Zeitzeugenbesuch in Ilbenstadt

SchülerInnen aus der Wetterau begegnen KZ- und Ghetto-Überlebenden

Zeitzeugenbesuch in Ilbenstadt 2019
Datum:
Mo. 9. Sept. 2019
Von:
Stephanie Roth

Vom 25. bis 31. August 2019 waren Alodia Witaszek-Napierała, Henriette Kretz, Maria Stroińska, Józefa Posch-Kotyrba und Urszula Koperska aus Polen und Belgien zu Gast im Bistum Mainz. Die Zeitzeuginnen, zwischen 81 und 87 Jahren alt, sind Überlebende der Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau, Sachsenhausen, Ravensbrück, des Internierungs- und Arbeitslager Lebrechtsdorf-Potulitz sowie des Ghettos Sambor und des Jugendverwahrlagers Litzmannstadt.

 

Alodia Witaszek-Napierała mit SchülerInnen der Kurt-Schumacher-Schule Karben

Die Gäste waren im Tagungshaus des Jugendwerks St. Gottfried im Kloster Ilbenstadt in der Wetterau untergebracht. Begleitet wurden sie von Ehren- und Hauptamtlichen des Bistums Mainz und des Maximilian-Kolbe-Werkes, darunter mehrere Studierende. An den Gesprächen nahmen rund 700 SchülerInnen von 8 Schulen aus der Region Wetterau teil.

Was kommt, wenn die Zeitzeugen nicht mehr kommen?

Jacek Zieliniewicz, Auschwitz-Überlebender und Zeitzeuge

Erstmalig gab es in dieser Woche eine neue, zukunftsweisende Form der Zeitzeugenarbeit: Dorota Nowakowska, Tochter des Auschwitz-Überlebenden Jacek Zieliniewicz, hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Geschichte ihres Vater weiterzugeben. Jacek Zieliniewicz kam von 2001 bis 2017 als Zeitzeuge ins Bistum Mainz und erzählte SchülerInnen von seinen Erfahrungen während des Krieges. Als 17-Jähriger wurde er verhaftet und in das Konzentrationslager Auschwitz gebracht, wo er bei der Arbeit in Auschwitz-Birkenau tagtäglich die Menschen sah, die direkt nach ihrer Ankunft in den Gaskammern ermordet wurden. 1944 verschleppte man ihn in das KZ Dautmergen bei Rottweil, wo die Lebensbedingungen noch wesentlich schlimmer waren als in Auschwitz. Zuletzt wog er nur noch 38 kg. Auf dem Todesmarsch wurde er am 23. April 1945 durch französische Truppen befreit. Jacek Zieliniewicz verstarb am 21. Mai 2018.

Seine Tochter, die ihn viele Male bei seinen Begegnungen mit jungen Menschen begleitet hat, möchte die Arbeit ihres Vaters nun fortsetzen. Sie erzählt von seinen Erfahrungen, aber auch von dem Umgang mit diesem schweren Schicksal in ihrer Familie: „Trotz all der Erlebnisse war mein Vater ein beispielhafter Mensch, Vater und Großvater, immer ruhig, gütig, liebend und für andere sorgend, voll Mitgefühl und Empathie. Überall fand und hatte er Freunde. Ich hoffe, dass auch ihr seine Worte in Erinnerung behalten werdet: Es gibt keine guten oder bösen Völker, es gibt nur gute oder böse Menschen. “

 

Zeitzeugenbesuch in Ilbenstadt 2019

"Dass Kinder oder Enkelkinder der Zeitzeugen die Geschichte ihrer Eltern und Großeltern in persönlichen Gesprächen weitergeben, ist eine Möglichkeit, die Erinnerung auch in Zukunft lebendig zu halten, wenn die Zeitzeugen selbst nicht mehr da sind", sagt Alois Bauer, der zusammen mit Katja Steiner und Stephanie Roth die Besuche für das Bistum organisiert. "Wir suchen nach verschiedenen Formen, um die Arbeit der Zeitzeugen in künftige Generationen zu tragen. Auch das Festhalten der Erinnerungen auf Video ist ein wichtiger Bestandteil dieser Aufgabe." Aus diesem Grund kam auch ein Filmteam unter Leitung von Andrea Emmel aus der Internetredaktion des Bistums nach Ilbenstadt. Es filmte zwei Zeitzeuginnen im Gespräch mit SchülerInnen sowie die Begegnung mit einer Schulklasse. Das Videomaterial soll in bearbeiteter Form Schulen zur Unterrichtsgestaltung zur Verfügung stehen.

Maria Stroińska, Alodia Witaszek-Napierała und Józefa Posch-Kotyrba notieren ihre Wünsche für Yoko Onos Kunstwerk Wishtrees

Während der Begegnungswoche ist die Freizeit am Nachmittag als Erholung und Abwechslung für die Gäste ein wichtiger Bestandteil des Programms. Trotz der großen Hitze unternahm die Gruppe Ausflüge nach Bad Nauheim, Bad Homburg und in das Rosendorf Steinfurth. In Bad Homburg nahmen die Zeitzeuginnen spontan an der Kunstaktion "Wishtrees for Bad Homburg" teil, die von Yoko Ono zur diesjährigen Ausstellung "Blickachsen" dort im Schlosspark installiert wurde.

Organisiert werden die Zeitzeugenbesuche vom Bischöflichen Ordinariat Mainz (Dezernate Jugend und Seelsorge) in enger Kooperation mit dem Maximilian Kolbe-Werk in Freiburg, das seit vielen Jahren Überlebende der Konzentrationslager und Ghettos auf vielfältige Weise unterstützt. Besuche von polnischen Zeitzeuginnen und Zeitzeugen an Schulen im Bistum Mainz finden seit 2001 statt.