Meine lieben Zuhörerinnen und Zuhörer; machen wir uns nichts vor: Jesus gerät an seine
Grenzen. Er spürt, dass der Weg ans Kreuz ihn überfordert. Jesus wird mit seiner totalen
Angst konfrontiert. - Sollte er jetzt schon in eine Agonie, in einen Todeskampf, in eine
Leere, in eine Selbstaufgabe geraten?
Liebe Schwestern und Brüder,
vor nicht allzu langer Zeit (am 22.02.) erschien in der Gesamt-Ausgabe der AZ Mainz ein ganzseitiger Hintergrund-Bericht zum Thema „Angst“. Der Titel: „Wenn die Furcht das Leben beherrscht“.
„Atemnot, Herzrasen, Zittern und vor allem Schweißausbrüche sind die klassischen Symptome“, schrieb die Verfasserin und verwies auf eine unbedingte Behandlungspflicht. - Angststörungen sind im Vormarsch. – Nicht nur jetzt durch das fürchterliche Kriegs-Geschehen in der Ukraine.Gerade eben haben wir gemeinsam im Lukas-Evangelium erfahren, wie es Jesus selbst mitdessen eigener Angst erging. Die Lektorin las vor: „In seiner Todesangst betete Jesus nochangespannter, und sein Schweiß tropfte wie Blut auf den Boden“.Meine lieben Zuhörerinnen und Zuhörer; machen wir uns nichts vor: Jesus gerät an seine Grenzen. Er spürt, dass der Weg ans Kreuz ihn überfordert. Jesus wird mit seiner totalen Angst konfrontiert. - Sollte er jetzt schon in eine Agonie, in einen Todeskampf, in eine Leere, in eine Selbstaufgabe geraten? - Wie oft habe ich bei meinen schwerkranken Patienten diese Vor-Todes-Szene, diesen Zyklus von Angst, Todesschweiß und Untergang erlebt. – Aber was ist bei Jesus anders? Einiges. - Jesus betet! Er ringt mit seinem Vater! Fast klagt er ihn schon an! Aber er setzt die Kraft und das Potenzial einer Autoritäts-Verlagerung ein: „Vater, wenn du willst, ersparemir diesen Leidenskelch“. – (Für uns: Erspare mir diese Krankheit, dieses Schicksal, diesen Tod, diesen Krieg usw.) - Aber dein Wille soll geschehen, nicht meiner.
– Eine kleine Fußnote: Wenn alles nach unserem Willen, unseren Bedürfnissen, unseren Wünschen ginge, was wären wir da für reduzierte, abgeflachte oder gar unreife Menschen.
- WER NICHT WÄCHST – SCHRUMPFT -
Zurück zu unserer Autoritätsverlagerung: „Dein Wille geschehe“! ; und das kann bedeuten: ich bleibe nicht in meiner egozentrischen Persönlichkeit stecken, sondern ich darf ein neues Reifen und ein neues Wachsen annehmen. „Wer nicht wächst, schrumpft“, sagt Theresa von Avila. –
Die Öl-Bergszene wird daher mehr zu einem Ort des Wachsens und der Verwandlung; nicht zur Kapitulation! Für Leute, die aber alles selbst, - fast zwanghaft – unter Kontrolle haben wollen, ist dies natürlich keine Anleitung zur Lebensbewältigung. Ein Beispiel aus meiner Praxis: - In meinen therapeutischen Kursen, gibt es jeweils am Beginn der Übungs-Abende folgende Formeln: (ich verkürze es hier natürlich!)
Ich muss jetzt nichts tun,
ich muss nichts bewältigen,
ich muss nichts erzwingen,
ich darf mich fallen lassen und ruhig werden,
ganz ruhig – eine tiefe innere Ordnung wird mich ab jetzt (!) behüten.
