„Wer glaubt, fragt,“ so lautete dieser Tage die Anregung zur Meditation in meinem Stundenbuch. „Wer glaubt, fragt.“ Als ich diesen Satz las, regte sich Widerstand in mir. Ja, wir Menschen sind in das Fragen verliebt. Wir wollen nicht alles fraglos hinnehmen. Aktuell ist das wieder ganz deutlich.
Da werden Fragen über Fragen zur Impfung aufgeworfen. Die Beschränkungen des Lockdowns werden hin und her diskutiert. Gut, Fragen können in besonderen Situationen Zeichen von Sorgen und von ehrlicher Auseinandersetzung sein. Auch gibt es ohne die richtigen Fragen keinen Fortschritt, zumindest nicht in der Wissenschaft.
Doch ich kann mir mit der mir eigenen Skepsis auch selbst im Weg stehen. Wichtige Anliegen können zerredet werden. Und was ich auch nicht unerwähnt lassen möchte: aus welchem Geist werden Fragen gestellt? Damit meine ich in diesen Tagen: wie ist es um das Vertrauen in die Wissenschaft, in die Institutionen des Gesundheitswesens, ja, auch in unser politisches System bestellt? Der Blick über den großen Teich lässt mit Erschrecken sehen, wozu ständige Infragestellung führen kann und in welchem Ausmaß Menschen sich auf falsche Behauptungen verlassen, nur weil diese ihre Überzeugungen und ihre Angst untermauern.
Damit wir uns nicht falsch verstehen: nicht jede wissenschaftliche Aussage, nicht jede politische Entscheidung gilt es fraglos hinzunehmen. Ignatius von Loyola, der Gründer des Jesuitenordens, gibt in seinem weit verbreiteten Exerzitienbuch jedoch einen sehr klugen Rat, indem er schreibt: „dass jeder gute Christ bereitwilliger sein muss, die Aussagen des Nächsten zu retten, als sie zu verurteilen; und wenn er sie nicht retten kann, dann erkundige er sich, wie jener sie versteht, und versteht jener sie schlecht, so verbessere er ihn mit Liebe.“ (EB 22) Das ist etwas anderes als das fraglose Beharren auf der eigenen Meinung, es ist letztlich die gemeinsame Suche nach Wahrheit. Mit Liebe!
„Wer glaubt, der fragt.“ Vielleicht sind wir auch als Glaubende in unserer aufgeklärten Zeit zu sehr in das Fragen, in die Infragestellung verliebt. Ich denke an das Lied im Gotteslob, das mit den programmatischen Worten beginnt „suchen und fragen“. Auch im Glauben gilt, dass wir ohne Fragen nicht weiterkommen. Der sogenannte kindliche Glaube – fragen Kinder einem nicht oftmals Löcher in den Bauch?, aber das ist hier ja nicht gemeint –, trägt nach meiner Erfahrung als Seelsorger oft nicht im erwachsenen Leben. Ich meine damit nicht das tiefe Gottvertrauen, das in der Kindheit hoffentlich grundgelegt wird. Ich meine das Verharren in einer kindlichen Glaubenshaltung, die den Entwicklungen und Einbrüchen des Lebens nicht standhält. Auch der Glaube muss erwachsen werden. Das helfen sicherlich auch unsere Fragen. Doch wir können mit mancher Frage auch dem Glauben, der uns Halt und Orientierung geben will, selbst im Weg stehen. Dann nämlich, wenn wir es im letzten Gott nicht zutrauen, dass er es gut mit uns meint, dass er uns in allem tragen will und dass er uns nicht allein lässt. Es ist etwas anderes ein verlässliches Gegenüber zu befragen, als wenn wir dieses Gegenüber selbst in Frage stellen.
Wir feiern das Fest der Taufe des Herrn. Wir sind selbst getaufte Christinnen und Christen. Unsere eigene Taufe begann mit zweimal drei Fragen, im Kindesalter an unsere Eltern und Paten gerichtet. Wir kennen diese Fragen, denn sie werden jedes Jahr in der Feier der Osternacht als Tauferneuerung an jeden von uns gestellt. Die Reihenfolge ist bereits bedenkenswert. Zuerst wird unsere Entschiedenheit erfragt, allem Bösen zu widersagen damit es keine Macht über uns gewinnt und damit wir in der Freiheit der Kinder Gottes leben können. Erst auf dieser Basis wird unser glaubendes Vertrauen in Gott unseren Schöpfer und Erlöser und an seine bleibende Gegenwart im Heiligen Geist erfragt. Ich denke, das ist markant. Es gilt im Leben immer wieder neu allem, was lebenshinderlich ist, Grenzen zu setzen. Im Letzten heißt das, sich mit Entschiedenheit aller Infragestellung, dass Gott da ist und dass er es gut mit uns meint, mit aller Kraft entgegen zu stellen.
Die Erfahrungen unseres Lebens mögen die Güte Gottes immer wieder zur Frage werden lassen. Entscheidend bleibt aber die Einladung, alles Suchen und Fragen in Gott zu verankern. Daraus kann auch die Kraft erwachsen trotz aller tiefgreifender Sorgen und Ängste in dieses Vertrauen hinein zu wachsen, dass auch Jesus zu Beginn seines öffentlichen Wirkens vom Vater im Himmel zugesprochen wurde: „Du bist mein geliebtes Kind, an dir habe ich Wohlgefallen gefunden.“ Ich wünsche mir, dass ich, dass wir unter diesem Vorzeichen der Liebe Gottes einander begegnen, ehrlichen Fragen nicht ausweichen und einander zutrauen, das Gute und Richtige zu wollen, damit das Leben gelingt.