Bronislawa Stepniewska

aus Wrocław/Polen

Stepniewska Bronislawa
Stepniewska Bronislawa
Datum:
Di. 21. Mai 2019
Von:
Christoph Kulessa/Alois Bauer

Bronislawa Stepniewska wurde am 08. Juni 1931 geboren. Von September 1941 bis März 1942 lebte sie im Ghetto in Śniatyń an der ehemaligen polnisch-rumänischen Grenze (heute die ukrainische Stadt Ivano-Frankivsk). Sie überlebte gemeinsam mit acht Personen aus ihrer Familie in einem 60-80 cm hohen Versteck unter dem Dielenboden eines Hauses. Ihr Bruder, der damals mit überlebte, wohnte im Haus nebenan.

Nach den bereits traumatischen Erlebnissen ihrer Kindheit verlor sie auf tragische Weise ihre Tochter durch ein Gewaltverbrechen. Daraufhin nahm Bronislawa Stepniewska eine Pflegetochter und hat heute einen Enkel. Als Wirtschaftsmagister arbeitete die Witwe in einem Projektbüro, heute ist sie pensioniert. Zu ihren Interessen zählen Lesen, Fernsehen und Kino.

Bronislawa Stepniewska kam 2009 als Zeitzeugin ins Bistum Mainz.

 

 

Aus einem Gespräch mit Schülerinnen und Schülern der 11. und 13. Klassen im Sebastian-Münster-Gymnasium Ingelheim, 26. August 2009

Stepniewska Bronislawa
Stepniewska Bronislawa

Bronislawa Stepniewska erzählt:

"Vor dem Krieg lebten wir 40 km von der rumänischen Grenze entfernt. Im März 1939 starb meine Mutter. Wir wohnten dann zur Miete bei einer polnischen Familie, der Besitzer arbeitete bei der Bahn, die Frau half meinem Vater bei der Erziehung. Als der Krieg begann, kamen vor den Russen die Ukrainer, die Nationalisten waren und im Dienst der Deutschen standen. Wir waren im „Niemandsland". Die Ukrainer fingen an, Polen und Juden zu ermorden. Nach zwei Wochen kamen die Russen. Polen war bis in die Gegend von Lwow unter russischer Herrschaft.

1941 erklärte Deutschland der Sowjetunion den Krieg. Es fielen viele Bomben und es gab viele Minen. Da kamen die Rumänen. Sie waren auch in der Union mit Deutschland. Die Wohnungen der Juden wurden mit dem Davidstern gekennzeichnet. Männer mussten in den Wald gehen zur Arbeit für etwas Suppe und Brot. Eines Tages kamen zwei Rumänen in die Wohnung, sie sahen die Geige an der Wand und fragten: Wer kann Geige spielen? Vater hat dann zwei Stunden für sie gespielt. Die ganze Woche kam dann niemand mehr; dann kamen die Deutschen.

Es herrscht ein großer Hunger, auch die Schalen von Kartoffeln haben wir gegessen. 1942 wurde ein Ghetto eingerichtet. Ich war sieben Jahre alt, mein Bruder fünf, und wir mussten überall helfen, wir mussten zuschauen, wie Leuten auf der Straße für jede Kleinigkeit und nicht erlaubtes Tun auf der Stelle erschossen wurden.

Ein ehemaliger Mitarbeiter aus dem Sägewerk kam und sagte, das in zwei Tagen alle Juden zusammen gerufen würden unter dem Vorwand, dass sie zur Arbeit umgesiedelt würden. Vater hat einen Wächter des Ghettos bestochen, und in Zivilkleidern sind wir zu jener Familie zurück, wo wir früher wohnten.

Die Frau hat uns alle versteckt: wir Kinder im Bett, mein Vater in einer Kartoffelkiste. Eine Woche lang gab es jeden Tag eine Kontrolle, aber wir wurden nicht gefunden. Es war ein neues Haus, und Vater wusste, dass der Keller noch leer war. Er war nur 70 cm hoch und so groß wie die Küche. Tagsüber saßen wir unten, nachts wurden die Fäkalien heraus geholt, weil wir uns nur in einem Eimer entleeren konnten. Brot und Schmalz gab es ein Jahr lang. Die Frau konnte nur nachts kochen, um zu verhindern, das Nachbarn kamen und fragten, warum sie so viel koche. Nachbarn hatten erzählt, wir seien geflohen und sie hätten gesehen, dass wir über den Fluss gegangen wären. Unsere Vermieterin blieb stumm. Wir waren sehr arm und hatten kein Geld. Der 14jährige Sohn kam nachts von Zeit zu Zeit und spielte den Lehrer, um uns Kindern lesen beizubringen.

Meine beiden Tanten mit einem Kleinkind wohnten in der Nähe von Lwow, wo das Ghetto aufgelöst wurde. Sie sahen arisch aus, hatten auch solche Papiere und kamen zu uns. Nun lebten wir zu acht ein Jahr lang im Keller. Und wir warteten jeden Tag auf Nachricht, dass der Krieg aus ist. Die Russen haben uns nach zwei Jahren befreit. Die Ukrainer haben wieder angefangen zu morden. Wir hatten Angst rauszugehen. Und nach einiger Zeit gingen wir dann raus, als die Russen kamen. Ich konnte nicht mehr gerade stehen. Wir hatten Angst vor den Ukrainern. Wir sind mit einem Pferdewagen nach Rumänien geflohen, nach einem Monat sind wir zurück, denn da war die Gegend schon russisch regiert. Mein Vater fing wieder an zu arbeiten als Sägewerker.

Im Juni 1945 wurden wir wieder evakuiert nach Polen. Wir hatten kein Geld, nur Maismehl und etwas Wodka. Dann bekamen wir Hilfe von den USA und ein anderes Visum, von Krakau aus sind wir nach Wroclaw. Das ist das alte Breslau. Vater bekam Arbeit, wir gingen in die Schule, ich studierte Wirtschaftswissenschaften, mein Bruder Agrartechniker. Er ist Dozent an der Uni. Ich habe einen Polen geheiratet. Mit der ganzen Familie habe ich nach der Befreiung die Taufe angenommen. Dies war der Wunsch unserer Gastfamilie. Und wir haben es aus Überzeugung getan.

Später habe ich dann wieder eine Familientragödie erleben müssen: ein Psychopath hat meine Tochter in meinen eigenen vier Wänden umgebracht. Er war ein Kommilitone meiner Tochter. Zwei Jahre später nahm ich ein Kind aus einem Waisenhaus als Pflegetochter an. Sie ist heute 30 Jahre, lebt in England und hat eine Tochter. Mein Mann ist vor neun Jahren gestorben. (...)"

Aufgezeichnet von Alois Bauer