Ja, die Krise hat uns alle in Windeseile erfasst. Noch nie seit Menschengedenken ist in so kurzer Zeit das öffentliche und private Leben – global – ins Wanken gekommen und in allen Bereichen des Lebens so zugespitzt auf den Prüfstand gestellt. Noch nie ist so vieles von dem, was unser alltägliches Leben wie selbstverständlich beinhaltet, auf einmal verwehrt und ins Wanken geraten.
Noch nie vielleicht wie in diesen Tagen spüren angesichts der gemeinsam zu bewältigenden globalen Bedrohung sehr viele Menschen zeitgleich weltweit, wie fragil und frag-würdig Leben – nicht nur menschliches Leben – ist und wir uns dabei auch global hinterfragen müssen, was jede*r Einzelne mit ihrem und seinem Lebensstil dazu beigetragen hat, dass uns eine Krise von solchem Ausmaß in Windeseile alle miteinander erfasst.
Da kommt selbst ein Bundestrainer ins Grübeln, der sich sonst in der Öffentlichkeit nur mit Fußball befasst. „Ich habe das Gefühl“, so bekundete Jogi Löw bei einer Pressekonferenz, bei der es eigentlich nur um die Absage der Europameisterschaft 2020 gehen sollte, „… dass die Welt und vielleicht auch die Erde sich so ein bisschen stemmt und wehrt gegen die Menschen und ihr Tun. Denn der Mensch denkt immer, dass er alles weiß und alles kann und das Tempo, dass wir so in den letzten Jahren vorgegeben haben, war nicht mehr zu ertragen. Macht, Gier, Profit, noch bessere Resultate, Rekorde standen im Vordergrund. Umweltkatastrophen, wie in Australien oder sonstwo, die haben uns nur am Rande berührt.“
Und jetzt, so Jogis Schlussfolgerung, erlebe die Welt gerade ein kollektives Burnout. Man mag diese Wertung für übertrieben halten. Für mich ist es gleichwohl ein starkes Votum, das mir nicht nur Beklemmung bereitet, sondern merkwürdigerweise auch ein gewisses Gefühl von Erleichterung. Das Tempo, die Gier, die Maßlosigkeit, die Überheblichkeit, die Ego-Shooter – sie sind endlich mal ausgebremst!
Und diese Krise birgt vielleicht auch die Chance, global ein neues Gespür zu bekommen für das, was im Leben so kostbar und wertvoll ist: füreinander ganz ohne Konkurrenz und kapitalistischen Wettbewerb einzustehen und Sorge zu tragen, sich selbst zurückzunehmen und das Gemeinwohl des Großen und Ganzen zu bedenken – gerade derjenigen, die jetzt besonders gefährdet und in ihrer Existenz bedroht sind.
Mich bewegt, wie in diesen Tagen nicht nur das Corona-Virus um sich greift sondern gerade im erzwungenen Auf-sich-selbst-geworfen-sein offensichtlich auch eine stille und heilsame Nachdenklichkeit – und wie daraus Kreativität und Humanität erwächst, aufeinander zu achten und sich gegenseitig zu stärken und zu ermutigen.
Es verbietet sich natürlich angesichts der Dimension dieser Krise und der Ungewissheit, wohin sie uns alle führen wird, sie zu romantisieren oder gar verklärend zu überhöhen. Dennoch gestatte ich mir als religiöser Mensch und bete darum, dass sie vielen Menschen – ob religiös oder nicht – auch in spiritueller Hinsicht eine Tür öffnet – sozusagen die Augen des Herzens, die jedem Menschen dank seiner Gottesebenbildlichkeit eigen, in der Unrast des Lebens jedoch oft verklebt sind.
„Halt an, wo laufst du hin? Der Himmel ist in dir. Suchst du Gott anderswo, du fehlst ihn für und für“, dichtete Johannes Scheffler, der sich Angelus Silesius, der schlesische Engel, nannte.
Halt an! – das muss also nicht nur ein Appell der Politik sein, der uns zu Einschränkung und Disziplin in der Krise mahnt. Das kann jetzt auch eine innere Stimme sein, die uns die Gabe und Aufgabe unseres Menschseins und seiner Befähigung zu Mitmenschlichkeit ganz frisch vor Augen hält.
Nein, wir sind nicht verfehlt und verloren – im Gegenteil! Als Christ verstehe ich es so: gerade jetzt ermutigt und ermächtigt uns Gottes Geist, im gemeinschaftlichen Allein- und Füreinanderdasein in Wort und Tat zu bezeugen, wie kostbar das Geheimnis des Lebens ist und es in Gott unverlierbar geborgen ist – egal, was kommen mag.
So wünsche ich Ihnen und allen Menschen weltweit, dass diese Hoffnung, zu der wir berufen sind (cf. 1 Petrus 5), uns beseelt, zu globaler Solidarität ermutigt und wir uns dabei im Sinn von Psalm 121 von dem behütet wissen, der allzeit seine Hände über uns hält.