Historische Kirchenbauten sind nicht nur Zeugnisse abend-ländischer Kunst- und Kulturgeschichte, sie spiegeln auch in anschaulicher Weise das Wachsen und Werden der einzelnen Gemeinden wider. Sie geben Auskunft über die sozialen, wirt-schaftlichen und religiösen Verhältnisse und gewähren Einblick in die Entwicklung ortsgebundener Frömmigkeit und Tradition. Die Kirche hat den Wert und die Bedeutung dieser Denkmäler und ihrer Ausstattung als elementare Identifikationspunkte der Gemeinden längst erkannt. Sie betrachtet daher die Pflege ihrer historischen Gotteshäuser und deren Ausstattung als eine wichtige Aufgabe und bemüht sich nach Kräften um deren Instandhaltung.
Doch Kirchen sind nicht nur Kunst- und Kulturdenkmäler. Vorrangig dienen sie den besonderen Aufgaben des Gottes-dienstes und der Seelsorge. Die damit verbundenen spez-ifischen Anforderungen müssen angemessen berücksichtigt werden. Die kirchliche Denkmalpflege bemüht sich, dem Denkmal innerhalb der Gemeinde ebenso gerecht zu werden wie den liturgischen Erfordernissen des Gotteshauses.
Die kirchliche Denkmalpflege muss bei ihrer Arbeit stets zwei Aspekte berücksichtigen. Zum einen den historischen und künstlerischen Wert eines Denkmals und zum andern dessen praktische Nutzung durch die Gemeinde. Das Gotteshaus als benutzbarer Raum soll zuerst für den Menschen da sein und ihm die Begegnung mit Gott ermöglichen. In seiner Eigenschaft als Denkmal besitzt der Kirchenbau darüberhinaus identitätsstiftende und traditionswahrende Funktionen, die es im Hinblick auf nachfolgende Generationen zu erhalten gilt. Ein ausgewogenes und verantwortungsbewusstes denkmalpflegerisches Konzept enthält daher Maßnahmen, die stets individuell auf den jeweiligen Kirchenbau oder das Einzelobjekt (Skulpturen, Ausstattungsstücke, Geräte etc.) zugeschnitten sind.
Rekonstruktion einer historischen Raumfassung
Die katholische Pfarrkirche St. Martin in Ober-Olm ist ein qualitätvolles neugotisches Bauwerk. Die ehemals reiche Ausmalung war lange Zeit nicht zu sehen, denn bei der letzten Innenrenovierung in den frühen 70er Jahren des 20. Jahrhunderts wurde sie mit einer Dispersionsfarbe weiß überstrichen. Der Raumeindruck war dementsprechend kalt und abweisend und entsprach in keiner Weise der architektonischen Qualität des Kirchenbaus. Als sich 1995 die Pfarrei zu einer neuen Innenraumgestaltung entschloss, veranlasste die kirchliche Denkmalpflege restauratorische Untersuchungen. Diese ergaben, dass der Anstrich des 19. Jahrhunderts noch weitgehend vorhanden war, aber so stark beschädigt, dass eine Freilegung der Malereien nicht möglich gewesen wäre. Für die Gemeinde bedeutete eine Wiederherstellung der alten ornamentalen Ausmalung einerseits einen erheblich angenehmeren Raumeindruck andererseits aber auch die Rückbindung an die Geschichte "ihrer" Pfarrkirche. Die Entscheidung der kirchlichen Denkmalpflege für eine Rekonstruktion des historischen Zustandes war im Falle von St. Martin die richtige, da man sich bei der farblichen Gestaltung an die originalen Befunde halten konnte und die ornamentalen Formen zudem durch alte Fotodokumente gesichert vorlagen. Dem heutigen Besucher präsentiert sich der Innenraum von St. Martin wieder in seiner prächtigen Farbigkeit mit partiellen Vergoldungen, und der reichen ornamentalen Gestaltung ganz im Sinne der Neugotik des 19. Jahrhunderts.
