Auch wenn der Himmel anderswo mal grau ist, in Stockheim am Glauberg ist er immer blau – genauer gesagt, in der Pfarrkirche St. Judas Thaddäus. Betritt man das von außen unscheinbare Gebäude, wölbt sich innen überraschend eine Decke in intensiven Blautönen über die Besucher. In einer leuchtenden Aura erscheinen Christus und seine Apostel, und mächtige Engel blasen in ihre ultra-langen Trompeten, um die Toten in ihren Gräbern aufzuwecken.
Als den Katholiken im Herzen der Wetterau vor fast 100 Jahren endlich der Bau einer eigenen Kirche in Stockheim ermöglicht worden war, orientierten sich Architekt, Bildhauer, Glaskünstler und Kirchenmaler am damals „neuesten Schrei“ der Baukunst: dem Art Déco, einer Weiterentwicklung des Jugendstils. Die Kirche in Stockheim, 1927 eingeweiht, ist so stilrein, dass sie 2008 mit dem „Blauen Schild“ als Kunstdenkmal von nationalem Rang ausgezeichnet worden ist.
Fast wäre dieser Schatz allerdings verloren gegangen. In den 1960er Jahren, als sich der Geschmack geändert hatte, waren die Innenwände weiß übertüncht und die Ausstattungsteile weggeräumt worden. Dreißig Jahre später entdeckte die Restauratorin Gisela Spruck vom nahegelegenen Hofgut Leustadt den halbverrotteten Holz-Altar im Keller und restaurierte ihn fachgerecht. Und dann entdeckte man unter der weißen Tünche auch die originalen Deckenmalereien wieder und legte sie bis 1996 frei. So werden Besucher der Kirche heute erneut von den farbprächtigen Himmelserscheinungen und im Altarraum vom Apostel Judas Thaddäus, begleitet vom hl. Petrus Canisius und vom hl. Bonifatius auf den Altarflügeln, in Empfang genommen.
Die Erbauer von St. Judas Thaddäus:
Architekt: Rudolf Breuer, Bildhauer: Paul Seiler, Maler: Reinhold Schön, Glaskunst: Bernhard Kraus
Glauburg-Stockheim ist sehr gut an den Regionalverkehr der Bahn z.B. Richtung Frankfurt/ Bad Vilbel, Gießen oder Gelnhausen angeschlossen.
St. Judas Thaddäus, Sudetenstraße 3, 63695 Glauburg-Stockheim
//Die Pfarrkirche ist tagsüber geöffnet. Parkplätze an der Kirche oder via Bahnübergang am Bahnhof.
Gen Norden, wenige Autominuten von Stockheim entfernt, lockt das Mittelalter in Konradsdorf. Man kann diese Zeitreise natürlich auch zu Fuß unternehmen, bei einer kleinen Wanderung (Hinweg reine Gehzeit ca. 50 Minuten) über die Wiesen und Auen des Niddertals: zunächst in einem Bogen auf dem Vulkanradweg, der direkt an der Art-Déco-Kirche vorbeiführt (Achtung auf die Radfahrer), dann nach linker Abzweigung eines Wanderwegs und Überquerung der Nidder im Zickzack über Wiesenwege, vorbei an Effolderbach, schließlich eine kurze Strecke auf einem eigenen Fußweg entlang der Landstraße nach Selters (siehe Karte).
Die Nidderauen sind naturgeschützt: Während der Brutsaison klappern, staksen und stochern hier die Störche, Info-Tafeln erklären Flora und Fauna, und Aussichtshütten gewähren sicheren Ausblick auf weidende Auerochsen und anderes Getier.
Konradsdorf grüßt von seinem Hang schon von weitem über die Wiesen. Vor einem Jahrtausend stand hier eine Burgsiedlung mit Kirche. Ende des 12. Jahrhunderts wurde auf deren Fundamenten dann ein kleines Nonnenkloster mit Basilika gebaut. Es gehörte zum Besitz des Erzbischofs von Mainz. Bewohnt wurde es von Prämonstratenserinnen, bis das Kloster 1581 in Folge der Reformation säkularisiert wurde. Das landwirtschaftliche Hofgut arbeitete weiter. Es gehört jetzt dem Land Hessen und wird vom Pächter als Bio-Hof betrieben.
Der idyllische Innenhof von Konradsdorf lädt zu einer Rast ein: Im Hofladen und Café „Kleeblatt“ kann man Bio-Produkte erwerben und sich bewirten lassen. Kinder erfreuen sich an einem abwechslungsreichen Spielplatz unter Bäumen. Direkt daneben erheben sich die Ruinen von Klosterkirche und Propstei. Sie werden derzeit von der Verwaltung der Hessischen Schlösser und Gärten archäologisch untersucht und umfassend renoviert. Deshalb ist das Gesamtbild durch Bauzäune und Baugerät in diesen Jahren etwas beeinträchtigt. Aber man ahnt schon, wie attraktiv dieses Ensemble aus Klosterruinen und Hofgut bald einmal sein wird!
Domäne Konradsdorf mit Hofladen und Café „Kleeblatt“
//Achtung: Hofladen und Café sind sonntags und montags geschlossen; der Innenhof ist trotzdem zugänglich.
Wanderer, die nicht denselben Weg nach Stockheim zurückgehen möchten, können einen alternativen Rückweg (ca. 75 Minuten Gehzeit) über Effolderbach nehmen und zum Abschluss einen Blick auf den malerischen Hof Leustadt werfen. Er liegt an einer Landstraße 1 km westlich von Stockheim. Am südlichen Ortsende von Effolderbach ist am Bahnübergang der Fußweg ausgeschildert (siehe Karte).
Leustadt war früher ein Wasserschloss, das um den zentralen Turm aus karolingischer Zeit (8. Jh.) gewachsen ist. Dazu gehörte ein kleines Dorf. Die Hofkapelle des Schlosses diente nach der Reformation den wenigen Katholiken der Region als Kirchort. Nachdem die baufällige Kapelle 1753 ersatzlos abgebrochen worden war, sehnten sich die Gläubigen nach einer eigenen Kirche – ein Wunsch, der erst im 20. Jahrhundert mit der Art-Déco-Kirche in Stockheim erfüllt wurde.
Das Burgschloss von Leustadt wurde von seiner Besitzerin und Bewohnerin, der gelernten Restauratorin Gisela Spruck (geb. 1925), vorbildlich restauriert und trägt wie die Kirche St. Judas Thaddäus das „Blaue Schild“ als bedeutendes Kunstdenkmal. Leider kann es nicht besichtigt werden. Aber vom Hoftor an der Landstraße hat man einen guten Blick auf dieses Märchenschloss inmitten seiner Gärten und Felder.
Der Weg zurück nach Stockheim führt zunächst 200 Meter ohne Fußweg an der Landstraße entlang. Ab Überquerung der Nidder wird die Landstraße rechterhand wieder von einem Weg begleitet, und dann geht es nach Süden am Ortsrand von Stockheim entlang bis zum Bahnübergang am Bahnhof (siehe Karte).