"Das ist meine Liebe, vergossen für dich" (Andreas Knapp) Das Zeichen des Nardenöls
Schrifttext: Mk 14,3-9
Als Jesus im Haus Simons des Aussätzigen zu Tisch war, kam eine Frau mit einem Alabastergefäß voll echtem, kostbarem Nardenöl, zerbrach es und goss das Öl über sein Haupt. Einige aber wurden unwillig und sagten zueinander: Wozu diese Verschwendung? Man hätte das Öl um mehr als dreihundert Denare verkaufen und das Geld den Armen geben können. Und sie fuhren die Frau heftig an. Jesus aber sagte: Hört auf! Warum lasst ihr sie nicht in Ruhe? Sie hat ein gutes Werk an mir getan. Denn die Armen habt ihr immer bei euch und ihr könnt ihnen Gutes tun, so oft ihr wollt; mich aber habt ihr nicht immer. Sie hat getan, was sie konnte. Sie hat im Voraus meinen Leib für das Begräbnis gesalbt. Amen, ich sage euch: Auf der ganzen Welt, wo das Evangelium verkündet wird, wird man auch erzählen, was sie getan hat, zu ihrem Gedächtnis.
Da kommt eine Frau. Sie platzt mitten in eine Männergesellschaft hinein. Frauen hatten nicht mitzureden, wenn Männer diskutierten - damals. Die Frau mischt sich auch nicht mit Worten ein, sondern ihr Tun ist sprechend, ihre Gesten unübersehbar. Was sie das wohl an Mut gekostet hat, solche Barrieren zu überwinden!
Sie bringt etwas überaus Kostbares mit: echtes Nardenöl, aus fernen Ländern importiert - ein Vermögen. Mich erinnert diese Frau, die namenlos bleibt, an die Frauen, die Jesus auf seinem Weg begleitet haben und ihn und seine Jünger mit ihrem Vermögen unterstützten (vgl. Lk 8,1-3). Ich denke, dass es sich bei diesem "Vermögen" nicht nur um materielle Güter gehandelt hat, sondern um die Talente und Gaben, die besonders Frauen einzubringen haben: Intuition, Empathie, situationsbezogenes Handeln. Der ägyptische Theologe Henri Boulad sagt: "Intuition ist meiner Ansicht nach die weibliche Seite der Intelligenz, die Intelligenz des Herzens... Frauen gehen geradlinig hinein ins Innere der Dinge und Wesen und verstehen von dort her."
Genau das tut diese Frau. Sie versteht intuitiv, in welcher Situation sich Jesus befindet. Das Unheil braut sich über ihm zusammen, das Todesurteil der Mächtigen ist gefällt (vgl. Mk 14,1). Die Frau zerbricht das Alabastergefäß, das in sich schon eine Kostbarkeit darstellt, und in diesem Zerbrechen symbolisiert sie seinen Tod, der der Welt das Leben und den Geist gibt. Indem die Frau das Gefäß zerbricht, wird der ganze Raum von dem Duft des Öls erfüllt.
Muss nicht immer wieder etwas zerbrechen, um zu bestehen? Ein Beispiel aus der benediktinischen Tradition: Als Montecassino durch die Langobarden zerstört wurde – zunächst eine Katastrophe –, konnte die Regel Benedikts nach Rom gelangen, kam von dort aus nach Angelsachsen und wurde schließlich prägend für das christliche Europa. Vielleicht gilt das auch für die kirchlichen Strukturen, die sich aufzulösen beginnen. Ob nicht auch da etwas Neues zum Leben gelangen will, das es so noch nicht gegeben hat und so nicht zu erwarten war? Mit der Kirchenkrise wird sich auch das Priesterbild verändern, es wird neue Zugänge zum Priesteramt geben und damit das Selbstverständnis ein anderes werden.
