Heute ist der erste Fastensonntag, in gut 40 Tagen feiern wir die Osternacht. Darin wird uns der Text aus der Bibel begegnen, den wir eben gehört haben: die Erzählung von der wundersamen Rettung des Volkes Israel am Meer vor der Übermacht des Kriegsheeres der Ägypter. Die Lesung endet mit den Sätzen „So rettete der HERR an jenem Tag Israel aus der Hand der Ägypter. Israel sah die Ägypter tot am Strand liegen“. Darauf folgt – meist mit Gesang gestaltet – als „Antwortpsalm“ das Siegeslied des Mose, und darin singen wir die Zeile „Der HERR ist ein Krieger, HERR ist sein Name“. Welch eine Vorstellung von Gott!
Muss ich mir nun Gott vorstellen als einen wilden Stammeskrieger mit Lanze, Schild und Bogen? Oder steht Gott da vor mir wie ein Soldat aus den aktuellen Tagesnachrichten? Mit gepanzerter Weste, Stahlhelm, Gewehr? Auf einem Leopard II? (Oder ist Gott ein Brigadegeneral mit Orden und Dienstwaffe?)
Dieser Satz aus der Bibel, „der Herr ist ein Krieger“, ist so ziemlich das Gegenteil des Friedenskanons von Alois „Ali“ Albrecht und Peter Janssens – die haben 1972 noch dichten und singen können: „Dein Friede kommt nicht durch Gewalt“. War ich als Jugendlicher, der ich das Lied gern gesungen habe, etwas naiv? Heute und nach langem Studium des ersten Teils der christlichen Bibel, den wir „Altes Testament“ nennen, sehe ich: Die Sache ist komplizierter. Die biblische Aussage „Der Herr ist ein Krieger“ wirkt verstörend. Wir sind mit Recht aufgebracht, wenn das Töten von Menschen mit Religion in Verbindung gebracht wird: Es ist Unrecht, wenn ein korruptes Mullah-Regime im Iran zum eigenen Machterhalt Oppositionelle umbringen lässt. Wir sind empört und zugleich verunsichert, wenn der russisch-orthodoxe Patriarch von Moskau den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg Russlands auf den unabhängigen Staat Ukraine mit religiösen Begriffen und den Verweis auf Gott verteidigt. Was machen wir da mit dem Satz der Bibel? Auch die griechische Übersetzung der hebräischen Bibel hat sich im 3. Jh. v. Chr. daran gestört und ihn bewusst anders übersetzt. Dem werden wir gleich noch näher nachgehen. Aber diese Übersetzung hat aus Gott gerade keinen Pazifisten gemacht, der die Hände in den Schoß legt und gar nicht kämpfen will. „Dein Friede kommt nicht durch Gewalt“? Von wegen. Ich glaube, wir brauchen gerade heute den Glauben an und die Hoffnung auf einen machtvollen Gott – einen, der „Power“ hat.
Der Herr ist kein Krieger, sondern …
Am hebräischen Text ist nichts zu deuteln, es heißt eindeutig: Der Herr ist ein ʾisch milchama, ein Mann des Krieges. Wer schreibt so etwas? Jemand, der es satthat, ständig als Kriegsopfer von militärischen Mächten hin und her geschubst zu werden, jemand, der auf einen Gott hofft, der endlich durchgreift und die Feinde, die Bösen – wer immer das sein mag – vernichtet. Wir befinden uns in der Erzählung vom Auszug des Volkes Israel aus Ägypten: Eine heftige Auseinandersetzung Gottes mit dem Pharao ist vorausgegangen. Mit großen Zeichen versucht Gott, den ägyptischen König von dessen unrechtmäßigem Handeln, dem Versklaven der Israeliten, abzubringen. Es fruchtet nichts. Was soll man noch tun, wenn menschliches Unrecht und von Menschen ausgeübte Unterdrückung und Gewalt überhandnehmen und übermächtig werden? Man flüchtet sich zu einem Gott, der ein Mann des Kampfes ist – und hoffentlich dreinschlägt. Das ist eine verständliche Reaktion, und so muss man den Satz als einen Schrei aus dem Blickwinkel der Opfer stehen lassen. Vergisst man aber das Leiden unter der Aggression und den Blickwinkel des Opfers, dann wird der Satz unangenehm, möglicherweise brandgefährlich. Auch theologisch ist die Aussage grenzwertig: Wird so nicht zu „menschengestaltig“ von Gott geredet? Alle diese Bedenken sind berechtigt und uralt. Schon die griechische Übersetzung der hebräischen Bibel, die sogenannte Septuaginta, versucht es zu vermeiden, in allzu menschengestaltigen Bildern von Gott zu reden. Sie ändert den „Mann des Krieges“ in Ex 15,3 in folgender Weise: „Der Herr (ist jemand), der die Kriege zerschlägt, Herr ist sein Name“ (Übersetzung: Septuaginta Deutsch). Wird damit Gott zum Pazifisten, zu jemandem, der Gewalt und Krieg kategorisch ablehnt und nur gewaltlos handelt? Kaum, denn „zerschlagen“ ist ja doch ein Verb, das etwas mit Gewalt zu tun hat.
