Schöpfungszeit: Leben in Fülle

Stephanie Rieth (c) Bistum Mainz
Stephanie Rieth
Datum:
So. 24. Sept. 2023
Von:
Stephanie Rieth

In der Schöpfungszeit laden die christlichen Kirchen ein, über ein Leben in Fülle nachzudenken. Ein Leben im Einklang mit der Natur. Zugleich steht diese Zeit in besonderer Weise für die Bewahrung der Schöpfung und was der Einzelne dafür tun kann.

Pastoralreferentin Stephanie Rieth, Mainz-Kastel hr1 Sonntagsgedanken, 24. September 2023

Vor zwei Wochen bin ich auf das Dach der Katholischen Hochschulgemeinde in Mainz gestiegen. Die Gemeinde hat dort eine ziemlich große Solaranlage installiert - eine Anlage, die genug Strom produziert, um die dortige Mensa zu betreiben und den täglichen Bedarf der Studierenden abzudecken. Es bleibt sogar ein Überschuss: Der wird dann ins Stromnetz eingespeist. Das Bistum Mainz ist auf dem Weg zur Klimaneutralität, und ich durfte mir das anschauen - ganz aus der Nähe. Ich bin ja froh, dass ich schwindelfrei bin, denn der Aufstieg über das Gerüst war ziemlich wackelig. Aber oben angekommen, hatte ich darüber hinaus noch einen herrlichen Blick über die Stadt, und das bei wunderbarer Septembersonne.

Der Monat September ist Schöpfungszeit für die christlichen Kirchen - vom 1.  September bis zum 4. Oktober dauert sie an. Die Schöpfungszeit ist eine Zeit, in der sich bei den christlichen Kirchen alles um Gottes große Schöpfung dreht, und die sieht von oben wirklich sehr beeindruckend aus.

Und der Blick aus der Vogelperspektive macht nachdenklich. Wir Menschen haben uns die Welt zu eigen gemacht. Wir bewohnen sie, wir leben mitten drin, bevölkern die Erde und prägen sie. Wir sind vor allem gerade dabei, diese Erde empfindlich zu stören und zu zerstören. Von oben auf dem Dach sehen die Flugzeuge ziemlich nah aus, dafür die Autos auf den Straßen ganz klein. Wie grüne Inseln durchziehen Bäume oder Parks das Stadtbild aus Hochhäusern, Schulen, Kirchen und Wohnsiedlungen. Ja, auch da, wo der Mensch kreativ wird, ist Schöpfung.

Die Schöpfungszeit lädt dazu ein, Natur und Schöpfung besonders wahrzunehmen – und sie zu schützen. Wir sind Teil dieser Welt, wir sind für sie verantwortlich, wir müssen sie bewahren, auch, damit wir selber besser in ihr leben können. „Damit ihr das Leben in Fülle habt“, dieser Vers aus dem Johannesevangelium ist das Leitmotiv der Schöpfungszeit in diesem Jahr, und das ist ein Gedanke, der von oben betrachtet für mich sehr gut passt. Oben auf dem Dach, da habe ich Abstand, da entdecke ich das pulsierende Leben der Stadt, aber auch den ein oder anderen grünen Fleck, die Natur mit ihrem ganz eigenen Leben. Alles zusammen ist für mich Leben in Fülle.

Leben in Fülle – dieser Gedanke hat mich beschäftigt, oben auf dem Dach des Wohnheims für Studierende, neben der Solaranlage. Den Blick schweifen lassen und dabei das Leben der Stadt und die grünen Inseln entdecken, das ist ein beeindruckendes Erlebnis. Aber zugleich wird klar: Damit in der Stadt alle gut und in Fülle leben können, braucht es noch mehr Umwelt- und Klimaschutz. Oben auf dem Dach wird mir aber auch deutlich: Damit uns diese Erde und das Leben in Fülle erhalten bleibt, müssen Politik und Gesellschaft, auch ich als Einzelne etwas ändern, auf Dinge verzichten, neue Wege gehen.

„Wir sind bereit!“, so heißt ein leidenschaftlicher Appell für mehr Klimaschutz, in ihm wenden sich zahlreiche Verantwortliche aus den katholischen Bistümern, den Verbänden und der Caritas in Deutschland an die Bundes- und Landesregierungen.

Darin wird gefordert: Wir müssen in Deutschland viel schneller vorankommen zum Beispiel mit der energetischen Sanierung von Gebäuden oder auch mit der Mobilitätswende oder der Agrarwende, die Politik muss die nötigen Rahmenbedingungen dafür jetzt schaffen. Das Ziel soll sein: Wir müssen loskommen von fossilen Energieträgern, und dabei kann und soll Deutschland als große und einflussreiche Wirtschaftsmacht ein Vorreiter sein.