Die Frau gießt das Öl über Jesu Haupt. Sie salbt ihn, wie der Prophet Samuel den David salbte (vgl. 1 Sam 16,13), wie der Prophet Elija den Elischa salbte (vgl. 1 Kön 19,16) und wie der Hohepriester, die Priester und Leviten gesalbt wurden (vgl. Lev 4,3). Durch ihre Geste erkennt diese Frau die königliche, prophetische und hoheprie-sterliche Sendung Jesu an, die andere ihm absprechen. Wie Petrus, aber ohne Worte, bekennt sie ihn als Christus, als den Messias. Die Worte des Königspsalms 45 klingen an: "Du liebst das Recht und hasst das Unrecht, darum hat Gott, dein Gott, dich gesalbt mit dem Öl der Freude" (45,8).
Diese Salbung in Betanien ist einzigartig, einzigartig der Raum, die Atmosphäre, in der sie geschieht. Und doch sind wir alle mit gemeint, in diesem Einen sind wir alle erwählt: "Ihr seid ein auserwähltes Geschlecht, eine königliche Priesterschaft, ein heiliger Stamm, ein Volk, das sein besonderes Eigentum wurde" (1 Petr 2,9). Priester-
schaft, wie auch das allgemeine Priestertum, ist Teilhabe am Priestertum Christi. Und dieser ist nicht zum Herrschen gesalbt, sondern zum Dienen. Und wehe, wenn wir das vergessen, wenn wir nur die Würde, die Ehre, die Machtfülle einer solchen Sendung sehen! Vielleicht müssen wir alle das Jesus-Wort neu buchstabieren: "Bei euch aber soll es nicht so sein..." (Mk 10,43). Der Knecht – jeder und jede von uns – ist nicht größer als sein Herr!
Die Frau verschwendet ihre ganze Liebe. Klar, dass wieder einige murren, dass sie rechnen, was man mit diesem Öl, mit diesem Geld alles hätte anfangen können. 300 Denare – das Jahreseinkommen eines Arbeiters. Hätte man das Geld nicht für wohltätige, karitative Zwecke verwenden können, anstatt es sinnlos zu verschwenden? Wenn wir ehrlich sind, finden wir solche Gedanken auch in uns, mehr noch, sie müssten doch auch im Sinne Jesu sein, der wie kein anderer die Nächstenliebe propagiert und lebt. Hier stoßen nicht nur Meinungen, sondern auch Lebenshaltungen aufeinander: auf der einen Seite nüchternes, pragmatisches Kalkül, auf der anderen Seite eine Frau, die ein starkes Zeichen setzt, weil sie liebt, weil sie einfühlsam erkennt, was die Stunde geschlagen hat.
Sie erinnert mich an die hl. Scholastika, die Schwester des hl. Benedikt, die nach den Worten Gregors des Großen "mehr vermochte, weil sie mehr liebte" (Dial. II, 33,3) und darum für den erfahrenen Mönchsvater zur Lehrmeisterin wurde.
Ein solches alternatives Handeln ist nicht leicht anzunehmen. Darum werden die anderen "unwillig", darum "fuhren sie die Frau heftig an" (14,4f). Solche unterschwelligen oder offenen Aggressionen zeigen, dass in der Ablehnung noch mehr steckt: Man muss sich selbst schützen, man ist nicht bereit, eine andere Sichtweise zu akzeptieren oder wenigstens zuzulassen. Verlaufen nicht viele unserer Diskussionen so? Steckt nicht viel Angst dahinter, Angst vor dem Fremden und Ungewohnten? Es ist immer ein mühsamer Weg, Neues zu integrieren. Wenn wir in der Kirche, z.B. in der Ökumene oder der Frauenfrage, vorangehen wollen, kommen wir nicht darum herum.
