Kirche soll sich aus der Politik raushalten. Das hör und les ich immer wieder. Und in einer gewisser Weise stimmt es ja auch: Kirche soll natürlich nicht Parteipolitik betreiben, Bischöfe sollen keine Wahlempfehlungen abgeben wie zu früheren Zeiten. Und trotzdem stimmt der Satz auch ganz und gar nicht: Kirche soll sich eben nicht aus der Politik raushalten. Denn erstens besteht die Kirche ja nicht nur aus den Bischöfen – zur Kirche gehört das ganze Kirchenvolk, alle Menschen, die getauft sind, und die sollen sich ja bestimmt nicht alle aus der Politik raushalten. Zweitens aber geht das auch deswegen nicht, weil Kirche eine Botschaft zu verkünden hat. Und die ist voller politischer Bezüge. „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst!" Wie soll ich das denn tun, ohne mich politisch einzusetzen für den Nächsten, der in Not ist, Menschen, die in Armut leben hier und überall auf der Welt?
Christen können sich nicht aus der Politik raushalten. Gerade in der Fastenzeit übrigens wird das besonders klar. Denn Fasten: Das bedeutet für Christen nicht einfach nur: weniger essen, etwas mehr auf sich achten, mehr beten. Fasten wie die Bibel es versteht, das hat ziemlich viel mit Politik und Gesellschaft zu tun. Schon beim Propheten Jesaja, im Alten Testament, ist davon zu lesen. Er regt sich über Leute auf, die sich für fromm halten, aber gleichzeitig ihre Arbeiter ausbeuten oder gegen Menschen mit roher Gewalt vorgehen. Der Prophet Jesaja hat ein anderes Fasten im Sinn. „Das ist ein Fasten, wie ich es liebe", ruft er den Menschen in Gottes Namen zu: „die Fesseln des Unrechts zu lösen, den Hungrigen dein Brot auszuteilen, die obdachlosen Armen ins Haus aufzunehmen." (Jesaja 58,5-7) Das klingt fast wie ein politischer Aufruf, oder? Das Stichwort der Bibel zum Fasten lautet immer wieder: Gerechtigkeit. Darum geht es ganz zentral. Die Welt soll gerechter werden, jeder Mensch soll ein Dach über dem Kopf haben und genug zu essen – das ist das Ziel, christlich gesprochen: Das ist das Reich Gottes, das mit Jesus schon angebrochen ist, hier auf Erden.
„Die Fesseln des Unrechts lösen, den Hungrigen dein Brot austeilen": Wenn ich selbst versuche, das zu leben, in heutiger Zeit, in dieser Fastenzeit: Dann geht das gar nicht, ohne dass ich auch politisch werde. Ich will mich dafür einsetzen, dass die soziale Schere zwischen Arm und Reich in unserem Land nicht noch weiter auseinandergeht. Dass wir nicht noch mehr Tafeln für immer mehr hungrige Menschen brauchen. Ich will mich dafür einsetzen, dass auch die Gerechtigkeit zwischen armen und reichen Ländern auf dieser Welt wächst – indem ich zum Beispiel Kaffee oder Schokolade aus fairem Handel kaufe.
Als Christin darf ich mich nicht politisch raushalten, davon bin ich überzeugt. Ich soll mich gegen Unrecht und Hunger einsetzen. Das ist ein Fasten, wie Gott es liebt.
hr2-kultur, Zuspruch am Morgen, Donnerstag, 9. März 2017
Beate Hirt, Frankfurt