Außensanierung
Zwischen 1999 und 2003 führte die kirchliche Denkmalpflege am Außenbau der ehemaligen Stiftskirche St. Paul in Worms - einem überregional bedeutenden Bauwerk, das kurz nach 1000 von Bischof Burchard gegründet wurde - restauratorische Maßnahmen durch. Die beiden Flankentürme des Westbaus waren im Laufe der Zeit ihres Verputzes verlustig gegangen und sollten nun wieder einen neuen Außenputz erhalten. Die eigentümlich gestalteten Tuffsteinkuppeln wiesen dagegen eine zementgebundene Putzschale auf - ein Überbleibsel früherer "restauratorischer" Eingriffe - die sich jedoch negativ auf die Bausubstanz auswirkte. Diese musste zunächst entfernt werden, bevor ein neuer verträglicher Kalkputz aufgebracht werden konnte. Im Zuge dieser Außensanierung wurden zudem umfangreiche dendrochronologische Untersuchungen der hölzernen Kuppelkonstruktion vorgenommen, die überraschende Ergebnisse zur bislang umstrit-tenen Datierung der orientalisch anmutenden Turmhelme erbrachten. Die Forschungen von Dom- und Diözesankonservator Dr. Hans Jürgen Kotzur, die die historischen Fakten und die neu gewonnenen naturwissenschaftlich abgesicherten Daten zusammenbringen, bieten eine überzeugende Lösung des Rätsels um die sogenannten „Heidentürme“. Diese an verschiedenen Kirchen in Rheinhessen zu beobachtenden Turmhelme entstanden offenbar unmittelbar nach dem ersten Kreuzzug - vermutlich als lebendiges Abbild der Grabeskirche in Jerusalem.
Neue Raumfassung
Das westliche Langhaus der Pfarrkirche von Bingen-Büdesheim wurde 1756 errichtet, während der basilikale Ostbau einer Maßnahme zur Vergrößerung des Kirchenraumes im Jahre 1865 zu verdanken ist. Im Zusammenspiel dieser beiden aus verschiedenen Epochen stammenden Architekturen entstand eine eindrucksvolle Anlage mit imposantem Innenraum. Die ehemals überaus reiche ornamentale und figürliche neoromanische Ausmalung wurde im Zuge zweier Renovierungsmaßnahmen 1953 und 1973 mit Dispersionsfarbe übertüncht. Seither bot der Innenraum einen kalten und leeren Eindruck und die Architektur erhielt einen völlig veränderten Charakter. Die Rekonstruktion des Originalzustands bot sich in diesem Falle nicht an. Ob aus Mangel an brauchbaren Befunden oder begrenzten finanziellen Mitteln, muss häufig auf alternative denkmalpflegerische Maßnahmen zurückgegriffen werden. Bei der Neufassung des Innenraumes entschied man sich daher für die Nachempfindung eines historischen Raumeindrucks, der aber nicht den Versuch einer Nachahmung oder gar Rekonstruktion macht: Die Wände erhielten eine mit dem Schwamm aufgetragene gemalte Quaderung in einem warmen Rötelton, der sich bewusst von historischen Vorbildern unterscheidet, dabei aber das alte Gliederungssystem von Langhaus und Chor wieder optisch plausibel vermittelt. Als Reminiszenz an die ursprünglich ornamentale Raumfassung erhielt der Hintergrund der Tabernakelstele eine Teppichmalerei, wohingegen die Nischenwand hinter dem Taufbecken durch eine Wandmalerei aus heutiger Zeit bereichert wurde. Durch den ausgewogenen Einsatz von historisch anmutenden und modernen Gestaltungselementen wurde in St. Aureus und Justina ein formalästhetisch höchst überzeugender Innenraum geschaffen.