Die Patienten können in erstaunlicher Weise diese Übung leicht in sich integrieren und fühlen sich dabei gelöst und getragen. Dieser Weg zur inneren Ordnung - das ist auch der Öl-Berg-Weg Jesu mit seiner- und jetzt verstehen wir es - Autoritäts-Verlagerung:
„Dein Wille geschehe“! - Das ist Bekämpfung der Angst!
Meine Lieben, was machen unsere eigenen Öl-Bergszenen? – Erleben wir nicht auch in unserer Angst, in unserer Not, in unserer Zerrissenheit eine Verlassenheit als säßen wir im eigenen Audienzzimmer einer Agonie. - Und dann tropft dort (!) unser Angst-Schweiß wie Blut auf den Boden. Jetzt die Kernfrage: Wird Gott auch uns seinen Engel, - wie wir im Lukas-Evangelium gehört haben – schicken? Wird er uns überhaupt finden? Wird er uns jene Kraft verleihen, die gerade notwendig ist, unser Schicksal – vielleicht auch mit Verzögerung – anzunehmen? - Ich meine Ja. - Ein Beispiel:
Eine Patientin, deren 40-jähriger Sohn bei einem Motorad-Unfall ums Leben kam, klagte zu Beginn der Therapie: „Warum soll ich diesen bitteren Kelch annehmen; ich habe doch wohl auch ein Recht auf bessere Getränke. - Können wir verstehen! – Aber schon nach einem viertel Jahr differenzierte sie, wie folgt: „Ich lerne jetzt dankbarer zu sein, dass ich 40 Jahre lang für meinen Sohn eine gute Mutter sein durfte. – Dieser therapeutische Perspektiven-Wechsel, das ist der Engel am Ölberg.
- ANGST UND DEREN SINN -
Mit dieser Um-Deutung konnte diese Mutter ihre Lebens-Angst überwinden. „Angst kann man nur heilen, wenn man ihren Sinn versteht“, schreibt Eugen Drewermann. „Das Leben eines Menschen darf nicht die Geschichte seiner Angst werden“, sagt auch die Psychologie. - Ängste sind meistens oft auch gepaart mit Versagens-Gefühlen und sie sind zeitlich begrenzt. Manchmal kommen und ziehen sie rasch weiter, wie die dunklen Wolken am Himmel. Manchmal.
Meine Lieben, die Angsterkrankungen zählen aber neben den Depressionen zu den häufigsten psychischen Erkrankungen. Immer sind die Ängste auch Ausdruck von biographischen Ereignissen und Krisen.
Deshalb müssen wir den eigenen Öl-Berg in uns aushalten. – Dabei soll er uns als Heil und Entscheidungs-Ort nicht verloren gehen. Der Öl-Berg gehört- und jetzt werden Sie erstaunt sein –auch zu unseren Berg-Tabor-Erlebnissen. Es ist auch gut, dort gewesen zu sein. Auch amÖlberg kann ich eine Hütte bauen. Wer einknickt und schrumpft, wächst nicht, so hörten wir. Nicht selten habe ich auch bei Priestern – oft um das 40. bis 50. Lebensjahr herum erfahren-, dass ihnen das eigene, bisherige geistliche Leben auch nicht mehr so richtig schmeckt. Sie befinden sich, wie viele andere Menschen, in einer Midlife-Krise.
Die Kernsymptome: Selbstzweifel, Ängste, Depression und vielfache körperliche Beschwerden.– Das sind biblisch gesprochen schmerzliche Passionswege! Aber wie gelingt der Aufbruch? – Es müssen professionell neue Perspektiven gesucht werden. Oft gelingt es schon, dass man lernt, sich von seinen Träumen zu trennen. Wichtig ist aber auch, wieder an neuen Hoffnungen zu bauen und diese zu entdecken. Carl Gustav Jung sagt: „Man darf die zweite Lebenshälfte nicht nach dem Muster der ersten leben“.
Papst Franziskus sagt: „Die Krise ist eine Chance – kein Fluch!“– Also dranbleiben!
