Stadt, Land, Gotteshaus
Die Pfarrei Heilige Drei Könige am Vogelsberg ist groß. „Wenn unser Pfarrer alle zwölf Kirchen hintereinander abfahren würde, hätte er 120 Kilometer auf dem Tacho“, sagt Michael Krummeich. In der Pfarrei gehört Krummeich zu einer Arbeitsgruppe, die sich um die Kirchen kümmert, die künftig nicht mehr für Gottesdienste genutzt werden sollen. Von den zwölf Kirchen sind das sechs, so wurde es vor der Pfarreigründung entschieden.
An dieser Entscheidung wirkte Michael Krummeich damals nicht mit, dafür setzt er sie nun mit um. Ein Gotteshaus loslassen zu müssen, davon ist er persönlich betroffen. St. Elisabeth in seinem Wohnort Brauerschwend gehört zu den Kirchen, die aufgegeben werden sollen. „Von diesen sechs wurden fünf nach dem Zweiten Weltkrieg von Heimatvertriebenen aus dem Sudetenland gebaut, mit eigenen Händen“, erläutert er. Die Menschen hätten deswegen eine enge Beziehung zu ihren Kirchen. Zwar lebten die Erbauer meist nicht mehr, aber auch die Nachfahren seien den Gotteshäusern sehr verbunden, weiß der Ehrenamtliche und erzählt von Erfahrungen aus der eigenen Familie.
Krummeich kann jedoch auch nachvollziehen, dass Kirchen aufgegeben werden müssen. „Bei uns ist einmal im Monat Gottesdienst. Wenn jedes Mal 50 Mitfeiernde da wären, wäre das noch in Ordnung. Es ist aber schon viel, wenn die Zahl der Gottesdienstbesucher zweistellig ist.“ Für die Gottesdienstgemeinde könnte es vor Ort weitergehen. Krummeich: „Es gibt ein gutes Miteinander mit der evangelischen Gemeinde. Uns wurde angeboten, einmal im Monat in der evangelischen Kirche Gottesdienst zu feiern.“
Für drei der sechs Kirchen gibt es Ideen zu Umnutzung. Eine Kirche könnte in Kooperation mit dem Landkreis für Ausstellungen und Lesungen genutzt, eine weitere mithilfe der Kommune zur Kita umgewandelt werden, berichtet Krummeich. Zudem stehe der Gedanke im Raum, eines der Gotteshäuser als Erinnerungszentrum für die Geschichte der Heimatvertriebenen zu nutzen. Die letzte Option, versichert der Ehrenamtliche, ist der Verkauf. Wenn allein das Gebäude erhalten bliebe, „es zumindest noch zu sehen wäre, damit wäre schon viel geholfen“, meint er. Der Gedanke an einen Abriss aber „zerreißt einem das Herz“. Seine Hoffnungen setzt er auf Fördervereine oder Stiftungen, um damit Gotteshäuser trotz Umnutzung in kirchlicher Hand halten zu können. So könnte für den Erhalt Geld zur Verfügung stehen, unabhängig vom Etat der Pfarrei und des Bistums.
Bürger können Ideen einbringen
Auch in Städten müssen Kirchen aufgegeben werden, auch hier hängen Menschen an ihren Gotteshäusern. Die Gebäude stiften Identität und gehören zum Stadtbild. In Viernheim zum Beispiel sollen drei von vier Kirchen nicht mehr für Gottesdienste genutzt werden. Ursula Scheidel, heute Pfarreiratsvorsitzende der Pfarrei Heiliger Johannes XXIII., hat damals die Entscheidung mit getroffen: „Dass die Apostelkirche Pfarrkirche wird, wurde schon vor Beginn des Pastoralen Wegs diskutiert“, erinnert sie sich. Als größte Kirche direkt im Stadtzentrum bot sie sich dafür an. Die anderen drei Gotteshäuser aufzugeben, sei aber keine leichte Entscheidung gewesen, sagt sie.
Zur Frage der Nachnutzung wird aktuell ein Beteiligungsprozess für alle Bürgerinnen und Bürger der Stadt gestartet. Unter dem Titel „Zukunftsdialog. Vertraute Orte – Neues Leben“ sind im September alle Menschen in Viernheim eingeladen, Ideen zur Kirchenumnutzung einzubringen. Ein Runder Tisch mit rund 30 Personen aus Pfarrei, Politik und Gesellschaft begleitet den
Prozess. Scheidel: „Eigentlich sollte die Gruppe, die sich vor Pfarreigründung um die Gebäudefrage gekümmert hat, die Nachnutzung angehen. Aber es zeigte sich schnell, dass das die Gruppe überforderte.“ Dann sei die Stadt mit dem Vorschlag eines Beteiligungsprozesses auf die Pfarrei zugekommen. „Die Stadt hatte damit gute Erfahrung bei einem Baugebiet gemacht.“
Mit der breiten Beteiligung erhofft sich die Pfarrei Akzeptanz in der Bevölkerung beim Thema. „Auch Menschen, die weniger mit der Kirche zu tun haben, schauen sich die Kirchen an, können sich einen Eindruck verschaffen, wie groß die Gebäude sind und wie viel Aufwand es kostet, sie zu unterhalten“, erläutert sie. Einen konkreten Plan zur Umnutzung hat es bereits gegeben. „Wir wollten die Hildegardkirche an eine Baptistengemeinde übergeben, das ist jedoch gescheitert.“ Es sei nicht einfach, geeignete Möglichkeiten zur Umnutzung zu finden. „Ein Kolumbarium zum Beispiel würde in Viernheim mit zwei Friedhöfen eher wenig Sinn machen“, findet Scheidel. Auch an öffentlichen Räumen mangelt es in der Metropolregion rund um Mannheim nicht. „Bei zwei Konzerthallen in der Nähe bräuchte es wohl keine dritte.“ Zudem fehlt es den Kommunen an Geld. Dennoch hofft Scheidel, dass der Beteiligungsprozess so gute Ideen zu Tage fördert, dass sich Mittel und Wege finden, sie umzusetzen. „Wenn wir dadurch mindestens ein gutes Konzept erreichen würden, wäre schon viel gewonnen.“
„Kirche im Wandel“
Die Veranstaltung mit dem Titel „Kirche im Wandel – (sakrale) Räume anders gestalten“ soll Impulse zur künftigen Gestaltung
von kirchlichen Gebäuden geben: September bis Oktober, mit Ausstellungen, Workshops, Vorträgen in Friedberg, Seeheim, Alzey.
Infos und Anmeldung:
bistummainz.de/kunst-gebaeude-geschichte/
bistummainz.de/kirche-im-wandel/