Komplette Neuausmalung eines Innenraums
Beschränkte sich die Neugestaltung in Steinheim nur auf den Chorbereich, so wurde in der Ludwigskirche in Darmstadt der gesamte Innenraum völlig neu ausgemalt. Der ursprünglich klassizistische Rundbau des frühen 19. Jahrhunderts, der nach den Bombardements des 2. Weltkriegs weitgehend zerstört wurde, war in der Nachkriegszeit wiederaufgebaut und mit einer Ausstattung der 50er Jahre versehen worden. Die bisherige Farbigkeit im Innern war durch helle Grautöne bestimmt, die den riesigen Raum unter der weitgespannten Kuppel karg und abweisend wirken ließen. Eine notwendig gewordene Innenrenovierung bot die Gelegenheit, mit einer neuen farbigen Raumfassung alle architektonischen Teile optisch zusammenzubinden und den Raumeindruck wesentlich zu verbessern. Das neue Gestaltungskonzept setzt die Kuppel in ein kräftiges Blau, das nach oben hin immer lichter wird, wodurch sie an Plastizität gewinnt. Die Wände des Umgangs wurden in einem Rotton gestrichen, der sich von den grau marmorierten Säulen deutlich absetzt. Dadurch wird die Umgangswand als Raumabschluss kenntlich und die Zweischaligkeit des Zentralbaus betont. Die neue Ausmalung manifestiert sich als Kunstwerk des 21. Jahrhunderts, ohne Grundprinzipien des Klassizismus zu verletzen. Die in der Architektur angelegte Pracht und Festlichkeit wird nun auch im Inneren von St. Ludwig erfahrbar.
Moderne christliche Kunst im Kirchenraum
Die stattliche Pfarrkirche „Maria Hilfe der Christen“ in Steinheim ist ein Bau der 30er Jahre des 20. Jahrhunderts. Sie wurde 1931-1940, mit einer Bauunterbrechung, nach den Plänen der Offenbacher Architekten Karl Müller und Fritz Bossert errichtet. Wirkungsvoll erhebt sich die aus Basaltbruchsteinen gemauerte Architektur, deren mächtiges Mittelschiff von zwei schmalen gangartigen Seitenschiffen begleitet wird. Der zurückhaltenden Gestaltung am Außenbau entspricht der einfache, mit einer Holztonne gedeckte Innenraum, der lediglich vom Kontrast zwischen Holzteilen und verputzten, einfarbig gestrichenen Wänden lebt. Erst in der Nachkriegszeit wurde der Chor mit einer Darstellung des thronenden Christus ausgemalt. Nach einer Außensanierung wurde im Jahre 2000/2001 auch der Innenraum umfassend renoviert. Dabei galt es für die kirchliche Denkmalpflege eine gestalterische Lösung für die formalästhetisch höchst unbefriedigende Chorwand zu finden. Die Entscheidung fiel zugunsten eines groß dimensionierten Wandgemäldes (114m²) mit der Darstellung eines Christus Pantokrator, flankiert von Maria und Johannes dem Täufer (Deesis). In bemerkenswerter Weise realisierte die Darmstädter Künstlerin Wanda Stockwisz in dem die ganze Chorwand ausfüllenden Apsisgemälde ihre Interpretation byzantinischer Vorbilder. Die im Chorbild dominanten Farben Rot und Gold setzen sich auf dem Triumphbogen fort und fokussieren den Blick des Besuchers auf das liturgische Zentrum, das zudem um neue Ausstattungsstücke bereichert wurde. Das Ergebnis dieser Innenrenovierung ist ein eindrucksvoller und feierlicher Raum.
Die Diözese Mainz hat sich der Aufgabe gestellt, das Kunstgut ihrer Kirchen und Pfarreien zu inventarisieren. Damit kommt sie der Forderung des Zweiten Vatikanischen Konzils über die Cura patrimonii historico-artistici nach. Papst Johannes Paul II. hat 1989 die Sorge um die Erhaltung des künstlerischen und historischen Erbes durch die Einrichtung einer päpstlichen Kommission nachdrücklich bekräftigt. In der Diözese Mainz liegt das Projekt der Inventarisierung in den Händen der Kirchlichen Denkmalpflege.