- JESUS WIRKT IMMER – TROTZ STRENGER THEOLOGIE - Und wir wissen: Jesus bleibt nach seinem Öl-Berg-Ereignis auf seinem Passions-Weg: Er betet! Und sein Schweiß tropfte wie Blut auf den Boden. Jesus bleibt in der Wirklichkeit seines eigenen Weges. Jesus bleibt der Handelnde! Er bleibt sogar der Arzt und Heiler, der wenig später dem Diener des Hohen-Priesters sein abgeschlagenes Ohr wieder heilt. Jesus bleibt in seinem psychotherapeutischen System konstant. Einfach und barmherzig. „Da wandte sich der Herr um und blickte Petrus an“, heißt es an einer anderen –überaus wichtigen Stelle - des Lukas-Evangeliums.
Angeschaut werden, was für eine große Gnade. Auch das ist der Öl-Berg. Eine vorleistungsfreie warmherzige und barmherzige Liebe! Der strenge Intellektualismus in der Theologie aber – hat uns für diese barmherzige Gestalt Jesu leider eher blind gemacht. Schade. Ein Gott, der zu kirchenförmig gedacht wird, hindert die Kirche daran, gottesförmig zu werden, so hat es einmal Kurt Marti, evangelischer Pfarrer und Schriftsteller, beschrieben. Ist diese Schieflage vielleicht auch der Grund für den Enttäuschungs-Atheismus unserer Zeit? - Sind wir als Christen noch bei den Menschen – oder haben wir die Öl-Berge dieser Welt verlassen? - Verweilt die Kirche noch im Ölberg des Herrn? Christus sollte aber intensiver zu einem Licht in meiner Ölberg-Finsternis werden. Auch wenn wir von Christus selten bekommen, was wir wollen, sondern eher das, was wir womöglich brauchen, bleibt er das Licht der Finsternis. Dieses Licht trägt Energien. Freuen wir uns auf diese positive Sicht; freuen wir uns auf diese Deutung; es ist eine nachhaltige Hoffnung. Hirnforscher haben herausgefunden, dass ein positiv handelnder Mensch, ganz andere Areale des Gehirns aktiviert, und damit seine Resilienzen deutlich ausbauen kann.
- DIE ZEITENWENDE DARF NICHT VERSCHLAFEN WERDEN -
Meine Lieben: Unser heutiges Evangelium ist leider aber noch nicht zu Ende. Lukas beschreibt fast verständnisvoll, dass die Jünger „so erschöpft vor Kummer waren“, dass sie schliefen. Ein merkwürdiges Schlafverhalten der Jünger. Offenkundig sollten sie ihre persönliche „Zeitenwende“ verschlafen. Gab es damals schon einen Burn-out?
Wir wissen es nicht! Angstvolle Ölberg-Wege und Prüfungswege kreuzen ständig unser Leben. Darauf können wir leider nicht immer vorbereitet sein. Aber in der akuten Situation können wir um Hilfe und Beistand beten und bitten. Das weiß auch Jesus, deshalb spricht er am Ende des heutigen Evangeliums:
„Was schlaft ihr denn? Steht lieber auf (!) und betet! Überwindet Eure Ängstlichkeit! Ja, wir sollten aus unseren wohlgefälligen Komfort-Zonen heraustreten und von Christus selbst (!) in seinen Ölberg eingeladen werden und mit ihm (!) dort gemeinsam beten:
Ich opfere Dir, Vater, meine Angst!
Du führst mich aus der Finsternis zum Licht.
Du weißt um meinen Schweiß und um mein Blut.
Lass dieses Blut nicht sinnlos auf den Boden fallen.
Denn ich will dir nicht verloren gehen.
Schenke Vergebung, Zuversicht und Hoffnung.
Befreie mich aus meiner Angst.
- Nur deshalb geschehe Dein Wille. AMEN
Dr. Peter A. Schult
(Christ, Arzt, Psychotherapeut)