Schmuckband Kreuzgang

Aschermittwoch im Wormser Dom

Aschermittwoch 2023 (c) Martina Bauer
Aschermittwoch 2023
Datum:
Mi. 22. Feb. 2023
Von:
Martina Bauer

Predigt und Impressionen


Mit dem Aschermittwoch und dem Zeichen des Aschenkreuzes beginnt die 40tägige 
Österliche Bußzeit: „Bedenke, dass du Staub bist und zum 
Staub zurückkehrst: Kehre um und glaube an das Evangelium!“

In diesem Jahr wurde  wieder der Bußpsalm, das „Miserere“ in der Komposition von Gregorio Allegri von dem collegium vocale und Solisten unter der Leitung von Dan Zerfaß aufgeführt.

Aschermittwoch, LJ A (2023)         zu: 2 Sam 12, 1.9-13 und Mt 6, 1-6.16-18

„Da zerriss der Vorhang von oben bis unten entzwei“

  1. Eure Vergehen stehen trennend zwischen euch und eurem Gott, eure Sünden haben sein Gesicht vor euch verdeckt!“ (Jes 59, 2) Das hält der Prophet Jesaja dem Volk Israel vor. Was der Prophet Jesaja hier sagt, war in der jüdischen Tempelliturgie eindrucksvoll sichtbar: Mitten im Tempel hing ein riesiger Vorhang. Dieser Vorhang trennte den für die Priester noch zugänglichen Teil des Tempels, das Heiligtum, von einem dunklen, fensterlosen Raum, den kein Mensch betreten durfte: das Allerheiligste, wo die Bundeslade stand. Hier wohnte Gott, dieser Raum war ausgefüllt durch die Gegenwart des Allherrschers. Nur an einem einzigen Tag durfte der Hohepriester, und nur er allein, diesen Raum betreten, am „Yom Kippur“, dem großen Versöhnungstag, um hier vor Gott für die Sünden des ganzen Volkes Sühne zu leisten und um Vergebung zu bitten.
  2. Der Vorhand war wie eine undurchdringliche Wand. Nach dem Bericht des jüdischen Geschichtsschreibers Flavius Josephus ging er bis zur Decke des Tempels, den König Herodes hatte renovieren und vergrößern lassen. 40 Ellen hoch war nun der Tempel – also nach unserer Rechnung etwa 18 Meter. 16 Meter hoch ist das Fastentuch von Lisa Huber, das ab heute über die ganze Fastenzeit hier im Dom hängt, also in etwa so hoch, wie es auch der Tempelvorhang des Jerusalemer Tempels war in Jerusalem. Und auch dieses Fastentuch trennt und verhängt, wie einst der Tempelvorhang, „das Allerheiligste“ unseres Doms, den Altarraum, vom Kirchenschiff. 10 cm dick sei der Stoff im Tempel gewesen, so Flavius Josephus weiter; also mehr eine undurchdringliche Wand als eine leichte Gardine. Und genau das sollte der Vorhang ja auch symbolisieren: unsere Sünde steht wie eine Wand zwischen uns und Gott, verschließt uns hoffnungslos den Zugang. „Gott wohnt in einem Lichte, dem niemand nahen kann – vor seinem Angesichte trennt uns der Sünde Bann“ – so hat es der Dichter Jochen Klepper eindrucksvoll in einem Lied ins Wort gefasst.
  3. Im Mittelalter kam in unseren Kirchen die Tradition der Fastentücher auf: Riesige Tücher, mit denen man in der Fastenzeit den Altarraum, den Altar selbst verhüllte. Man griff damit bewusst die Symbolik des Alten Bundes auf: die Sünde, die uns den Zugang zu Gott verstellt. Die Fastentücher waren so auf ihre Weise eine eindringliche Einladung zu Buße und Umkehr. Denn darum geht es in der Österlichen Bußzeit, der Fastenzeit. Sie ist ja keine christliche Form der Diät, wo es nur darum geht, mal wieder ein paar Pfunde loszuwerden. Es geht um Umkehr, um Buße. Es geht darum, das, was zwischen Gott und den Menschen steht, was uns den Zugang verstellt, aus dem Weg zu räumen, den Zugang wieder freizuräumen. Und gleichzeitig wissen wir als Christen: Das wird uns nie gelingen. Wir können diese trennende Wand zwischen Gott und den Menschen, zwischen Himmel und Erde, niemals von uns her einreißen.
  4. Die Fastentücher hingen bis zum Karfreitag, bis zur Liturgie, in der des Leidens und Sterbens Christi gedacht wurde. In diesem Gottesdienst wurde und wird bis heute der Passionsbericht verkündet. Alle Evangelisten berichten, wie im Augenblick des Todes Jesu der Vorhang im Tempel von oben bis unten zerriss. Ein unfassbar starkes Bild und Symbol: Jesus Christus selbst ist die Sühne für unsere Sünden. Durch seine Lebenshingabe, durch seine unfassbare Liebe, mit der er sein Leben für uns hingibt, ist die Wand eingerissen, ist der Zugang neu geöffnet. Ein für allemal. Der Vorhang ist zerrissen!
