerk zu arbeiten.
Nach dem Studium (1953-1959) an der Warschauer Politechnik machte ich das Diplom/Magister Ingenieur mit der Spezialisierung präzise Mechanik/Kontroll- und Messinstrumente. Von Juli 1958 bis Juni 1998 arbeitete ich im Hauptamt für Maße in Warschau, zuletzt als Direktorin des Betriebes für Kraft und Maße. 1998 ging ich in Rente. Während des Studiums lernte ich meinen Mann kennen, wir haben 1958 geheiratet. Wir haben zwei Kinder - Albert und Katharina (beide haben Hochschulbildung) und vier Enkel. Eine Genossenschaftswohnung haben wir 1966 erworben. Meine Mutter starb 1971.
Ich habe mich ehrenamtlich im Verein der polnischen Ingenieure, Techniker und Mechaniker und der Gewerkschaft Solidarnosc engagiert und mich viel um meine Kinder und Enkel gekümmert. Ich interessiere mich für Literatur, gärtnere in meinem Kleingarten, laufe Ski und besuche die Senioren-Uni. Ich nehme an der Arbeit des Klubs der ehemaligen Ravensbrückerinnen teil und bin als Zeitzeugin im Projekt des IPN (Institut des Volksgedenkens) unter dem Titel „Vor dem Vergessen bewahren“.
Barbara Piotrowska, Warschau 10.6.2014 (aus dem Polnischen M. Drechsel-Gillner)
Barbara Piotrowska kommt seit 2017 als Zeitzeugin ins Bistum Mainz.