… er kämpft gegen menschliche Kriegslogik
Die griechische Rede vom Herrn, der die Kriege zerschlägt, sprengt die Vorstellung eines Kampf-Gottes auf. Sie denkt damit weiter, was schon im hebräischen Text grundgelegt ist: Gott tritt beim Wunder am Schilfmeer keineswegs als „Krieger“ auf, auch wenn das der Text des Exodusbuches so behauptet. Es gibt keine Erscheinung Gottes in menschlicher Gestalt mit Rüstung, Pfeil und Bogen. Auch zieht Gott nicht an der Spitze eines himmlischen Heeres gegen die Ägypter. Gott durchkreuzt vielmehr alle menschliche Kriegslogik (sowohl auf Seiten der Ägypter als auch der Israeliten): Es sind Meeresbewegungen, die die feindliche Armee vernichten. Hinter der Änderung zu „der die Kriege zerschlägt“ in der griechischen Bibel steckt ein theologisches Konzept. Das zeigt sich auch an anderen Stellen. Eine Stelle im Buch Jesaja, Jes 42,13, greift einerseits die starke Metapher aus dem Exodusbuch auf, aber macht daraus einen abgemilderten Vergleich: Aus „Der Herr ist ein Krieger“ wird „Der Herr zieht in den Kampf wie ein Held, er entfacht seine Leidenschaft wie ein Krieger.“ Die griechische Fassung dieses Verses geht noch weiter und schreibt: „der Herr, der Gott der Mächte, wird ausziehen und den Krieg zerschmettern“ (Übersetzung: Septuaginta Deutsch).
Diese Hoffnung, dass Gott die Kriege zerschlägt und zerschmettert, wird im Buch Judit aufgegriffen. Dieses Buch ist eine Erzählung mit einer mutigen Frau als Hauptperson – sie ist mutig, weil sie sich gegen die religiösen Vorstellung der alten Männer in ihrer Gemeinde stellt und weil sie tatkräftig unter Einsatz ihrer Schönheit und ihres Lebens diese Gemeinde und das ganze Volk rettet. Gegen alle menschlich-männliche Kriegslogik wird die Schlacht durch die ungewöhnliche Tat dieser Frau entschieden. Das feindliche Heer ist schon bereit, die kleine Stadt zu überrennen – da begibt sich Judit in erotisch attraktiver Aufmachung mitten ins Hauptquartier des Feldherrn Holofernes. Bevor sie zur Tat schreitet, ruft sie in ihrem Gebet Gott als den Herrn an, der Kriege zerschlägt (Jdt 9,7). So möge Gott die Strategie und Planung der Assyrer ins Leere laufen lassen. Dann schlägt sie dem feindlichen Feldherrn den Kopf ab. Kopflos geworden, zerstreut sich das Heer der Angreifer am nächsten Morgen in alle Winde. Nun ist es an Judit, ihre Dankbarkeit Gott gegenüber zu formulieren. In ihrem Dankgebet greift sie wie in ihrem Bittgebet die griechische Fassung der Stelle aus dem Exodusbuch auf:
Stimmt an für meinen Gott mit Tamburinen, singt meinem Herrn mit Zimbeln!
