Meditation zur Kapelle in den Zornheimer Weinbergen

Kapelle in Zornheim (c) Bistum Mainz / Demuth
Kapelle in Zornheim
Datum:
Di. 2. Aug. 2022
Von:
Timo Haas

In der Facebook Aktion des Bistums Mainz werden die schönsten Urlaubskirchen gesucht. Aber auch im Bistum Mainz gibt es schöne und besondere Kirchen. Manchmal sogar "direkt um die Ecke".  Eine solche ist zum Beispiel die Kapelle in den Zornheimer Weinbergen. Die Kapelle in Zeltform bietet Ausblicke bis zum Feldberg und der Frankfurter Skyline. Sie ist ein idyllischer Ort der Einkehr, der Begegnung und Stille. Timo Haas hat einen Meditationstext geschrieben und lädt dazu ein, diesen besonderen Raum intensiv wahrzunehmen.

Meditation

Ganz bewusst sind die Beschreibungen offen und mehrdeutig formuliert - nimmt nicht nur das äußere Gebäude der Kapelle wahr, sondern auch Deinen inneren Raum, Dein „Innenleben“ - wenn Du so willst, Dein inneres Heiligtum, die „Innere Burg“ (Theresia v. Avila). Die Meditation führt Dich durch die Kapelle. Folge ihr so, wie es für Dich hier und jetzt passt und nimm Dir die Freiheit, den Raum Dir gemäß auch ganz anders zu erschließen und zu erleben.

 

Bleib bitte am Beginn der Brücke stehen und schau…

Von der Ferne sah ich ein Zeltdach ohne Fenster, verschlossen. Und dann bin ich überrascht, dass ich längs durch die Kapelle komplett hindurch blicken kann als wäre sie an den Stirnseiten offen. Doch nicht so verschlossen? Später wird sich dieser Eindruck noch verstärken…

Geh bitte über die Brücke und bleib vor der Tür stehen…

Ich kann nicht einfach eintreten. Zuerst muss ich eine stabile, sichere Brücke nehmen, dabei jedoch den festen Grund hinter mir lassen. Ich spüre die ganz leichten Schwingungen. Ich brauche nichts riskieren, muss aber doch die vertraute Sicherheit hinter mir lassen. Ich verlasse das Gewohnte, vertraue mich dem Übergang an…

Tritt bitte ein, bleib stehen und nimm den Raum wahr…

Die Stirnwand ist aus Glas, kaum größer als die Tür. Über ihr ein kleines, schmuckloses Kreuz. Sie schwingt schwer auf, ich muss mich bemühen, um nach innen zu gelangen. Mich begrüßt der Geruch von Holz - und ein Raum, der mich überrascht und einlädt. Er wirkt viel größer als von außen und viel heller, ein interessantes Lichtspiel verrät mir, dass es doch irgendwie Fenster oder Öffnungen geben muss. Der Raum weitet sich nach hinten und unten und entlässt meinen Blick wieder ins Freie, in die Natur. Die gegenüberliegende Stirnwand ist ein einziges großes Fenster, getragen von einem schlanken Fensterkreuz. Ganz unten finde ich einen roten Lichtschein, einen Lesepult, einen Altar, auch er ist offen und „durchschaubar“ wie die ganze Kapelle - transparent. Dazwischen ein abgestufter Boden mit schlichten Sitzbänken. Der Raum lädt mich ein, näher zu kommen, weiter, tiefer zu gehen…

Folge bitte der Einladung und gehe die ersten beiden Stufen hinab…

Wenn ich die ersten Stufen nach unten gehe, werde ich ich erneut überrascht: plötzlich kann ich aus den Augenwinkeln rechts und links nach draußen sehen. Das Dach ist unterbrochen von Streifen aus klarem Glas, das Licht findet hier seinen Weg nach drinnen. Ich kann durch die Öffnungen einen Streifen des Draußen erhaschen. Bei den weiteren Stufen nach unten wird es jedesmal so sein. Mit jeder Stufe, jedem Absatz nach unten weitet sich der Raum um mich. Konnte ich direkt hinter der Tür noch fast die Wände berühren, weichen diese Begrenzungen zurück, je weiter ich gehe. Diesen Weg brauche ich nicht schnell zu gehen, ich darf mir Zeit lassen, um in die Tiefe zu kommen…