Hohe Ansprüche und Forderungen sind das. Dahinter stehen das Zentrum der Jesuiten für sozial-ökologische Transformation Ukama, der Deutsche Caritasverband und die Arbeitsgemeinschaft der Umweltbeauftragten der Deutschen Bistümer.

Auch ich habe für das Bistum Mainz unterzeichnet.

Ja, man kann durchaus fragen: Was bringen solche Appelle? Am Ende ist mit einem Appell noch nichts getan. Aber solche Appelle schaffen Bewusstsein und Gemeinschaft, und das stärkt fürs Handeln. Und wenn es nicht nur einige wenige sind, dann spüren auch die Entscheiderinnen und Entscheider in Politik und Gesellschaft: Es gibt nicht nur die verzweifelten Klimakleber. Es gibt wirklich mittlerweile eine breite Basis von gesellschaftlichen Gruppen und Menschen, die ganz dringend etwas tun wollen, um die Klimakrise zu bewältigen. Die bereit sind, mitzumachen, ihren Teil dazu beizutragen.

Klimaschutz kostet, aber er darf nicht nur ein Privileg der Besserverdienenden sein. Zugleich bedeutet soziale Gerechtigkeit in diesem Kontext nach meiner Ansicht auch: Keiner kann und muss alles! Jede und jeder ist gefragt, mit einem Beitrag, der zur Einzelnen, zum Einzelnen passt und leistbar und damit nachhaltig ist. Und manchmal muss man sich auf etwas konzentrieren, einen Schwerpunkt setzen. Wir zu Hause probieren zum Beispiel, mehr Nachhaltigkeit über die Ernährung zu schaffen. Wir essen nur noch wenig Fleisch, und das dann in Bio-Qualität, und unser Obst und Gemüse kaufen wir so gut es geht mit regionalem Bezug.

Im Bistum Mainz haben wir uns eben das Thema Solarenergie vorgenommen. Mit dem Pilotprojekt auf den Dächern des Studierendenheims in Mainz wollen wir auch unsere Pfarreien ermutigen, auf Solaranlagen zu setzen. Ein Solarkataster soll diese Prüfung erleichtern und unterstützen. Rund 1700 Dächer im Bistum sind in diesem Kataster erfasst – es liefert Daten über Himmelsrichtung, Dach-Neigung und die mögliche Modulfläche und jährliche Stromproduktion. Wir wollen so ganz konkret als Kirche zur Energiewende beitragen.

Soziale Gerechtigkeit im Klimaschutz - das bedeutet für uns als Bistum aber auch, einen Blick über den Tellerrand hinaus in die Weltkirche zu werfen, in Länder, die noch viel mehr unter den Klimafolgen leiden und zugleich noch weniger Möglichkeiten haben, dem etwas entgegenzusetzen. Wir haben zum Beispiel in Tansania eine Solaranlage für eine Mädchen-Schule der Missionsbenediktinerinnen bezuschusst. Klimaschutz ist ein Thema für die Weltgemeinschaft, weil eben am Ende alles miteinander zusammenhängt.

Alles hängt irgendwie miteinander zusammen. Wir sind eine große Weltgemeinschaft, die einander braucht, aber in der auch das Handeln der einen Einfluss auf das Leben der anderen hat.

Und da bin ich wieder beim Motto der Schöpfungszeit in diesem Jahr: Damit ihr das Leben in Fülle habt! „Leben in Fülle“ - das klingt zuerst nach Überfluss. Vielleicht, nein bestimmt ist aber „Leben in Fülle“ ganz anders gemeint. Wenn die Bibel vom Leben in Fülle spricht, dann bedeutet das nicht Verschwendung, Luxus und Überfluss für wenige von uns.

Dieses Wort ist Verheißung. Jesus spricht es den Menschen zu: Ich bin gekommen, damit sie das Leben in Fülle haben.

Leben in Fülle, das heißt für mich, ein Leben in Frieden und im Einklang mit der Natur. Ein Leben, in dem ich mich lebendig fühlen darf, und das kann auch bedeuten, eben gerade ein einfaches Leben zu leben. Dieser Gedanke ist auch Papst Franziskus in seinem Brief an die Gläubigen, „Laudato si“, wichtig.

Leben in Fülle: Das bedeutet für mich, morgens nicht ins Auto, sondern auf mein Rad zu steigen und zur Arbeit zu fahren und dabei den Wind zu spüren. Es bedeutet für mich, mit guten Lebensmitteln aus der Region und der Jahreszeit zu kochen und zu genießen.

Und dieses Leben in Fülle wünsche ich mir für alle Menschen, auch für diejenigen, die unter der Klimakrise und sozialer Ungerechtigkeit leiden, denn oft hängt das eine mit dem anderen zusammen. Leben in Fülle für mich darf nicht auf Kosten anderer gehen, so meint es auch die Bibel. Es geht um gutes und erfülltes Leben für alle.

 

Linktipp: www.wirsindbereit.net

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