  5. In der Tat waren die christlichen Kirchen, der christliche Gottesdienst immer so konzipiert, dass hier nichts Trennendes ist zwischen Gott und den Menschen. In den Sakramenten kommt Gott uns Menschen unfassbar nah, obwohl wir es nicht verdient haben, obwohl wir es uns niemals verdienen können. Gott will bei uns sein, er will in unserer Mitte wohnen. Er will in uns wohnen: wir selbst, unser Herz wird jetzt zum Allerheiligsten, wo Gott Wohnung nimmt. „Nun darfst du in ihm wohnen und bist nie mehr allein, darfst in ihm atmen, weben und immer bei ihm sein!“, so heißt es in der letzten Strophe des schon erwähnten Liedes von Jochen Klepper.
  6. Und doch haben auch die Christen gespürt, dass sich die Sünde immer wieder neu zwischen uns schiebt, zwischen Gott und die Menschen. In den alten Kirchen hat man daher das Allerheiligste durch Chorschranken, die „Schola cantorum“ abgetrennt, ohne aber einen wirklich getrennten Raum zu schaffen. Im Hohen Mittelalter hat man zwischen Kirchenschiff und dem Altarraum Lettner errichtet, die optisch die Trennung wieder aufnahmen – aber auch diese Lettner blieben durchlässig: der Blick auf den Altar blieb frei. In der byzantinischen Tradition der orthodoxen Kirchen ist es die Ikonostase, eine Ikonenwand, die die Symbolik des Tempelvorhangs wieder aufgreift – aber auch hier gibt es immer ein Fenster, das den Blick auf den Altar eröffnet, mindestens, wenn in der heiligen Eucharistie der Tod Jesu, seine Hingabe in den Zeichen von Brot und Wein erinnert und vergegenwärtigt wird. Der Vorhang im Tempel ist zerrissen, der Zugang bleibt offen; keine noch so große Sünde kann ihn wieder endgültig verschließen.
  7. Für mich kommt das auch in der Installation des Fastentuches hier eindrucksvoll zum Ausdruck. Es hängt bewusst so, dass ein Spalt offen bleibt – groß genug, um den Blick auf den Altar freizuhalten. Dere Blick zum prachtvollen, goldfunkelnden barocken Hochaltar ist weitgehend verhüllt. Es ist auch ein Fasten der Augen. Aber die Tür zum Himmel, die uns Christus in seinem Sterben geöffnet hat, bleibt immer, mindestens einen Spalt weit offen. Und doch – daran erinnert uns jährlich die 40tägige Österliche Bußzeit, immer wieder schieben sich unsere Sünden, unsere Schuld, unser Versagen zwischen Gott und die Menschen. Immer wieder bleiben wir weit hinter dem zurück, was doch der Anspruch des Evangeliums ist.
  8. Bedenke, dass Du Staub bist und zum Staub zurückkehrst“, heißt es bei der Auflegung des Aschenkreuzes am Aschermittwoch., Wir werden an unsere Vergänglichkeit erinnert, und wir werden ermahnt, umzukehren und aus dem Evangelium zu leben: „Kehr um und glaube an das Evangelium!“ Der 90. Psalm bildet den Hintergrund, das Leitmotiv für die Darstellungen auf dem Fastentuch. Auch dieser Psalm erinnert an die Vergänglichkeit des Menschen: „Du lässt die Menschen zurückkehren zum Staub (…). Des Menschen Tage sind wie Gras, er blüht wie die Blume des Feldes. Fährt der Wind darüber, ist sie dahin, der Ort, wo sie stand, weiß von ihr nichts mehr!“ Der Beter des Psalms mahnt uns zu einem erfüllten Leben: „Unsere Tage zu zählen, Herr, lehre uns: dann gewinnen wir ein weises Herz!“ Vor allem aber ist der Psalm Ausdruck des Vertrauens in Gottes Leibe, die uns hält, aufrichtet, die uns nicht zugrunde gehen lässt: „Du Herr, warst unsere Zuflucht von Geschlecht zu Geschlecht! (…) Lass das Werk unserer Hände gedeihen, Herr, ja, lass gedeihen das Werk unserer Hände!
  9. Die Fastenzeit lädt uns ein, nachzudenken über die eigene Vergänglichkeit, aber nicht resignativ im Sinn von: Es hat ja am Ende doch alles keinen Sinn, weil nichts bleibt. Sondern hoffnungsvoll: weil da ein Gott ist, der dafür sorgt, dass wir bleiben! Der alle Hebel in Bewegung gesetzt hat, damit unser Leben Zukunft hat. Deshalb ist sein Sohn Mensch geworden, deshalb hat er Kreuz und Leiden und den Tod auf sich genommen. Deshalb hat er in seinem Sterben die trennende Wand, den Vorhang zerrissen und uns den Zugang geöffnet zur unfassbaren Liebe Gottes, zum Leben in Fülle, das an Ostern aufbricht. Nutzen wir diese kommenden 40 Tage, um umzukehren, um alles aus dem Weg zu räumen, was uns von Gott trennt, um uns Gott zuzuwenden, dem Leben in Fülle. Amen.

Aschermittwoch 2023

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