Gehe bitte bis vor den letzten Absatz - in Deiner Geschwindigkeit…

Beim letzten Absatz, den letzten beiden Stufen finde ich die Quelle des roten Lichtscheines. Der letzte Glasstreifen im Dach ist rot eingefärbt. Wenn ich den Blick nach oben wende, habe ich den Eindruck, durch einen roten Bogen einzutreten. So erreiche ich die tiefste Ebene…

Bitte schreite die letzten zwei Stufen hinab…

Wie paradox - ich bin ganz unten - und in der größten Weite! Vor mir der Altar, der „heilige Ort“ jeder Kapelle, ich bin im roten Bereich - war da nicht ein „Ewiges Licht“ in katholischen Kirchen, oft auf Abstand? Hier fordert mich der ganze Raum dazu auf, genau bis hierhin zu kommen, wirklich so weit zu gehen, bis in die Tiefe, um den heiligen Orten und Dingen ganz nahe zu sein…

Geh bitte um den Altar herum und tritt hinter das Fenster…

Vor mir liegt ein weites Panorama: links schmiegt sich Zornheim an den Hang, geradeaus schon jenseits des Rheins ragt im Taunus der Feldberg empor, und halb rechts sehe ich bei klarem Wetter die Skyline von Frankfurt. Wieder paradox - ganz in der Tiefe habe ich den weitesten und besten Blick auf die Welt drum herum, auf die Welt, in der ich lebe…

Schau Dir nun bitte das Fensterkreuz von der Seite aus an, geh vielleicht sogar zwei, drei Schritte zurück…

Ich schaue am Fensterkreuz empor. Es ist nicht nur ein Fensterkreuz. Aus der Nähe, in der Tiefe kann ich erkennen, das es ganz bewusst im Profil als Kreuz gestaltet ist, außen und innen. Erst aus dieser Nähe kann ich die sehr große Dimension dieses Kreuzes wahrnehmen. Es nimmt fast die ganze Rück“wand“ ein und ist doch aus dem Raum heraus fast unsichtbar. Es war die ganze Zeit schon im Blick, sogar vom Anfang der Brücke aus - doch erst jetzt, am Ende des Weges, in der Tiefe und Nähe, kann ich es erkennen, verstehen: immer schon da, unmerklich, aber präsent. Ich bin unter dem Kreuz, in Seiner Nähe - und hier ist die größte Weite…

Bitte dreh Dich um und tritt hinter den Altar…

Schließlich kehre ich mich um und schaue zurück. Eine neue Perspektive. In der Rückschau, vom Ende her erschließt sich mir der Raum und der Weg auf einen Blick: der ansteigende Boden, die Verengung nach oben hin zu Eingang, der jetzt Ausgang wird. Das mehrfach unterbrochene, geöffnete Dach, durch das das Licht herein fällt. Und der Blick nach draußen, über die Brücke bis zum Weg, meinem weiteren Weg. Ich werde hier in der Tiefe nicht bleiben können, muss durch Aufstieg und Enge hindurch…

Geh bitte in Deinem Tempo nach draußen bis vor die Tür, achte auf Deine Empfindungen…

Auf dem Weg nach oben fühlt es sich nach Aufstieg an, nach dem Zugehen auf etwas Besonderes. Ich steige empor, auf einen Durchgang zu, in der Verengung vielleicht sogar wie auf etwas Befreiendes zu. An der Tür muss ich mich wieder anstrengen, der Durchgang braucht Kraft. Draußen empfängt mich Weite und Frische. Gleich überquere ich die Brücke und schreite aus. Ich bin wieder auf dem Weg…

Meditationstext