Die Inventare der Kunstdenkmäler zielen auf eine möglichst vollständige Erfassung der kirchlichen Kunst- und Kulturgüter. Denn all die Kunstgegenstände, die eine Gemeinde über Jahre und Jahrhunderte angeschafft und zusammengetragen hat, sind historische Zeugnisse des Glaubens. In ihnen spiegelt sich die Identität einer Gemeinde und der Kirche selbst. Sie erzählen von einem Kontinuum über alle Umbrüche und Widrigkeiten hinweg. Die Inventarisation hilft, diesen historischen Besitzstand der Kirchen zu kennen und zu bewahren. Es geht dabei nicht allein um die Sicherung von Eigentum. Wesentlich ist es, die Kunstwerke ihrer eigentlichen Bestimmung zu erhalten, nämlich in Liturgie und Katechese der christlichen Botschaft zu dienen
In den Inventaren bilden die Ausstattungsstücke der Kirchen das Gros der auf-genommenen Objekte. Komplexe Kirchenmöbel wie ein Hochaltarretabel werden in ihrer Gesamtheit gewürdigt, die einzelnen Teile, das Altarblatt oder die eingestellten Skulpturen werden zudem separat aufgenommen. Dadurch ist eine umfassende Dokumentation gewährleistet. Ein weiteres Augenmerk wird auf das sakrale Gerät gelegt, die Monstranzen, Kelche und Ziborien aber auch die Objekte, die nicht in direktem Kontakt mit der geweihten Hostie stehen. Schließlich sind auch solche Stücke in das Inventar aufgenommen, die nicht mehr aktiv verwendet und die auf Dachböden oder in Kellern verwahrt werden.
Jedes Objekt wird durch eine kurze Beschreibung und die zeitliche Einordnung sowie durch Angaben zu Material, Größe und Erhaltungszustand registriert. Neu angefertigte Fotografien ergänzen diese Angaben. Die Datensätze werden bei der Kirchlichen Denkmalpflege gespeichert. Das Inventar wird in gebundener Form der Kirchengemeinde übergeben.
Die Kirchliche Denkmalpflege unterhält ein Depot, in dem Kunstwerke und Ausstattungsstücke aus den Kirchen des Bistums sachgerecht aufbewahrt und erhalten werden. Altäre, Kirchenmöbel, Skulpturen und andere Gegenstände, die in einer Kirchengemeinde keine Verwendung mehr finden, in ihrer Substanz aber erhaltenswert sind, können hier eingelagert werden.
Neu aufgenommene Gegenstände werden von der Kirchlichen Denkmalpflege inventarisiert, fotographisch erfasst und ge-sichert. Die Kirchliche Denkmalpflege ist bemüht, die eingelagerten Gegenstände nach eingehender Prüfung der Vor-aussetzungen an interessierte Kirchengemeinden des Bistums zu vermitteln und sie somit ihrer ursprünglichen Bestimmung wieder zuzuführen.
Voraussetzung zur Aufnahme in das Depot ist das Einverständnis der abgebenden Kirchengemeinde, ihr Eigentumsrecht an den Objekten der Diözese zu übertragen. Dadurch wird der bürokratische Aufwand bei einer möglichen Weitervermittlung reduziert. Die Kosten für eine Restaurierung der Stücke sowie der Transport werden bei einer Wieder-verwendung der aufnehmenden Gemeinde in Rechnung gestellt.
Durch die Arbeit des Depots ist es der Kirchlichen Denkmalpflege bereits vielfach gelungen, kirchliche Ausstattungsstücke nicht nur zu erhalten und die abgebende Gemeinde zu entlasten, sondern auch Objekte an einem anderen Ort, und für die neue Gemeinde oft kostengünstig, ihrer eigentlichen Aufgabe gemäß wieder einzusetzen.