„Gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört und Gott, was Gott gehört“ – mit dieser genialen und pfiffigen Antwort zieht sich Jesus aus der Affäre. Die Pharisäer und die Herodes-Anhänger wollten ihm eine Falle stellen mit der Frage, ob das Zahlen der kaiserlichen Steuer erlaubt sei. Denn das war eine knifflige Sache: mit dem Zahlen der Steuer erkennt der fromme Jude an, dass ein Fremder, ein Heide, nämlich der römische Kaiser der oberste Herr ist. Und dieser Kaiser tritt auch noch auf mit dem Anspruch, von der „vergöttlichte Erhabene“, ja von göttlicher Abstammung zu sein. Genau das stand auch unter dem Bild des Kaisers auf der Steuermünze. Für jeden frommen Juden war das Gotteslästerung. Wenn also Jesus erlaubt, Steuer zu zahlen, ist er ein Gotteslästerer und man hat endlich den lange gesuchten Vorwand, um ihn aus dem Weg zu schaffen. Wenn er aber die kaiserliche Steuer ablehnt, dann lehnt er sich gegen die römische Besatzungsmacht auf, ist ein Aufrührer und man hat ebenso einen guten Grund, ihn bei der Besatzungsmacht anzuzeigen und von den Römern aus dem Weg schaffen zu lassen. Eine Zwickmühle also.
Jesus durchschaut dieses Spiel und mit seiner Antwort stellt er die Fragenden bloß. Die Antwort ist klar und zugleich unangreifbar: „Gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gehört und Gott, was Gott gehört!“
Bei näherem Zusehen aber muss man sagen, mit dieser Antwort stellt Jesus uns, seine Jünger, in ein Dilemma, mit dem wir bis heute ringen. Die Kirche ist nicht einfach eine Gegengesellschaft zum Staat, zur weltlichen Ordnung mit eigenen Gesetzen und Regeln. Vielmehr leben wir als Christen mitten in der Gesellschaft und sind den Gesetzen des Staates unterworfen und verpflichtet, wie jeder andere auch. Als in der Corona-Pandemie alles runtergefahren und auch die Gottesdienste untersagt wurden, haben wir das schmerzlich gespürt. Zumal man uns deutlich gesagt hat, dass wir nicht zu den „systemrelevanten“ Institutionen gehören. Zugleich aber sind wir immer auch und zuerst Gott und seinem Evangelium verpflichtet, und das kennt ganz eigene Gesetze und Maßstäbe, die nicht immer mit den Regeln des Staates übereinstimmen. Was ist also zu tun, wenn es zum Konflikt kommt? Was ist zu tun, wenn die Gesetze des Staates dem Buchstaben und dem Geist des Evangeliums entgegenstehen? Ist es erlaubt, den Gesetzen des Staates zu gehorchen, wenn sie nicht dem entsprechen, was Jesus gelehrt hat?
Das ist eine Frage, die aktuell ist und immer aktueller werden wird, je stärker unsere Gesellschaft sich vom Christentum entfernt. Da ist etwa die Frage der Schwangerenberatung: das staatliche Gesetz sieht vor, dass eine Abtreibung straffrei bleibt, wenn vorher eine Beratung stattgefunden hat. Für jeden Christen aber ist Abtreibung Tötung von Leben und kann niemals als erlaubt angesehen werden. Darf die sich die Kirche in dieser Situation einbinden lassen in das System der Schwangerenberatung? Das ist im Grunde dieselbe Frage, wie sie die Pharisäer Jesus stellen. Darum haben wir auch in der Kirche heftig gerungen. Oder ganz aktuell: die Frage der aktiven Sterbehilfe. Immer mehr Menschen, auch Christen, fordern ein Recht, ihrem Leben ein Ende machen zu können, auch mit ärztlicher Hilfe, wenn sie das Gefühl haben, es sei nicht mehr lebenswert. Aber: „Du sollst nicht töten!“ gilt auch für das eigene Leben. Keiner hat das Recht, das Ende seines Lebens zu bestimmen und damit Gott ins Handwerk zu pfuschen. Was aber, wenn der Staat künftig einen Arzt verpflichtet, so etwas zu tun, selbst wenn es gegen seinen Glauben, sein Gewissen, seine Überzeugung ist?
