Frau Koperska erzählt:
„Ich bin die Tochter von Aleksander und Stanislawa Kublik. Mein Vater war Anstreicher, meine Mutter Hausfrau. Mein Bruder Jacek wurde 1932 geboren. Als der Krieg ausbrach, war er bereits sieben Jahre alt und ich nur drei Jahre. Am 1. August 1944 brach der Warschauer Aufstand aus. Am dritten Tag des Aufstands wurde meine gesamte Familie aus dem Haus getrieben. Das Haus wurde abgebrannt. Man trieb uns durch die Straßen von Warschau. In Pruszków wurden wir in Güterwaggons verladen. In schrecklicher Enge ohne Essen und Trinken kamen wir am 12. August 1944 in Auschwitz-Birkenau an. An der Rampe wurden wir von Vater getrennt, der Ende August in das KZ Natzweiler, Kommando Vaihingen/ Enz, deportiert wurde. Hier kam er am 18. März 1945 um und wurde im Friedhof beim Wald begraben. Dort fand ich 1988 sein Grab.
Im Lager arbeitete ich nicht, denn ich war gerade erst acht Jahre alt. Der Aufenthalt im KZ Birkenau war ein einziger nicht endender Albtraum. Meine Zöpfe wurden mir abgeschnitten, und mir wurde der Schädel rasiert. Ich hörte auf, ein Mensch zu sein: ich wurde der politische Häftling Nr. 84457. Ich war ständig hungrig. Es war mir kalt. Mich plagten Insekten. Stundenlange Appelle, getrennt von der Mutter, die in einer Nachbarbaracke untergebracht war. Die Funktionshäftlinge erschreckten uns, dass der einzige Ausgang aus dem Lager der ständig qualmende Schornstein des Krematoriums sei. Ich erkrankte an der Schuppenflechte, an der ich bis heute leide. Solche Erlebnisse kann man nicht vergessen, sie kehren immer wieder, man muss damit leben! Im KZ Auschwitz-Birkenau war ich bis zum 17. Januar 1945. Man deportierte uns (Mutter, Bruder und mich) dann in das KZ Sachsenhausen, Kommando Köpenick.
Ende April 1945 erwarteten wir die Befreiung. Die Polnische und die Rote Armee befreiten uns. Wir wurden aus dem Lager in die Stadt geführt. Man befahl uns, nach Warschau zurück zu kehren. Wir gingen zu Fuß nach Kostrzyn an der Oder. Weiter fuhren wir mit dem Zug. Am 3. Mai 1945 erreichten wir Warschau, das ein Meer aus Trümmern war. Auch unser Haus war völlig zerstört.
Wir begannen ein neues Leben, ohne Gesundheit, ohne Haus und ohne Geld. Es blieb die Hoffnung auf die Rückkehr des Vaters, die sich nie erfüllte. Meine Bruder und ich gingen zur Schule, Mutter zur Arbeit. Im Jahre 1950 beendete ich die Grundschule und kam in die Oberschule. 1952 musste ich arbeiten gehen, meinen Oberschulabschluss erlangte ich auf der Abendschule. Ich arbeitete in einem biochemischen Labor der Polnischen Akademie der Wissenschaften. 1958 heiratete ich Janusz Koperski. Wir bekamen unseren Sohn Arkadiusz. Ich habe zwei Enkel. Im Jahr 1983 ging ich vorzeitig in den Ruhestand. Im Januar 2010 wurde ich Witwe. Meine Hobbys sind Handarbeit (Stricken, Häkeln). Ich mag gute Filme. Ehrenamtlich arbeite ich seit 30 Jahren im Verein der der ehemaligen Häftlinge - im Auschwitz-Klub. Ich treffe mich regelmäßig mit Schülerinnen und Schülern, darunter mit Schülern der Schule „Denkmal der Kinderhäftlinge Oswiecim" in Brzezinka. Von meinen Erinnerungen wurden umfangreiche Aufnahmen im Staatlichen Museum Auschwitz-Birkenau gemacht."
Urszula Koperska, Warschau, Juli 2013
Urszula Koperska kommt seit 2013 als Zeitzeugin ins Bistum Mainz.