In unserer Geschichte mischt sich nun Jesus ein. Er stellt sich ganz auf die Seite der Frau. Wie gut muss ihr das getan haben, dass sie in Schutz genommen und verteidigt wird - vor allen anderen! Jesus wiederum ist von der Geste der Frau tief berührt, sie ist gleichsam Balsam für ihn: "Sie hat ein gutes Werk an mir getan" (14,6b) - "kalos", ein schönes Werk. Wie Gott bei der Schöpfung "sah, dass es gut (schön) war" (Gen 1,25), so schaut Jesus das Werk der Frau an und nennt es "schön", denn es ist ebenfalls kreativ, schöpferisch, leben-schenkend. Wir spüren den Unterschied: "gut" gehört einer ethischen Kategorie an, "schön" einer ästhetischen. Wir brauchen beides. Doch ist nicht oft die schöne, zweckfreie Seite des Lebens und des Glaubens gegenüber der moralischen Sichtweise zu kurz gekommen? Der Dichterpfarrer Kurt Marti sagt: "Gute Taten geben dem Leben Sinn. Schöne Taten geben dem Leben Glanz". Und ähnlich formuliert es die Dichterin Hilde Domin: "Denn wir essen Brot, aber wir leben vom Glanz." Wir alle brauchen Erfahrungen und Begegnungen, die über das rein Nützliche und Notwendige hinausgehen. Wir leben vom Glanz.
Für Sie als Priester und uns als Ordensleute geht es um ein Tun, das aus einer spirituellen Fundierung erwächst. Das gilt auch für den Pastoralen Weg in unserem Bistum, wenn der Bischof in seinem Hirtenwort schreibt: "Die... Strukturüberlegungen haben nur dann einen Sinn, wenn sie tatsächlich die Folge einer... geistlichen Orientierung sind" (S. 2). D.h. der Weg wächst im Gehen und durch ein Umdenken ("metanoia").
Jesus verteidigt das Tun der Frau. Und dann stellt er es in einen viel größeren Kontext. Er ahnt, was auf ihn zukommt; der Hohe Rat hatte schon den Beschluss gefasst, ihn zu töten (vgl. 14,1). Und so deutet er die Geste der Frau als prophetisches Handeln: Es galt im Voraus meinem Begräbnis (vgl. 14,7f). Durch diese Deutung wird die königlich-priesterliche Salbung nun zum Totenkult, zur Einbalsamierung eines Verstorbenen und gewinnt dadurch eine ganz neue Perspektive, die mit dem Leidensweg Jesu verknüpft ist. Die Frau hat schon das Kommende vorweggenommen, indem sie ihm symbolisch die letzte Ehre erwies.
Dafür stellt Jesus ihr nun das größte Zeugnis aus, das einem Menschen gelten kann: "Amen, ich sage euch: Auf der ganzen Welt, wo das Evangelium verkündet wird, wird man auch erzählen, was sie getan hat, zu ihrem Gedächtnis" (14,9). Jesus spricht hier in Vollmacht und schaut voraus in die Zukunft: An diese Frau und ihre verschwende-
rische Liebe wird man sich künftig immer und überall erinnern. Denn sie hat etwas Bleibendes getan. Ihr Tun war "Evangelium", frohe Botschaft. Es klingt, als ob Jesus uns sagen wollte: Tut dies zu ihrem Gedächtnis! Denn daran werden auch wir gemessen werden, ob wir mit unserem Reden, Handeln und Sein den Menschen innerhalb und außerhalb der Kirche eine gute Nachricht bringen.
Andreas Knapp bringt unsere Szene in seinem Gedicht mit dem etwas provokanten Titel: "Eucharistiefeier einer Frau", unübertroffen ins Wort (in: Heller als Licht, 70):
an einem Abend bevor Jesus ausgeliefert wurde nahm Maria das Gefäß mit Öl zerbrach es salbte seinen Leib und sprach das ist meine Liebe vergossen für dich |
und diese Geste bleibt allen die das Evangelium hören für immer im Gedächtnis
|
Mögen wir auch an diese Frau denken, wenn wir in diesen Tagen das Gedächtnis begehen, das Jesus gestiftet hat.
Verwendete Literatur: