Vorsorge fürs Seelenheil

Goldborte|Pallium (c) IBD
Goldborte|Pallium
Datum:
Fr. 12. Apr. 2024
Von:
Anja Weiffen/ Glaube und Leben

Vor mehr als 1000 Jahren wirkte er als Erzbischof von Mainz und Abt von Fulda. Die Öffnung seines Sarkophags in der Mainzer Johanniskirche glich einer Sensation. Nun sind die Forschungsergebnisse rund um das Grab von Erkanbald in einem Buch veröffentlicht.

Wer war dieser Mensch?

Am 4. Juni 2019 erblicken in der Kirche St. Johannis in Mainz die sterblichen Überreste eines Menschen das Licht der Welt. „Mindestens 800 Jahre lang war das Grab unberührt“, sagt Guido Faccani. Der Schweizer Archäologe ist Leiter eines einmaligen Forschungsprojekts. Bei Grabungen in dem evangelischen Gotteshaus, einen Steinwurf vom heutigen Dom St. Martin entfernt, wurde 2017 ein Sarkophag gefunden. Zwei Jahre später dann dessen Öffnung: Nicht nur Journalisten verfolgten an jenem Frühsommertag mit Spannung das Geschehen. Unter den zahlreichen Gästen befand sich auch der Mainzer Bischof Peter Kohlgraf. Käme unter dem Steindeckel nun einer seiner Vorgänger im Amt zum Vorschein?

Die Erwartung war groß, im Sarkophag einen hochrangigen Geistlichen zu finden: Erzbischof Erkanbald, gestorben 1021, Nachfolger des Mainzer Erzbischofs und Bistumsheiligen Willigis. Was würden 1000 Jahre von einem Menschen übriglassen? Wer auf eine Mumie gehofft hatte, wurde enttäuscht. Die Wissenschaftler aber hatten Grund zur Freude: Der Sarkophag war nicht leer. Zersetztes Gebein und Reste von liturgischen Gewändern wurden sichtbar. Fünf Monate später rückte das Team um Forschungsleiter Faccani heraus mit der wissenschaftlich belegbaren Nachricht: Es ist Erkanbald.

Wer war dieser Mensch? Sein Name dürfte vielen bis dahin unbekannt gewesen sein. Die naturwissenschaftlichen Befunde zeigen: Erkanbald starb im Alter zwischen 40 und 60 Jahren. Er hatte Normalgewicht, litt wohl an Morbus Bechterew und Fußgicht. Guido Faccani skizziert Erkanbald so: „Er war Mönch, Abt von Fulda, sicher ein Mann aus gutem Hause und ein treuer Diener des damaligen Königs Heinrich II.“ Die Ergebnisse der Sarkophag-Öffnung hat Faccani als Herausgeber im Buch „Das Grab von Erzbischof Erkanbald (+1021)“ zusammengefasst.

Neben einer Baustelle begraben

Erkanbald war in der damaligen Kirchen-Elite kein Unbekannter: Abt eines Reichsklosters und verwandt mit Bernward, Bischof von Hildesheim. Einen Monat nach Willigis Tod weihte Bernward seinen Verwandten zum Bischof des Erzbistums Mainz. Bernward wollte so die Schlichtung eines Streits verstetigen, der zwischen den Diözesen Hildesheim und Mainz um ein Stift entbrannt war. Im Buch beschreibt ein Beitrag von Ernst-Dieter Hehl das Leben Erkanbalds. Der Erzbischof war auf Ausgleich bedacht, zumindest den besagten Streit fachte er nicht neu an.

Bemerkenswert ist Erkanbalds Wahl der Grabstätte. „Er ließ sich direkt neben einer Baustelle beisetzen“, darauf verweist Forschungsleiter Faccani. Inzwischen gilt es als sicher, dass die Johanniskirche die erste Kathedrale von Mainz ist. In direkter Nähe baute Erkanbalds Vorgänger Willigis eine neue Bischofskirche, dort, wo heute der Dom St. Martin steht. Unmittelbar vor der Weihe brannte der Neubau ab, der Wiederaufbau dauerte Jahrzehnte. Willigis hinterließ Erkanbald zwei Kathedralen: Eine, deren Zeit als Amtskirche ablaufen würde, sowie eine im Bau. Bischöfe setzten damals mit der Wahl ihrer Grabstätten nicht unbedingt ein kirchenpolitisches Statement. Ihnen ging es an Ort und Stelle um das dauerhafte Gebet für ihr Seelenheil. Willigis sicherte sich dieses dadurch, dass er sich in der eigens errichteten Kirche St. Stephan am Stadtrand bestatten ließ. Dem Erbauer einer Kirche würde man sich stets verpflichtet fühlen. Erkanbald entschied anders. „Erstmals ließ sich in Mainz ein Erzbischof im Zentrum der Stadt beisetzen“, erklärt Faccani. Auch die Nähe zu den Reliquien im Altar von St. Johannis war attraktiv. „Johannes der Täufer sollte Erkanbald am Jüngsten Tag als Fürsprecher dienen“, nennt Faccani ein mögliches Motiv der Ortswahl. Erkanbald blieb der einzige Erzbischof mit Grab in St. Johannis. Dort wurde weiter gebetet: Der alte Dom wandelte sich zur Stiftskirche.

Am 25. Juni 2019 wurde Erkanbalds Sarkophag wieder verschlossen. Für die Öffentlichkeit ist das Grab in St. Johannis samstags von 11.30 bis 15.30 Uhr und sonntags von 15 bis 17 Uhr zugänglich. Durch die Entdeckung seines Sarkophags wurde für Erkanbald ein Ziel erreicht: das Gedenken seiner Person weit über die eigene Epoche hinaus. www.mainz-alter-dom.de

 

Tipp

Das Buch „Das Grab von Erzbischof Erkanbald (+1021). Erforschung einer Sarkophagbestattung in der ehemaligen Mainzer Kathedrale St. Johannis“ ist im Verlag Schnell + Steiner erschienen. Die Neuerscheinung, herausgegeben von Guido Faccani, ist im Buchhandel erhältlich und kostet 20 Euro.

Diesen Artikel und noch viel mehr lesen Sie in der neuesten Ausgabe von Glaube und Leben vom 14. April 2024.  Gibt's was Neues bei Ihnen, lassen Sie es uns wissen! Anruf – 06131 253-451 oder E-Mail: RedaktionFML@bistumspresse.de

Bilder der Fundstelle

Fr. 12. Apr. 2024
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Der Sarkophag vor und direkt nach der Öffnung. Gefunden wurde auch die Goldborte eines Palliums. Ein Pallium ist eine Woll-Stola, die Erzbischöfen verliehen wird.

„Einer der tollsten Momente im Leben eines Archäologen“

Herr Faccani, seit mindestens fünf Jahren dreht sich bei Ihnen vieles um Erzbischof Erkanbald. Haben Sie sich gedanklich ein Bild von ihm gemacht? Ist er Ihnen sympathisch?

Es gibt eine wissenschaftliche Ebene, auf der ich mich mit Erkanbald beschäftige, und eine Humor-Ebene – beim Arbeiten habe ich ihm manchmal einen „Guten Tag“ gewünscht – aber keine ernsthafte Bezugsebene. Ich habe nicht nach Erkanbald gesucht. Es ging ursprünglich darum, in St. Johannis einen Fußboden aus dem 13. Jahrhundert freizulegen. Dann wurde der Sarkophag entdeckt. Die Möglichkeit bestand, dass darin Erkanbald liegt. Ich dachte zuerst: Die zusätzliche Aufgabe einer Sarkophag-Öffnung brauche ich gerade jetzt eigentlich nicht. Dann aber packte mich die Faktenermittlung um den Beweis dieser Hypothese.

Hatten Sie wegen der Totenruhe Bedenken, den Sarkophag zu öffnen?

Nein. Die gesetzliche Totenruhe endet nach circa 25 Jahren, in einer Gruft nach rund 50 Jahren. Wir arbeiten nach archäologischen Fragestellungen und Methoden, wir wollen aufzeigen, wie die Welt früher aussah. Wir haben die Öffnung solange hinausgeschoben, bis genügend Indizien auf Erkanbald hinwiesen.

Was war Ihr Aha-Erlebnis während der Forschung?

Dass es wirklich Erkanbald ist. Das war ein starker Moment. Einer der tollsten im Leben eines Archäologen! Auch, als wir herausfanden, wie die Westkrypta in St. Johannis gestaltet ist, die älteste Krypta von Mainz. Dieser Moment war durchaus vergleichbar mit dem erstgenannten. Drittens: Die Erkenntnis, dass große Teile der heutigen Kirche zum ottonischen Bau von St. Johannis aus der Zeit um 1000 gehören dürften, erbaut von Erzbischof Willigis, dem Vorgänger Erkanbalds. Willigis, unter anderem Gründer des heutigen Doms, hat gebaut und gebaut und damit die Kassen seines Bistums geleert.

Am Forschungsprojekt haben sich mehrere wissenschaftliche Disziplinen und zwei Konfessionen beteiligt. Was braucht es für eine gute Kooperation?

So eine Arbeit ist unglaublich bereichernd. Die Forschungen zu Erkanbalds Gewändern etwa fand ichhochspannend. Für eine gute Kooperation braucht es dasselbe Ziel, durchaus unterschiedlich motiviert. Wir alle wollten wissen, ob sich wirklich Erkanbald im Sarkophag befindet. Es brauchte zudem eine gute Koordination der Eingriffe. Konfessionen – ich selbst bin praktizierender Katholik – spielen bei der Arbeit keine Rolle. Aber ich fand es schön, dass evangelische und katholische Christen bei dem Projekt zusammengearbeitet haben.

Interview: Anja Weiffen

 

Guido Faccani, Archäologe und Kunsthistoriker, leitet seit 2015 die Forschungen in St. Johannis in Mainz. (c) Gerhard Fleischer
Guido Faccani, Archäologe und Kunsthistoriker, leitet seit 2015 die Forschungen in St. Johannis in Mainz.