Das Grundproblem ist: Wir leben als Christen mitten in der Welt und sind doch ausgerichtet auf eine andere Welt, auf das Reich Gottes. Wann sind wir den Gesetzen dieser Welt verpflichtet und wann den Gesetzen des Reiches Gottes? Wo ist es angesagt, dem Kaiser zu geben, was ihm gehört, und wo müssen wir Gott geben, was Gott gehört? Wo ist im Konfliktfall die Grenze, an der wir Christen nicht mehr dem Kaiser, dem Staat, den staatlichen Gesetzen gehorchen dürfen?
In diesen Tagen und Wochen wird immer viel an die Ereignisse in unserem Land vor 30 Jahren erinnert, als das Unrechtssystem der DDR zerbrach und die deutsche Einheit wiederhergestellt wurde. Es waren nicht zuletzt die Christen, die Friedensgebete und die sich aus diesen Friedensgebeten entwickelnden Demonstrationszüge, die das System damals 1989 zusammenbrechen ließen. Damals haben viele gespürt, dass da eine Grenze überschritten war, wo „der Kaiser“, der Staat mehr verlangt hatte, als ihm gebührte. Hier war eine Grenze überschritten, wo es letztlich um die Wahrung der Menschenwürde und elementarster Menschenrechte ging. Und trotzdem haben die Christen und die Menschen in der damaligen DDR nicht der Versuchung nachgegeben, zu einem gewaltsamen Umsturz aufzurufen. Genau wie Jesus auf die hinterlistige Frage der Pharisäer nicht der Versuchung erliegt, zur Revolte gegen die heidnische Besatzungsmacht der Römer aufzurufen. Und gerade das hat damals wie heute dazu beigetragen, dass sich die Gesellschaft grundlegend verändert hat.
Einer der evangelischen Pfarrer, der mit anderen in Leipzig die Friedensgebete und Demonstrationszüge organisiert hat, hat mir einmal erzählt: Er habe sich dabei sehr von katholischen Wallfahrten und Lichterprozessionen inspirieren lassen. Am Ende des Gebetes in der Kirche, wenn die Menschenmassen sich zur Demonstration formiert haben, habe er allen eine Kerze in die Hand gegeben. Dabei hat er gedacht: Wer in der einen Hand eine Kerze hält und mit der anderen Hand die Flamme schützen muss, damit sie nicht ausgeht, der kann keine Steine werfen oder Knüppel schwingen. Und Erich Mielke hat später einmal gesagt: Jeden Widerstand hätten sie brechen können, auf alles waren die Soldaten und die Stasi damals vorbereitet gewesen, nicht aber auf Menschen mit Kerzen in den Händen, die beten und singen!
„Gebt dem Kaiser, was dem Kaiser gebührt und Gott, was Gott gebührt“. Es ist nicht immer leicht, zu entscheiden, wo die Grenze verläuft. Oft ist es gar nicht so eindeutig und es gibt nicht immer die klare und eindeutige Antwort. Manchmal müssen wir auch miteinander darum ringen, was jetzt aus christlicher Überzeugung richtig ist und was nicht. Es kann passieren, dass das, was Gott gebührt, was dem Willen Gottes entspricht, in Widerspruch steht zu dem, was der Kaiser, was die weltliche Ordnung verlangt. Diese Grenze ist immer dann klar überschritten, wo es um den Menschen und die elementarsten Menschenrechte, die Menschenwürde geht. Aber selbst hier ermahnt uns das Wort und das Beispiel Jesu, nicht mit der Pose der Gewalt und des offenen Widerstandes, nicht vom Hohen Ross moralischer Gewissheit herunter zu argumentieren, sondern so wie Jesus im heutigen Evangelium mit Pfiffigkeit und Schläue dem zum Durchbruch zu verhelfen, was Gott will. Wir dürfen uns dann auch darauf verlassen, dass Gott auf unserer Seite steht.
Jesus selbst geht am Ende den Weg des Kreuzes: scheinbar hat der Kaiser und die weltliche Macht letztendlich gesiegt. In Wirklichkeit aber hat – und das ist das tiefe Geheimnis des Kreuzes, das Grundfundament unseres Glaubens - das Kreuz an Ostern alle weltliche Macht aus den Angeln gehoben. Amen.