Die Macht der Worte - damals und heute (ab 24.1.)

Veranstaltungen zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus

Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus (c) Bistum Mainz
Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus
Datum:
Do. 19. Jan. 2017
Von:
ath (MBN)
Die Sprache des Nationalsozialismus war der Nährboden für die späteren Verbrechen des Regimes. Das veranschaulicht eindrucksvoll die aktuelle Ausstellung der Mainzer Ökumenischen Arbeitsgruppe Gedenktag 27. Januar. Sie wird am Dienstag, 24. Januar, um 18.00 Uhr im Mainzer Dom vom rheinland-pfälzischen Landtagspräsident Hendrik Hering, Diözesanadministrator Prälat Dietmar Giebelmann und Präses Ulrich Oelschläger von der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) eröffnet. Das Thema der Schau zum Gedenktag an die Opfer des Nationalsozialismus lautet in diesem Jahr: „Worte wie Gift und Drogen. Was Sprache anrichten kann - von damals bis heute.“

Die Mainzer Arbeitsgruppe - sie besteht seit 1996, als der damalige Bundespräsident Roman Herzog den Gedenktag 27. Januar ins Leben rief - legt bei der aktuellen Ausstellung ihren Fokus also nicht auf einen konkreten historischen Anlass wie in den vergangenen Jahren. Sondern auf den Entwicklungsprozess, der dazu geführt hat, dass Menschen Opfer des Nationalsozialismus wurden. Die Schau hat zwei Ebenen. Sie veranschaulicht die Giftwirkung der Sprache, indem sie die Agitation in der NS-Zeit mit dem daraus resultierenden Massenmord in Verbindung setzt. Und sie verweist darauf, dass das Vokabular jener Zeit heute teilweise wieder öffentlich verwendet wird. „Das sind keine unschuldigen Worte“, betont Dr. Peter-Otto Ullrich, der Leiter der Ökumenischen Arbeitsgruppe 27. Januar. „Diese Worte sind belastet. Man macht dadurch nicht nur bestimmte Worte einfach mal wieder hoffähig, sondern kauft sich damit eine Ideologie ein.“ Denn die Sprachgemeinschaft war eine Ideologiegemeinschaft.

Für Ullrich bedeutet dies: „Mit den Worten ist auch die Ideologie eingesogen worden.“ Die spätere „Entnazifizierung“ durch die Alliierten habe nie die Ebene der Ideologie erreicht. So waren schwer belastete Nazi-Täter in der Bundesrepublik bis weit in die 1970er Jahre in Führungspositionen selbst im Außen- und im Justizministerium in Bonn tätig, wie jüngere wissenschaftliche Studien bestätigt haben. Von daher verwundere es nicht, dass die NS-Ideologie auch auf der alltäglichen Sprachebene weiterhin latent vorhanden gewesen sei. Und aktuell werde ihr Skandalpotenzial in bestimmten Kreisen - etwa in der AfD, aber nicht nur dort - bewusst eingesetzt. „Man weiß, wenn man bestimmte Worte benutzt, bekommt man Presse und Aufmerksamkeit. Primär handelt es sich um Appelle für ein nach außen sich abgrenzendes Nationsverständnis und eine Priorität des Deutschseins.“

Die Ausstellung orientiert sich an den Sprachanalysen des früheren Dresdener Romanistik-Professors Victor Klemperer. Sein 1946 erschienenes „Notizbuch eines Philologen“ war der erste Versuch, die Sprache des „Dritten Reiches“ in den Blick zu nehmen. Die „Lingua Tertii Imperii“ (LTI) gilt bis heute als Meisterwerk der Geschichtsschreibung. Auch der Titel der Schau geht auf Klemperer zurück. Er deckte die Gift- und Drogenwirkung der NS-Sprache auf. „Sie entstand keineswegs erst nach 1933 gleichsam aus dem Nichts“, erläutert Peter-Otto Ullrich. „Und sie verschwand auch 1945 nicht spurlos im Nirgendwo.“ In ihrer Entstehungszeit konnte die NS-Sprache auf vieles zurückgreifen, was vorhanden war: „das deutsche Volk“, „die Volksgemeinschaft“, „der Führer“, „die Judenfrage“. Durch permanentes Wiederholen und in der Kombination mit anderen Worten erhielten die Worte einen neuen Sinn und steuerten so die „Gefolgschaft“ in die gewollte Richtung. Und diese „marschierte“. Jeder, der sich außerhalb der „Volksgemeinschaft“ stellte, wurde als Feind betrachtet. Aus der „Judenfrage“ wurde die „Endlösung der Judenfrage“ und die „Bekämpfung des jüdischen Bolschewismus“ wurde zum obersten Ziel erklärt. Mit dieser Wortkombination wurden, so Peter-Otto Ullrich, „zwei Feinde zu einem Feind zusammengebunden“.

Die mündliche und schriftliche Allgegenwart ihrer rassenbiologischen, militaristischen, auf Führung und Gefolgschaft zielenden Funktion von Volk und Gesellschaft war eine der stärksten Stützen der NS-Herrschaft. Das wird auf 15 Schautafeln deutlich. Die Sprache prägte alle Lebensbereiche, den Alltag, die Medizin, das Rechtssystem und sogar den „deutschen Glauben“. So hieß es in einem für eine nationalsozialistische Liturgie verfassten Liedtext aus dem Jahr 1934: „Hört Ihr die Osterglocken frohlocken? Auch Deutschlands Grab ist leer: Das Volk hat heimgefunden - und war der Stein auch noch so schwer, es hat ihn überwunden.“

„Das ,Gift‘ der Sprache wirkt nicht ohne das Zutun dessen, der sie spricht“, wird der Sozialpsychologe Harald Welzer in der Schau zitiert, der sich intensiv mit der NS-Zeit befasst hat. „Opa war kein Nazi“ heißt sein bekanntestes Werk. Am Anfang entsteht die Entscheidung, trotz der Wahrnehmung des menschenverachtenden Charakters dieser Sprache, ihre Worte und Phrasen zu übernehmen. Weghören, Dulden und Aktivwerden sind keine grundlegend verschiedenen Verhaltensweisen, hat schon Victor Klemperer festgestellt. Zusammenfassend schrieb er 1946: „Der Nazismus glitt in Fleisch und Blut der Menge über die Einzelworte, die Redewendungen, die Satzformen, die er ihr in millionenfachen Wiederholungen aufzwang und die mechanisch und unbewusst übernommen wurden.“

Das Wort „Volksverräter“ ist eines jener Worte, die laut Peter-Otto Ullrich keine harmlosen Worte sind. „Volksverräter“ wurde vor wenigen Tagen von Sprachwissenschaftlern zum „Unwort des Jahres 2016“ gekürt. Mit dem Begriff war SPD-Chef Sigmar Gabriel im August 2016 bei einem Besuch im niedersächsischen Salzgitter von rechten Demonstranten beschimpft worden.

Die Ausstellung „Worte wie Gift und Drogen“ ist von Dienstag, 24. Januar, ab 18.00 Uhr täglich bis Montag, 30. Januar, um 17.00 Uhr im Mainzer Dom zu sehen. Von Dienstag, 31. Januar, bis Montag, 6. Februar, wird sie in der Katholischen Hochschulgemeinde (KHG) Mainz gezeigt. Von dort wandert sie in die evangelische Christuskirche in Mainz (7. bis 28. Februar). Abschließend wird sie vom 1. bis 31. März im Bischöflichen Jugendamt (BJA) Mainz, Am Fort Gonsenheim, zu sehen sein.