Zeitzeug*innen zu Gast auf dem Jakobsberg

Zeitzeugenbesuch im Kloster Jakobsberg 2022 (c) Stephanie Roth
Datum:
Do. 2. Juni 2022
Von:
Stephanie Roth

Nach zwei Jahren Unterbrechung, in denen durch die Pandemie keine Besuche von Zeitzeuginnen und Zeitzeugen stattfinden konnten, waren nun wieder Überlebende deutscher Konzentrationslager in Polen zu Gast im Bistum Mainz.

Zeitzeugenbesuch 2022 (c) Bistum Mainz / A. Bauer

Józefa Posch-Kotyrba aus Kattowitz und Mieczyslaw Grochowski aus Danzig wohnten vom 08. bis 14. Mai 2022 im Kloster Jakobsberg in Ockenheim. Jeden Vormittag schilderten sie Schülerinnen und Schülern ihre Erfahrungen aus der Zeit des Nationalsozialismus. Die zwischen 83 und 87 Jahre alten Zeitzeug*innen waren in ihrer Kindheit in dem Internierungs- und Arbeitslager Lebrechtsdorf-Potulitz, in verschiedenen Internierungslager für polnische Kinder sowie dem „Jugendverwahrlager Litzmannstadt“ inhaftiert. Begleitet wurden sie von Ehren- und Hauptamtlichen des Bistums Mainz und des Maximilian-Kolbe-Werkes.

Zeitzeugenbesuch im Kloster Jakobsberg (c) Stephanie Roth

Zu den Gesprächen kamen Schülerinnen und Schüler des Sebastian-Münster-Gymnasiums Ingelheim, der Maria Ward Schule Mainz, der Berufsbildende Schule Bingen, des Gymnasiums am Römerkastell Alzey und der Rochus-Realschule Bingen in die Bildungsstätte Kloster Jakobsberg. Insgesamt nahmen 550 Schüler*innen an den Gesprächen teil. Ein besonders Event war die Pressekonferenz mit Bildungsministerin Dr. Stefanie Hubig, an der am 10.05.2022 neben Journalisten der dpa, des SWR, der Allgemeinen Zeitung Mainz, SAT1 und des offenen Kanals Bitburgs 38 Schülerinnen der Maria-Ward-Schule teilnahmen. Thema war die Zukunft der Zeitzeugenarbeit an Schulen in Rheinland-Pfalz. Gemeinsam mit Filmemacher Edmund Bohr und Autor Reiner Engelmann stellte das Bildungsministerium RLP zwei Filme über die beiden Holocaust-Überlebenden Henriette Kretz und Niusia Horowitz-Karakulska vor. Henriette Kretz wurde per Videokonferenz aus Antwerpen zugeschaltet. Mit ihrem Statement zu den Gräuel im Ukraine-Krieg bewegte die 87jährige Holocaust-Überlebende alle Anwesenden.  "Ich bin wütend, ich bin schrecklich wütend, dass so etwas passiert", sagte die in der heutigen Ukraine geborene Zeitzeugin, "es ist dieselbe Gewalt, dieselbe Brutalität wie im Zweiten Weltkrieg“.

Zeitzeugenbesuch 2022 (c) Bistum Mainz / A. Bauer

Die Schülerinnen der Maria-Ward-Schule Mainz hatten sich mit ihren Lehrerinnen Ulla Graw und Alexandra Wiesemann gründlich auf die Begegnung mit den Zeitzeug*innen vorbereitet. Den anwesenden Pressevertreterinnen schilderten sie hochmotiviert ihre Sicht: "Es ist wichtig, den Überlebenden die Möglichkeit zu geben, ihre Geschichte zu erzählen", sagte die 16-jährige Schülerin Soraya aus der Maria-Ward-Schule in Mainz. Geschichte müsse bewahrt werden, damit sie sich nicht wiederholen könne, fügte die 17 Jahre alte Anna hinzu. "In letzter Zeit merkt man, dass der Antisemitismus wieder stärker wird."

 Eine öffentliche Abendveranstaltung mit Zeitzeugin Alodia Witaszek-Napierała und Autor Reiner Engelmann am 12.05.2022 in Bingen erfuhr regen Zuspruch: Rund 80 Personen fanden sich in der Aula der Hildegardisschule ein, um die Geschichte von Frau Witaszek-Napierałas Kindheit zu hören. Nachdem ihr Vater 1943 als Widerstandskämpfer hingerichtet und ihre Mutter nach Auschwitz verschleppt worden war, wurde sie der Familie geraubt und über verschiedene Stationen im KZ und in Kinderheimen an eine deutsche Familie gegeben, die sie adoptierte. Nach fast fünf Jahren kehrte sie zurück zur polnischen Familie. Im Gespräch mit Reiner Engelmann, der diese Geschichte im Buch „Alodia, Du bist jetzt Alice“ festgehalten hat, schilderte Frau Witaszek-Napierała eindrücklich, wie der Rassenwahn der Nationalsozialisten ihre Kindheit zerstörte. Die Veranstaltung wurde organisiert in Kooperation mit pax christi Rhein-Main Regionalverband Limburg-Mainz, vhs Bingen, Arbeitskreis Jüdisches Bingen, Pfarrgruppe Bingen-Süd, Evangelische Johanneskirchengemeinde Bingen und der Evangelischen Christuskirche Bingen-Büdesheim.

Mieczyslaw Grochowski hatte wie immer bei Zeitzeugengesprächen seine Trompete dabei. Bei jedem Schulgespräch spielte er zum Abschied spielte für alle Schüler*innen ein besonderes Stück, das an die polnischen und deutschen Kinder erinnert, die auf dem Friedhof des ehemaligen Internierungs- und Arbeitslager Lebrechtsdorf-Potulitz begraben sind.

Zeitzeugenbesuch 2022 (c) Stephanie Roth

Die Zeitzeug*innen waren sehr zufrieden, endlich wieder nach Deutschland kommen zu können. Die Reise und die Schulgespräche sind für sie anstrengend, aber angesichts der Tatsache, dass wieder Krieg herrscht in Europa, dass Hass im Internet verbreitet wird und Rassismus auf dem Vormarsch ist, ist es ihnen eine großes Anliegen, den Schüler*innen zu vermitteln, dass Frieden und Demokratie gefährdet sind und dass man sich dafür engagieren muss, um sie zu erhalten. Die ruhige Atmosphäre im Tagungshaus des Kloster Jakobsberg, das tolle Wetter und die Ausflüge am Nachmittag nach Eltville und an den Rhein boten den Gästen einen willkommenen Ausgleich. „Wir kommen auf jeden Fall im nächsten Jahr wieder“ verabschiedeten sich die Gäste, als sie am Samstag die Rückreise nach Polen antraten.