Lasst ihm erklingen Psalm und Lob(gesang), erhebt (eure Stimmen)
und ruft seinen Namen an!
Denn ein Gott, der Kriege zerschlägt, ist der Herr,
denn in sein Lager inmitten des Volkes entriss er mich
aus der Hand derer, die mich verfolgten. (Jdt 16,2)
Das ist neu: Die traditionelle Vorstellung vom Kriegsgott wird als menschliche Machtphantasie entlarvt und überwunden – zugunsten einer noch viel machtvolleren Gottesvorstellung. Gott durchkreuzt die menschliche Kriegslogik und setzt etwas für die Männer des Krieges völlig Unvorstellbares dagegen.
Übrigens steht am Ende von Exodus 15 das ältere und wesentlich kürzere Lied der Mirjam (Ex 15,21). Dieses Lied der Prophetin Mirjam kommt ohne den Mann des Krieges aus.
Gott zerstört – die Kriegswaffen!
Wie stets beim Umgang mit der Bibel darf man nicht einzelne Sätze aus ihrem Kontext reißen und sie als Waffe einsetzen oder als „unmöglich“ verdammen. Beim „Krieger“ von Ex 15,3 ist sowohl der nähere Zusammenhang zu beachten als auch der Gesamtkontext „Bibel“: Es gibt eine ganze Reihe von Texten, die Gott als zerstörerische Macht zeichnen – und zwar gegenüber den Kriegswaffen. Eines der schönsten Bilder ist die endzeitliche Vision von der Völkerwallfahrt zum Zion: Viele Völker und Nationen kommen zum Berg des Herrn und lernen dort Gottes Weisung kennen – daraufhin
werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen umschmieden
und ihre Lanzen zu Winzermessern.
Sie erheben nicht mehr das Schwert, Nation gegen Nation,
und sie erlernen nicht mehr den Krieg (Mi 4,3 par Jes 2,4).
Was Gott eigentlich und für alle Menschen will, zeigt sich daran, dass die Friedensvision der Völkerwallfahrt gleich zweimal bei den Propheten belegt ist: im Buch Micha, Kapitel 4, und im Buch Jesaja, Kapitel 2. Gott will den Menschen eine Weisung geben, die zum Leben führt (Lev 18,5), Gott will Freiheit und Frieden, nicht Krieg und Waffen. Das macht auch Psalm 46, Vers 10 unmissverständlich deutlich:
Er [Gott] setzt den Kriegen ein Ende bis an die Grenzen der Erde.
Den Bogen zerbricht er, die Lanze zerschlägt er,
Streitwagen verbrennt er im Feuer.
Und Psalm 76,2–4 stimmt mit ein:
2 Gott gab sich zu erkennen in Juda, sein Name ist groß in Israel.
3 Sein Zelt erstand in Salem, seine Wohnung auf dem Zion.
4 Dort zerbrach er die blitzenden Pfeile des Bogens,
Schild und Schwert, die Waffen des Krieges.
Schließlich kündigt die Vision in der Sacharjaschrift, Kapitel 9, einen Friedenskönig an, bei dessen Kommen die Kriegswaffen zerstört werden:
9 Juble laut, Tochter Zion! Jauchze, Tochter Jerusalem!
Siehe, dein König kommt zu dir.
Gerecht ist er und Rettung wurde ihm zuteil,
demütig ist er und reitet auf einem Esel,
ja, auf einem Esel, dem Jungen einer Eselin.
10 Ausmerzen werde ich die Streitwagen aus Efraim
und die Rosse aus Jerusalem,
ausgemerzt wird der Kriegsbogen.
Er wird den Nationen Frieden verkünden;
und seine Herrschaft reicht von Meer zu Meer
und vom Strom bis an die Enden der Erde. (Sach 9,9–10)
Am Palmsonntag werden wir diese Lesung hören. Aber auch in diesem Text ist Gott nicht einfach ein Gewalt ablehnender Pazifist. Gott erscheint als gerechter Friedenskönig auf einem Esel, zugleich aber als Krieger, der die Feinde Israels entwaffnet, als Bogenschütze, der Efraim als Pfeil gegen die Feinde verwendet und Schleudersteine einsetzt, und schlussendlich als Hirte, der sein Volk wie Schafe rettet. Die zu seinem Volk gehören, werden wie Edelsteine in einem Diadem funkeln. So entsteht ein Netzwerk von Bildern, das jede einseitige Festlegung Gottes auf das Thema „Krieg“ verhindert.
Zum Mitnehmen
Nein, man muss sich Gott nicht als Soldaten oder Panzerkommandeur vorstellen, wenn man die Zeile „Der Herr ist ein Krieger“ liest. Geschrieben wurde der Satz wahrscheinlich aus dem Blickwinkel von Opfern in einer Situation der Unterdrückung und des Leidens unter Ungerechtigkeit. Hier erhoffte man sich einen starken, kämpfenden Gott, der die Sklaventreiber machtvoll bekämpft. Dabei durchbricht Gott die menschliche und männliche Logik des Krieges: Statt noch größerer Kriegsheere werden Meeresbewegungen eingesetzt. Die griechische Übersetzung geht darin noch weiter. Sie stellt Gott als einen dar, der die Kriege zerschlägt. Das ist Gottes Ziel am Ende: Die Menschen sollen auf Gottes Weisung achten, und sie werden dann das wahre Leben finden und nicht mehr für den Krieg üben. Sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen schmieden, weil sie die nicht mehr für den Krieg brauchen. Zudem wird Gott selbst eingreifen und die Kriegswaffen vernichten.
Ich brauche heute die Hoffnung auf diesen Gott, der den Frieden durchsetzt, mit Macht und notfalls auch mit Gewalt. Ich muss aber nicht entscheiden, wie Gott das macht, und ich muss Gott dabei auch nicht helfen: Niemals kann man mit dem Verweis auf den Gott der Bibel menschlichen Krieg legitimieren. Die Sache bleibt aber schwierig: Wir können aus der Bibel keine direkten politischen Handlungsweisen ableiten. Sicher wäre es problematisch, sich mit fliegenden Fahnen und völlig unüberlegt auf eine Spirale der Gewalt und der Waffensysteme einzulassen. Aber kann man andererseits völlig gegen jede Gewaltausübung sein? Das ist auch zu einfach gedacht. Das Lied aus den Siebzigern singt von Gott: „Dein Friede kommt nicht durch Gewalt“. Aber stimmt das immer und überall? Aus der Exodus-Geschichte und den anderen Texten, die wir gehört haben, lernen wir: Gott beseitigt die Unterdrücker auch notfalls mit Gewalt. Aber Gott macht es eben auf Gottes Weise: mit Meeresbewegungen oder mit dem Mut einer schönen Frau. „Gott will durch uns Frieden schaffen, Gerechtigkeit, Liebe, Gottes Reich“? Das ist sehr optimistisch, ich will mich um Gerechtigkeit und Liebe mühen. Aber ich stoße damit auch auf Grenzen: Wir müssen nach neuen Wegen suchen, Gewalt und Unterdrückung einzudämmen. Keine leichte Sache. Die biblischen Geschichten ermutigen uns, kreativ zu werden. Vor allem aber sollten wir eins wieder lernen: Was ich heute brauche und Ihnen verkündigen möchte, ist die Hoffnung auf den einen machtvollen Gott, den ich um Hilfe und Frieden in dieser Zeit des Krieges anflehe. Ich hoffe, dass wir bald mit Judit beten können:
Stimmt ein Lied an für meinen Gott unter Paukenschall,
singt für den Herrn unter Zimbelklang!
Preist ihn und singt sein Lob, rühmt seinen Namen und ruft ihn an!
Denn der Herr ist ein Gott, der den Kriegen ein Ende setzt.